Edit Policy: Die Open-Data-Richtlinie verpflichtet EU-Mitgliedstaaten dazu, Dokumente der öffentlichen Hand zur Weiterverwendung freizugeben – Deutschland blockiert noch.
In Digitalisierungsfragen gilt Deutschland selten als Vorreiter – ob es um freies WLAN, Verwaltungsdigitalisierung, Breitbandausbau oder digitale Bildung geht, viel zu oft fehlt es der deutschen Politik an Weitblick. Zu Innovationen muss die Bundesregierung oft erst durch EU-Vorgaben gezwungen werden.
So ist es auch bei der Open-Data-Richtlinie, die Deutschland bis zum 17. Juli 2021 in nationales Recht umsetzen muss. Wenn es nicht bald zu einer Einigung kommt, wird Deutschland an dieser Frist scheitern. Nur noch zweimal tagt der Bundestag in dieser Legislaturperiode, für kommenden Donnerstag steht das Gesetzesvorhaben auf der Tagesordnung. Doch auch wenn der Bundestag den Regierungsentwurf abnickt, verfehlt Deutschland das Ziel, Open Data als Chance zu begreifen.
Schmalspurumsetzung der EU-Vorgaben
Die Open-Data-Richtlinie der EU verpflichtet Mitgliedstaaten grundsätzlich dazu, Dokumente der öffentlichen Hand zur Weiterverwendung freizugeben – in einigen Kernbereichen sogar in Echtzeit und maschinenlesbar. Als politischer Kompromiss enthält das Regelwerk dennoch eine Vielzahl an Ausnahmen und Einschränkungen. Von diesen will die Bundesregierung ausgiebig Gebrauch machen. Schon seit Februar liegt ein Gesetzesentwurf der Bundesregierung für das Open-Data-Gesetz und Datennutzungsgesetz vor. Dieser war aber offenbar selbst den Koalitionsfraktionen im Bundestag zu unambitioniert, setzt er doch gerade einmal die europäischen Mindestanforderungen an offene Verwaltungsdaten um.
Anstatt den gesellschaftlichen Mehrwert zu erkennen, den digitale Zivilgesellschaft, Unternehmen, Wissenschaft und Journalist:innen schaffen können, wenn sie den öffentlichen Datenschatz frei weiterverwenden und zu neuen Zwecken kombinieren können, leitet deutsche Ministerien und Unternehmen in öffentlicher Hand offenbar noch immer die Angst: Angst vor Kontrollverlust, vor Wettbewerbsnachteilen und vor einer kritischen Öffentlichkeit. Anders lässt es sich kaum erklären, warum dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung ein einklagbares Recht auf Open Data fehlt.
Zwar sind Behörden nach dem Informationsfreiheitsgesetz zur Herausgabe von Informationen verpflichtet, dort fehlen jedoch die für Open Data zentralen Vorgaben an die Maschinenlesbarkeit. Wer an einer innovativen App arbeitet und dabei öffentliche Daten einbeziehen möchte, wird wenig begeistert sein, nach wochenlangem warten auf die Antwort auf eine Informationsfreiheitsanfrage mit einer ausgedruckten Excel-Tabelle abgespeist zu werden.
Zensurheberrecht wird wohl fortbestehen
Eine wichtige Hürde, die es auf dem Weg zu einer offenen Verwaltung zu überwinden gilt, ist neben der technischen Aufbereitung und Bereitstellung von Daten deren rechtlicher Status: Leider ist es auch bei staatlich erhobenen Informationen nicht der Normalfall, dass diese legal weiterverwendet werden dürfen. Dem steht neben dem Urheberrecht, wenn es sich um schutzfähige Werke wie beispielsweise Texte oder Fotografien handelt, auch das Datenbankrecht im Wege – eine rein europäische Erfindung, bei der auch urheberrechtlich nicht geschützte Daten mit Exklusivrechten versehen sein können, wenn sie einer Datenbank entstammen, in deren Erstellung ein Unternehmen investiert hat. Von diesem Sonderrecht erhoffte sich die EU-Kommission bei seiner Einführung einen Aufschwung für die europäische Datenwirtschaft. Dieser ist nie eingetreten, musste die Kommission bei der Evaluation des Regelwerks kleinlaut zugeben, doch ein einmal geschaffenes Exklusivrecht lässt sich nur so schwer wieder abschaffen, dass es bis heute fortbesteht – ohne erkennbaren Nutzen.
