Die übergrosse Mehrheit der Pflegekräfte in Deutschland gehört keiner Gewerkschaft an. Viele von ihnen fürchten, wenn sie für ihre eigenen Interessen streiken würden, kämen sie ihrer beruflichen Verantwortung nicht mehr angemessen nach. Entsprechend schlecht sind ihre Arbeitsbedingungen, entsprechend wenige halten in diesem Beruf durch, und entsprechend wenige wollen ihn ergreifen. Das wird dann Pflegekräftemangel, oder allgemeiner Fachkräftemangel genannt. Daraus ergibt sich logisch: gewerkschaftlich organisieren und streiken wäre am Ende besser für alle – ausser die wenigen Arbeitgeber*innen und deren Aktionär*inn*e*n.
Streiken
Zu dem Schluss sind auch die Krankenhausbeschäftigten in Berlin gekommen, über die Kirsten Achtelik/Jungle World schreibt. Hier erfahren wir nebenbei, wie der rot-rot-grüne Senat eine Gelegenheit verspielt, als politische Alternative zu anderen politischen Konstellationen erkennbar zu werden.
Und wie ist es mit den streikenden “Lokführer*inne*n”? Ärgern sich nicht viele von uns auf dem Bahnsteig “schwarz” über die? Nee, ich nicht, ich muss ja nicht mehr pendeln. Ich dachte mir schon, dass eine Gewerkschaft, die von der veröffentlichten Meinung so einheitlich gebashed wird wie die GdL, nicht alles falsch gemacht haben kann. Ausser ihre eigene Öffentlichkeitsarbeit. Grössere Gewissheit vermittelte mir Werner Rügemer/telepolis, der gelegentlich auch für die Mitgliederzeitschrift meiner Gewerkschaft schreibt. Und in der sich nicht wenige eine kämpferischere Grundeinstellung der DGB-Gewerkschaften wünschen würden. Meine Gewerkschaft ist auch die, die sich mehr um die Pflegekräfte kümmern muss.
Streiten
Tomasz Konicz/Freitag hat bei Verleger Jakob Augstein ein neues publizistisches Exil gefunden. Wie immer analysiert er intelligent (zu Klima und Kapitalismus), um uns Leser*innen dann strategisch wie bestellt und nicht abgeholt stehen zu lassen. also wie die GdL am Bahnsteig. Die einzige Partei, bei der die Klimapolitik den Spitzenplatz ihrer politischen Agenda besitzt, wird von ihm so abgewatscht: “Das Geschäftsmodell der Grünen besteht darin, den Verwertungszwang des Kapitals mit einem ökologischen Anstrich zu versehen, um so selbst in der manifesten Klimakrise an ebendem System festhalten zu können, das diese alltäglich immer weiter befeuert.” Damit zieht Konicz jedoch nicht die – wie jede Partei – politisch heterogenen Grünen nackt aus, sondern sich selbst. Denn wer soll ihm denn bei der von ihm selbst formulierten Aufgabe behilflich sein? “Die strategische Zielsetzung progressiver Kräfte kann angesichts der weit vorangeschrittenen Klimakrise eigentlich nur noch darin bestehen, doch noch den Versuch zu unternehmen, die kommenden katastrophalen Auswirkungen der Klimakrise im Rahmen einer Systemtransformation ohne Zivilisationsbruch zu überstehen.” Wer sind diese “progressiven Kräfte”, wenn schon die Grünen nicht dazu zählen? Ist nicht nach seiner eigenen politischen Logik die Zeit sehr, sehr knapp? Für wie viel Besserwisserei bleibt also noch Zeit?
Gates-Stiftung
Der vor vielen Jahrzehnten ruhmreiche Stern gehört heute wie eine Klitsche zum RTL-Stall im schrumpfenden Imperium des Bertelsmann-Konzerns. Wie weit es so weit kommen konnte, dazu werde ich gewiss niemals ein Buch schreiben. Besonders ist dagegen, dass dort der Redakteur Malte Mansholt eine bemerkenswert kritische Analyse der Patentpolitik der Gates-Stiftung platzieren konnte. Gut gemacht.
Lieber Martin,
Danke für den Hinweis auf den Artikel von Werner Rügemer zur GDL. Hat mir etwas die Augen geöffnet. Ist natürlich bitter für einen alten DGB Gewerkschafter, wenn die GDL insgesamt fortschrittlicher ist als die EVG.