“Deadlines” im German Television: geht doch!
Eigentlich wollte ich “Exit” bingewatchen. Weil es angeblich nicht jugendfrei ist, ist vor 22 h. eine Registrierung bei der ZDF-Mediathek erforderlich. Die gelang mir, im zweiten Versuch. Nur glaubte das ZDF anschliessend wohl, der Mensch an meinem Tablet sei gar nicht ich, und meldete mir Fehler. Dem Zornentbrennen nah wandte ich mich ersatzweise “Deadlines” zu, und habe das nicht bereut.
Zwar enthält diese Reihe “schmutzige Wörter” in Überdosierung. Nackte Hintern gibts aber nur mit Tanga dran. Und auch die Nippel bleiben knapp verhüllt. Statt wie bei “Exit” um verrückte Männer, geht es hier um verrückte Frauen. Etwas überdreht wurden die vier – mir extrem sympathischen – Hauptfiguren auf maximale Diversität gecastet. Ungerecht für die mutmasslich zahlreichen Ausgeschiedenen. Aber die Erwählten Jasmin Shakeri, Salka Weber, Llewellyn Reichman und Sarah Bauerett, letztere übrigens in Bonn aufgewachsen, machen einen guten Job. Phasenweise machen sie den Eindruck, als wenn die Arbeit Spass gemacht hat. Als wenn sie “die Sau” mehr rauslassen durften, als sie es sich im wahren Leben trauen.
Wahres Leben wäre im Vergleich ja auch zu langweilig für eine Serie, die als Comedy verkauft wird, aber viele ernsthafte lebensnahe Momente hat. Denn es ist schliesslich nicht leicht in dieser Gesellschaft und dieser Zeit, eine starke Frau zu werden. Immer mehr schaffen es, aber längst noch nicht genug.
Bemerkenswert: der “Erfinder” ist ein 38-jähriger Mann mit dem beziehungsreichen Namen Johannes Boss. In seiner Biografie hat er für die Telekom bereits gemacht, wovon ich knapp 10 Jahre zuvor einem weit grösseren Konzern abgeraten habe: Konzernwerbung als TV-Serie. Da war der junge Herr Boss viel schmerzfreier. Ich weiss nicht, ob es ihn reich gemacht hat, vermutlich ja. Aber derjenige von uns beiden, der nicht mehr arbeiten muss, bin ich.
Beim Drehbuch stand ihm die 35-jährige Nora Gantenbrink, ihrem Wikipedia-Eintrag zufolge so eine Art Fräuleinwunder des deutschen Nachwuchsjournalismus, zur Seite. Ich hätte mir auch nicht vorstellen können, wie ein Mann das ohne weibliche Fachberatung hätte schreiben sollen.
Mein Bruder meinte dazu, David E. Kelley hätte damals auch “Ally McBeal” geschafft. Das war die Spitzenserie der westlichen Mittelschicht der 90er, und Kelley ein genialer Diagnostiker. “Deadlines”-Folgen sind mit gleich viel Inhalt halb so lang, also doppelt so schnell. Langweiler-Momente nahe 0.
ZDFneo und ZDF-Mediathek (ein Jahr verfügbar).
Strengere Besprechungen als meine von Jenni Zylka/DLF-Kultur und Harald Keller/FR. Und natürlich haben beide recht. Es wäre viel gewonnen, wenn Produktionen dieses Ehrgeizniveaus die handwerkliche Regel würden, und sich nicht in Nischen verstecken müssen. Die öffentlich-rechtlichen Hauptprogramme bewirtschaften eine Zielgruppe, in der ich den unteren jüngsten Rand bilde (64). Ich fühle mich so unterfordert, dass das Boreout-Syndrom längst ausgebrochen ist. Montags immer Barnaby (Doppelfolge, und anschliessend Agatha Raisin), mehr Blut, mehr Tote und Gewalt, aber absolut jugendfrei, im gleichen Kanal. Jugendfrei! Sie verstehen?

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net