Besonders perfide ist es allerdings, wenn sich der Staat auf ein Exklusivrecht beruft, das zur Unterstützung von Kreativität und Innovation in der freien Wirtschaft dienen sollte. Genau das passiert aber immer wieder – sowohl in Bezug auf das Urheberrecht als auch beim Datenbankrecht. Unter dem Schlagwort Zensurheberrecht sind zahlreiche Fälle bekannt, in denen Ministerien und öffentliche Ämter gegen Privatpersonen, Zivilgesellschaft und Medien vorgehen, die von der öffentlichen Hand erstellte Informationen weiterverbreiten und für neue Zwecke nutzen.
Missbrauch von Exklusivrechten
Erst jüngst wurde bekannt, dass das bayerische Landesamt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung (LDBV) versucht, die Nutzung von Geodaten durch Open Data-Aktivist:innen zu unterbinden – unter Berufung auf das Urheberrecht und das Datenbankrecht. Dadurch behindert die Behörde die Erstellung von Onlineangeboten, die letztendlich der Allgemeinheit zugutekommen. Ob die fraglichen Geodaten überhaupt geschützt sind, ist bereits nach geltender Rechtslage alles andere als offensichtlich.
Zukünftig können sich dank dem Datennutzungsgesetz öffentliche Stellen zumindest nicht mehr auf das Schutzrecht für Datenbanken berufen, um die Weiterverwendung öffentlicher Datensätze zu unterbinden. Diesen Missbrauch von wirtschaftlichen Exklusivrechten durch den Staat verbietet die Open Data-Richtlinie ausdrücklich. Leider findet sich aber keine entsprechende Regelung für das Urheberrecht, das deutsche Gerichte äußerst weit auslegen. So wurde sogar bei einem Mietspiegel bereits von Urheberrechtsschutz ausgegangen, obwohl dieser mit kreativem Schaffen äußerst wenig zu tun hat.
Zwar sind amtliche Werke nach dem deutschen Urheberrecht gemeinfrei, dazu gehören beispielsweise Gesetzestexte. Die zugrunde gelegte Definition amtlicher Werke ist jedoch so eng, dass bereits bei Parlamentsbeschlüssen oder staatlichen Studien eine erhebliche Rechtsunsicherheit besteht. Zwar gibt es auch progressive Gerichtsentscheidungen, so hat kürzlich das Oberlandesgericht Köln entschieden, dass die Veröffentlichung eines Glyphosat-Gutachtens durch die Initiative FragdenStaat rechtmäßig war. Doch gegen dieses Urteil könnte das Bundesinstitut für Risikobewertung noch Revision einlegen, Aktivist:innen schweben also in ständiger Rechtsunsicherheit.
Fehlende Klarstellung
Es wäre dem Bundestag ein Leichtes, das Problem im Rahmen der Umsetzung der Open-Data-Richtlinie ein für alle Mal zu lösen. Dazu braucht es lediglich eine Klarstellung im Urhebergesetz, dass alle Inhalte, die im Verantwortungsbereich der öffentlichen Hand entstanden sind, grundsätzlich gemeinfrei sind. Die USA haben bereits eine solche Regelung. Deshalb können sich offene Projekte wie die Wikipedia an zahlreichen Bildern von NASA-Weltraummissionen und anderen wichtigen historischen Ereignissen erfreuen. Die Bundesregierung schadet sich nur selbst, wenn sie solche Möglichkeiten für die Bestände deutscher Behörden ausschließt.
