Sozialismus oder Reformismus gegen Katastrophen beim Klima (und in der Pflege)?
Wenn wir Slavoj Zizek/Jacobin glauben dürfen, ich hatte es auch in anderen Quellen schon mal aufgeschnappt, mobilisierte der chinesische Kommunismus 1958 im “Grossen Sprung nach vorn” gegen die Spatzen, die einen Teil der Reisernte wegfrassen. Sie hätten mal lieber im Behelfsheimsgarten meiner Grosseltern in Glinde bei Hamburg eingegriffen, wo die Vögel mir die Süsskirschen vor der Nase wegernteten. Zwei Jahre später hatte die Partei den angerichteten Schaden erkannt. Die Insekten hatten keine Fressfeinde mehr, die Ernten wurden noch schlechter. Also wurden 250.000 Spatzen aus der Sowjetunion importiert.
Ich stimme Zizek philosophisch insofern zu, dass der Mensch als Akteur im Mittelpunkt steht und in der strategischen Betrachtung bleiben muss. Ein “Natur”-Fetisch hilft nicht (mehr) weiter. Wenn es das jemals getan hätte, ist dieser Punkt global längst überschritten. Als letzte politische Lösung schwebt Zizek ein “Kriegskommunismus” vor. Sowas ähnliches hatte ja schon das Bundesverfassungsgericht befürchtet, mit Recht. Aber mit dieser gespenstischen Parole löst sich Zizeks Geschäftsfähigkeit schnell wieder auf. Weitergedacht heisst das: das chinesische Modell wird gegen den europäischen und US-Kapitalismus siegen. Kann sogar sein. Aber mit dieser Vision symbolisiert er, warum seine Genoss*inn*en in demokratischen Wahlen so regelmässig den Kürzeren ziehen.
Rationaler und weit reformistischer geht Christian Schwägerl/riffreporter zu Werke. Er als Wissenschaftsjournalist, einer der Besten, rechnet der “Physikerin” Angela Merkel ihre Versäumnisse vor, und verdeutlicht an den Beispielen Laschet und Merz, dass lernende Besserung bei Merkels Partei nicht zu erkennen ist. Mit kaum weniger Apokalyptik als bei Zizek, streng naturwissenschaftlich biophysikalisch vorgerechnet, kommt er zu einem banal reformistischen Schluss: “Bleibt das unionsinterne Umdenken aus, könnten nur Kanzlerin oder Kanzler aus einer anderen Partei das zentrale Vermächtnis Merkels retten. Sonst stünde die Weltpolitikerin Angela Merkel nicht nur vor der Geschichte, sondern auch vor der Erdgeschichte gar nicht gut da.” Ich vermag nicht zu widersprechen. Wie weit das eine politische Lösung näher bringt, bleibt dennoch extrem ungewiss. Mit Wählen am 26.9. im Zwergstaat Deutschland ist nichts getan.
Wo ist der Spatz in der Hand in der Pflege?
Selbst elementarste humanistische Werte sind in Deutschland unter die Räder des staatsmonopolistischen Kapitalismus geraten. Dort sind sie schon sehr lange. Darum muss die dritte Staatsgewalt, die Rechtsprechung immer häufiger Minimalstandards einfordern. Stefan Sell, einer der kompetentesten Wissenschaftler+innen in dieser Branche, analysiert das deutsche System und seine Schwachstellen. Wer immer nach dem September dieses Land regiert, wird das ganze System in die Werkstatt schieben und sehr schnell handeln müssen. Was immer dabei herauskommt – es wird ein Kompromiss sein. Warum ist die Pflege so dermassen in der Grütze? Weil es bisher an starken Interessenvertretungen mangelt: Gewerkschaften für die Arbeitenden, kampffähige Interessenvertretungen der immer zahlreicher (und wahlmächtiger!) werdenden zu Pflegenden. Bisher profitieren, wie überall, die mit den stärksten, bestfinanzierten Lobbys und der kriminellsten Energie. Wenn das so bleibt, wird es so enden, wie beim Klima s.o.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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