von Informationsstelle Lateinamerika
Kartoffeln gelten hierzulande als das „deutscheste“ aller Lebensmittel. Bis vor wenigen Jahrzehnten wurden sie in fast allen Familien bei nahezu jeder warmen Mahlzeit gegessen, sei es gekocht, gebraten, püriert, als Klöße oder als Reibekuchen. Vor dem Winter haben die Familien zentnerweise Kartoffeln „eingekellert“, die dann bis zur Ernte der ersten „neuen Kartoffeln“ im Frühsommer reichten. Auch wenn die braunen Knollen durch die Konkurrenz anderer „Sättingungsbeilagen“ aus Getreide wie Nudeln, Reis, Bulgur, Couscous und inzwischen sogar Quinoa oder Amaranth nicht mehr ganz so häufig in deutschen Küchen anzutreffen sind wie früher, sind sie immer noch allgegenwärtig, weswegen die Deutschen von Jugendlichen aus einigen migrantischen Communities gerne auch mal als „Kartoffeln“ bezeichnet werden.
Das wiederum können hier lebende Migrant*innen aus den Andenländern überhaupt nicht verstehen, schließlich sind die Kartoffeln keineswegs „urdeutsch“, sondern kommen aus den Hochgebirgsregionen Südamerikas, wo sie bis heute das wichtigste Grundnahrungsmittel sind. Das dort früher auch gerne gegessene andine Korn Quinoa können sich die meisten Bolivianer*innen und Peruaner*innen wegen der weltweiten Nachfrage und der dadurch angezogenen Preise längst nicht mehr leisten.
Erst nach der spanischen Eroberung des Inkareiches kamen die ersten Kartoffelknollen nach Europa. Doch es dauerte noch zwei Jahrhunderte, bis sie sich schließlich durchsetzten und zum wichtigsten Grundnahrungsmittel für die ärmeren Bevölkerungsgruppen wurden. Zum elementaren Bestandteil der deutschen Küche wurden sie erst durch die verschiedenen „Kartoffelbefehle“ des preußischen Königs Friedrich des Großen ab 1746. Um Preußen – vor allem aus militärischen Gründen – landwirtschaftlich autark zu machen, hatte der König verfügt, dass alle Bauern und Bäuerinnen auf einem festgelegten Teil ihrer Flächen Kartoffeln anbauen mussten. Wer dem nicht folgte, musste mit drakonischen Strafen rechnen. Denn er/sie gefährdete die Ernährungssicherheit. Mit der Knollenfrucht konnte man auf der gleichen Fläche doppelt so viele Kohlenhydrate erzeugen, das heißt Leute satt bekommen, wie mit dem Getreideanbau.
Auch wenn die klassische Salzkartoffel im deutschsprachigen Raum ein bisschen aus der Mode kommt, ist der weltweite Siegeszug der Kartoffel ungebrochen. Dass sie im 20. und 21. Jahrhundert auch in Regionen und Ländern gegessen wird, in der sie vorher keine Rolle spielte, verdankt sie einer Erfindung aus Belgien, den Pommes Frites. Sie sind heute weltweit, vor allem in der Fast-Food-Küche (wenn man das denn als „Küche“ bezeichnen will), omnipräsent. Da Pommes Frites überwiegend als vorgebackene Tiefkühlware gehandelt werden, wurde das kleine Belgien zu einem der wichtigsten Kartoffelexporteure weltweit, so wie die Schweiz dank der Nespresso-Kapseln zum weltweit größten Kaffee-Exporteur (in Umsatzzahlen) aufstieg.
Die größten Kartoffelproduzenten sind indessen China und Indien, in Lateinamerika werden rund ein Viertel der auf der Erde angebauten Kartoffeln geerntet. Anders als die bekanntesten Agrarexportprodukte aus dem Subkontinent wie Kaffee, Bananen, Ananas, Mangos, Spargel oder Äpfel werden die Kartoffeln besonders in den Andenländern überwiegend auf kleinen und sehr kleinen Flächen angebaut. Diese Produzent*innen erhalten – im Gegensatz zu den großen agroindustriellen Exportbetrieben – in den meisten Ländern kaum öffentliche Unterstützung. Die meisten Campesinos und Campesinas leben unter extrem schwierigen Bedingungen. Und doch sind sie es mit ihren winzigen Flächen (die meisten bewirtschaften weniger als zwei Hektar), die nicht nur sich selbst, sondern auch einen Großteil der Bevölkerung in den Städten ernähren.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme des Editorials aus ila 446 Juni 2021, hrsg. und mit freundlicher Genehmigung der Informationsstelle Lateinamerika in Bonn. Weitere Beiträge zum Thema Kartoffeln folgen in der kommenden Woche.
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