Lizenzgebühren behindern Datennutzung
Eine weitere Verfehlung des Entwurfs für das Datennutzungsgesetz besteht darin, dass Verwaltungen und insbesondere öffentliche Unternehmen weiterhin Lizenzgebühren verlangen können, wenn Dritte öffentliche Daten nachnutzen wollen. Auch hier reizt der Gesetzesentwurf die Ausnahmebestimmungen der Richtlinie vollständig aus. Demnach dürfen öffentliche Verwaltungen Gebühren erheben, um Kosten auszugleichen, die ihnen im Zusammenhang mit der Bereitstellung der Daten entstehen. Dadurch werden gerade zivilgesellschaftliche Nutzer:innen leicht abgeschreckt. Öffentlichen Unternehmen ist auch darüber hinaus die Erhebung von Lizenzgebühren erlaubt. Obwohl die Inhalte, die öffentliche Stellen vorhalten, in aller Regel bereits durch Steuergelder finanziert wurden, muss man für deren Nachnutzung also nochmal zahlen, ohne dass öffentliche Verwaltungen die Sinnhaftigkeit dieser Praxis hinterfragen.
Dabei verdienen Behörden in den seltensten Fällen mehr Geld mit der Lizenzierung von Inhalten als sie für die Verwaltung dieser Geschäfte ausgeben, oftmals bezahlen verschiedene Behörden einander gegenseitig Gebühren – das ist unwirtschaftlicher als ein Nullsummenspiel. Die Lizenzgebühren behindern den Wettbewerb zwischen kommerziellen und gemeinnützigen Projekten, damit nützen sie letztendlich nur großen Unternehmen. Google kann es sich jederzeit leisten, Geodaten von deutschen Behörden für Google Maps einzukaufen, freie Alternativen wie OpenStreetMap haben das Nachsehen.
Zusammenarbeit mit Privatwirtschaft verhindert Open Data
Der Open Data-Gesetzesentwurf tut zu wenig, um die Hürden für Open Data abzubauen, die im Rahmen von Privatisierungen und staatlicher Zusammenarbeit mit privaten Dienstleistern entstehen. Informationen von allgemeinem Interesse, wie beispielsweise die Datenbank der deutschen Postleitzahlen, sind seit der Privatisierung der Post in privater Hand und werden als kommerzielles Produkt angeboten. Wenn staatliche Stellen Lizenzen für diese Informationen einkaufen und sie in eigenen Datensätzen nutzen, lässt sich oft nicht mehr zwischen öffentlichen und privaten Daten trennen – der gesamte Datensatz wird der Nachnutzung durch Open Data-Projekte entzogen.
Hier könnte der Bundestag Abhilfe schaffen, indem er Behörden verpflichten würde, öffentliche und private Daten getrennt zu führen, damit er erstere jederzeit zur Nachnutzung bereitstellen könnte. Besser noch würde er dafür sorgen, dass es staatlich geführte Datenbanken für so wichtige Informationen wie Postleitzahlen gibt, die unentgeltlich der Allgemeinheit zur Verfügung stehen. Im öffentlichen Beschaffungswesen, etwa bei IT-Projekten, darf sich die öffentliche Hand nicht von Software-Dienstleistern abhängig machen, die ihrerseits mit Verweis auf Urheberrecht oder Geschäftsgeheimnisse einer Offenlegung von Quellcode oder Datenbankschemata widersprechen könnten.
Noch ist unklar, ob der Bundestag auf Nachbesserungen beim Datennutzungsgesetz bestehen wird. Die Zeit vor der Bundestagswahl ist denkbar knapp. Es bleibt jedoch zu hoffen, dass die Fraktionen die letzten Wochen für eine ambitioniertere Reform nutzen, das Zensurheberrecht abschafft und der Blockadehaltung bei öffentlichen Verwaltungen und Unternehmen ein Ende macht. Sonst bleibt Deutschland im europäischen Vergleich weiterhin digitalpolitisches Schlusslicht.
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