Seit mehreren Tagen reißen die Bilder über bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen um drei besetzte Häuser in Berlin nicht ab. Hausbesetzer*innen bauen Barrikaden und zünden sie an, wenn die Polizei kommt. Die versucht, mit schwerem Gerät in die Häuser einzudringen, um eine Brandschutzbegehung durchzusetzen. Auf diese Brandschutzbegehung wollte aus Gründen der Deeskalation der Grüne Baustadtrat verzichten. Sie wurde aber von der Bezirksvertretung und einem Verwaltungsgerichtsbeschluss erzwungen. Gespräche und Verhandlungen scheiterten. So rannten nun 350 Polizist*innen zwei Tage lang gegen die Rigaer Straße 94 an und wurden mit Böllern, Farbbeuteln und dem Inhalt von Feuerlöschern traktiert. Angeblich gab es 22 verletzte Beamt*inn*e*n, auch sollen Personen festgenommen worden sein, aber wieviele ist bisher nicht bekannt. Mit Gewalt setzte die Polizei Donnerstag mittag durch, dass der Gutachter in Anwesenheit von zwei Bezirksvertretern und zwei Anwälten das Haus inspizieren konnte. Das Ergebnis: “Keine gravierenden Mängel”. Wer nicht in Berlin lebt, kann darüber wohl nur den Kopf schütteln.  

Was bewegt einen rot-rot-grün regierten Senat dazu, es in einer Zeit der explodierenden Immobilienspekulation ausgerechnet zu einer Eskalation gegenüber einem der letzten besetzten Häuser in Berlin kommen zu lassen? Wieso kommt es in einem Fall, wo etwa in Köln längst eine “rheinische Lösung” gesucht und gefunden worden wäre, zu einer solchen Zuspitzung? Wieso muss es zur gewaltsamen Zerstörung der Eingangstür durch die Polizei mit Kettensägen kommen, obwohl, wie RBB-Reporter berichteten, es im Laufe des Morgens ein Angebot der Bewohner*innen gab, den Brandschutzprüfer und eine weitere Person der Bezirksvertretung ohne Polizeibegleitung ins Haus zu lassen? Dies lehnte der Prüfer ab – hieß es bei der Polizei. Was ist das für eine Einsatzleitung, die eine Deeskalationschance nicht ergriff, muss sich jede*r erfahrene Demonstrationsbeobachter*in fragen. 350 Beamt*inn*e*n und 1.000 weitere aus anderen Bundesländern angeforderte, sprechen nicht gerade die Sprache der Deeskalation. Warum hinterfragen das auch Grüne wie die bürgerrechtlich orientierten Innenpolitiker*innen Konstantin von Notz und Irene Mihalic nicht? Aus der Distanz muss der Eindruck entstehen, dass es politisch nicht ungewollt war, dass es zu diesen Eskalationen kommt.

Das politische Signal der gesamten Auseinandersetzung

Es spricht Bände, wenn etwa Innensenator Geisel selbst daran erinnert, dass der Eigentümer der Gebäude lange nicht von den Gerichten als solcher anerkannt wurde. Es scheint da also noch eine zweifelhafte Geschichte hinter der zweifelhaften Geschichte zu geben. Warum erfährt die niemand?

Den Akteuren in der Berliner Koalition scheint nicht klar zu sein, was für ein Signal von einer solchen Auseinandersetzung ausgeht. Seit Jahren tobt in Berlin eine Spekulationsblase, versuchen internationale Immobilienkonzerne und Investoren in der Bundeshauptstadt reiche Beute zu machen. Damit meine ich nicht die unseligen Konzerne Deutsche Wohnen und Vonovia, deren Übernahmepläne derzeit Gegenstand eines Verfahrens vor dem Bundeskartellamt sind. Zwar entstünde durch diese Fusion ein neuer Mega-Wohnkonzern, aber das unselige Treiben, das sich dann als Riesen- Vonovia anschickt, eine marktbeherrschende Stellung auf dem Vermietungs”markt” zu bekommen, sind nur die Spitze des Immobilien-Spekulationseisberges. Und letztlich gibt das dreiste Verhalten dieser Konzerne den Hausbesetzern recht, nachdem der Berliner Senat nach der Kassation des Mietendeckels durch das Bundesverfassungsgericht praktisch nackt und ohne Konzept gegen die internationalen Bodenspekulanten dasteht.

Statt Steuerbetrug und Geldwäsche Autonome bekämpfen?

