Während die Bundesumweltministerin die Langsamkeit und Denkfaulheit des Koalitionspartners kritisiert, ein Interview, das der aufnehmende Sender DLF übers Wochenende durch seine Nachrichten versendet, wird sie von ihren eigenen Genoss*inn*en, inspiriert von der sogenannten Zeitung Bild, direkt wieder dementiert. So geht deutsche Klimapolitik. Daran verzweifeln nicht nur die Menschen, die den grösseren Teil ihres Lebens noch vor sich haben, sondern auch der alte, weisse Mann Matthias Greffrath.
Mit den einfachen Recherchemitteln des “freien” Publizisten findet er in wenigen Arbeitswochen den Stand der wissenschaftlichen Forschung (Audio 30 min) heraus. Und muss feststellen, dass “der Staat” ganz anders funktioniert. In der Coronakrise haben das noch einige mehr Menschen begriffen als zuvor. Obwohl: woanders is auch scheisse, und schlimmer. Greffrath schloss in seinem zweiten Teil heute mit der zwar richtigen aber auch hilflosen Feststellung: “Jede Stimme zählt.”
Tja, es scheint nur von der politischen Klasse und der was-mit-Medien-Branche schon ganz anders programmiert, als es sich Herr Greffrath und ich vorstellen (s.o.).
Meine steile These: die Informations- und Meinungsfreiheit muss dem freien Spiel der Kapitalkräfte entzogen werden. Nur so ist die Gleichberechtigung des (wissenschaftlichen/politischen) Arguments zu sichern. Es ist so ähnlich wie bei den Wohnungen.
Derzeit bestimmt das Renditeinteresse des Kapitals. Die Algorithmen der asozialen Konzernnetzwerke sind darauf getrimmt, Umsatz, Gewinn und Aufmerksamkeit auf sich selbst zu vereinen. Das funktioniert so traumhaft gut, dass die Hauptaktionäre dieser Netzwerke heute die reichsten Menschen der Welt sind. Für sie gibt es keinen Grund/kein Interesse, daran etwas zu ändern. Komplizierte wissenschaftliche Erkenntnisse haben demgegenüber eine ganz schlechte Marktposition.
War also früher alles besser, als es diese bösen Netzwerke noch nicht gab? Im Gegenteil. In Deutschland bestimmt bis heute Bild (in UK “The Sun”, in den USA Fox News, in Österreich die “Krone”, in Italien Berlusconi) was wichtig und was unwichtig ist. Und zwar nicht, weil so viele diesen Dreck kaufen und lesen. Das sind nachweislich immer weniger (das Schaubild reicht nur zurück bis 2012; in den 90ern betrug die verkaufte Auflage das Vierfache!). Das Problem ist vielmehr, dass alle anderen Medien, auch und gerade die öffentlich-rechtlichen (auch und gerade der von mir vielgenutzte DLF) ausgerechnet dort nachgucken, was für wichtig und für unwichtig zu halten ist. In ihrer Alltagskultur kennen sie nämlich keine Menschen (“da draussen”) mehr, die nicht “was-mit-Medien” machen (müssen).
Das heisst: mit einer Klimaschutzrevolution muss eine neue bürgerliche Revolution für Informations- und Meinungsfreiheit einhergehen. Marktplätze und Netzwerke müssen öffentlich und gesetzlich geregelt sein – gleiche Bürger*innen*rechte für alle, Sicherung der Einhaltung der Gesetze muss Konzernen entzogen werden und in öffentliche transparent kontrollierbare Hände. Staats- und Parteiferne muss dabei ebenso gesichert werden, wie es das Bundesverfassungsgericht mühselig für die alten öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten immer wieder durchsetzen muss. Dieses Gesamtwerk deutschnational durchzusetzen ist zwecklos – auch wenn alles mit “Enteignet Springer!” anfängt. Es muss EU-Politik werden (mindestens), oder es wird nicht.
Nächste Folge bei Greffrath: “Bildung”. Danach werde ich vermutlich kommentieren: sarichdoch.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net