Das Magazin “Monitor” hat in der vergangenen Woche gezeigt, wie internationale Investitionshaie und legale Steuerbetrüger praktisch jedes Mietshaus in Berlin, das nicht fest und langfristig in privater oder öffentlicher Hand ist, versuchen zu kaufen, zu gentrifizieren und maximalen Profit daraus zu ziehen. Die internationalen “Investoren” kaufen zum einen mit Kapital aus unbekannten Quellen – ob dazu Drogen- oder Mafiagelder oder “nur” unversteuerte Gewinne aus Steueroasen wie Luxemburg oder den Seychellen gehören, entzieht sich dabei der Kenntnis der Behörden. Die Investment-Unternehmen treiben damit die Preise weiter rigoros in die Höhe. Sind es systematischer Steuerbetrug und Geldwäsche internationaler Banden, die in Berlin geduldet oder geflissentlich übersehen werden, weil ihre Bekämpfung aufwändig wäre und viel mehr Intelligenz und Polizeikräfte erfordern würde, als wenn sich Polizei und Senat an zwar gewalttätigen, aber was den gesellschaftlichen Schaden betrifft, relativ  vernachlässigbaren autonomen Hausbesetzer*inne*n abarbeiten? Dass Innensenator Geisel (SPD) im Zusammenhang mit den Hausbesetzern von “offenem Gangstertum” phantasiert, aber die offensichtliche kriminelle Energie der Bodenspekulanten, die seine Stadt inzwischen im Würgegriff haben, nicht erkennen kann, wirft ein interessantes Licht auf die senats-interne Realitätsverschiebung.

Mietwucher und Bodenspekulation Tür und Tor geöffnet

Ein Teil der Immobilien wird dabei aus Krediten finanziert, die diese Firmen zu 1-2% Zinsen am Kapitalmarkt erwerben. Durch gezielte Tricks vermeiden sie nicht nur die Grunderwerbssteuern, sondern entziehen sich durch den “Zinstrick” sogar dem Berliner Fiskus. Eine “Muttergesellschaft” in einer Steueroase gibt nämlich den aufgenommenen Kredit an eine Tochtergesellschaft in Berlin weiter, deren Gewinne aus Vermietung und Verpachtung damit geschmälert werden, sodass die “Mutter” der “Tochter” Wucherzinsen von z.B. z.Zt. 7,5-9% berechnet, und so den Gewinn dieser Tochter minimiert. Da die “Mutter”  in einer Steueroase sitzt, geht das Berliner Finanzamt, trotz Milliardengewinnen mit Berliner Immobilien direkt vor seinen Augen, leer aus. Hinzu kommt, dass mit der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen  tausende von Mieter*innen ständig damit rechnen müssen, wegen Eigenbadarf gekündigt oder mit Mieten belegt zu werden, die sie nicht zahlen können. Welches Ausmaß an sozialen Ängsten und Furcht vor Verlust der Wohnung diese politische Entwicklung am Immobilienmarkt bis tief hinein in bürgerliche Mittelschichten entfaltet, könnte auch SPD und Grünen bei der Senatswahl auf die Füße fallen. Ursache wäre dann ein Gesetz, das diese Zustände eigentlich beenden sollte, das aber von der CDU/CSU im Bundestag bis zur Wirkungslosigkeit im Interesse der Immobilienlobby verwässert wurde.

Keine Verharmlosung von Gewalt

Nein, es kann nicht darum gehen, mögliche Straftaten der Hausbesetzerszene zu entschuldigen oder gar zu rechtfertigen. Aber weil es sich um eine elementare politische Frage handelt, auf die in Berlin ein paar Hausbesetzer als Spitze des Eisbergs der Unzufriedenheit aufmerksam machen, ist es um so schlimmer, dass besonders die SPD die Zusammenhänge nicht erkennt, und im konkreten Fall keine Deeskalation, sondern offensichtlich die Zuspitzung gesucht wurde. Für die Hardliner wie Innensenator Geisel und seine Berater kann sich das noch als politischer Bumerang erweisen. Denn es kann nicht angehen,  mit den Finger auf Straftaten von angeblichen “Linksextremisten” zu zeigen, und diese nach dem beliebten Muster “Rechts gleich Links” zu kriminalisieren und mit  Neonazis gleichzusetzen, und gleichzeitig die Verursacher der Mietenkrise außen vor zu lassen. Und es geht noch viel weniger an,  gleichzeitig  von den krassen sozialen Mißständen durch die herrschende Wohnungs- und Bodenrechtspolitik abzulenken, und die systematische und organisierte Steuer- und Spekulationskriminalität von internationalen Financlans  nicht nur zu dulden, sondern noch mit dem Weiterbestehen von Steuerschlupflöchern zu belohnen, wie es die CDU/CSU erst kürzlich wieder demonstriert hat. Wenn sich dann Wähler*innen weiter von der SPD, aber auch von Linken und Grünen abwenden, ist das nicht verwunderlich. Die Frage ist, wo sie bei den Senats- und Bundestagswahlen landen.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net