Hoffnung und ihre Killer
Ohne Hoffnung kein Fortschritt. Sie ist die Triebkraft jeder politischen Bewegung. Wer etwas für aussichtslos hält, engagiert sich nicht. Der Feind der Hoffnung ist der räsonierende Zynismus. Er eignet sich als individuelles Geschäftsmodell für was-mit-Medien-Leute, ist politisch aber komplett unbrauchbar. Realismus ist dagegen kein Feind der Hoffnung, sondern potenzieller Verbündeter. Wenn er die Hoffnung besiegt, statt sich mit ihr zu verbünden, haben die Bösen gewonnen. Die, die wollen, dass alle Herrschaft so bleiben soll, wie sie ist. Dazu folgende Beispiele.
Brandaktuell zu derzeitigen EU-Politik ist ein Buch des Berliner Soziologen Steffen Mau auf den Markt gekommen: „Sortiermaschinen. Die Neuerfindung der Grenze im 21. Jahrhundert”. Wenn Sie wie ich ich eine zu hohe Schwelle zum Bücherlesen überwinden müssen, empfehle ich dieses taz-Interview mit dem Autor. Die Hoffnung des reisenden Europäers, durch Reisen die Welt kennenlernen zu können, bricht sich mit der Wirklichkeit. Mann wird zur Marie Antoinette.
Oliver Stone und JFK
Bei Oliver Stone, was sein Vermögen betrifft gewiss globaler Hochadel, ist angesichts seiner Erkenntnisse von Hoffnung nicht mehr viel übrig. Dennoch hat er es zu einer beträchtlichen Lebensleistung als Künstler gebracht. Nun ist er auf PR-Feldzug für seinen zweiten JFK-Film (“revisited”), mit lesenswerten komplementären Interviews in der taz (Tatiana Rosenstein) und der FR (Daniel Kothenschulte). Stone erweist sich als Anhänger der Verschwörungstheorie “Männer machen Geschichte”, was sich aus seinem Bekenntnis, er sei “kein Sozialist”, ergibt; ihm fehlt das Rüstzeug des historischen Materialismus. Wegen seiner Fixierung trägt Stone dennoch Wichtiges zur historischen Erkenntnis bei.
“Männer machen Geschichte” ist nämlich bis heute herrschende Lehre. Ich kann aus meiner Vorschulkindheit bestätigen, dass die Begeisterung für JFK in der westdeutschen BRD Massenbewusstsein war. Mit dem Mord von 1963 wurde diese Begeisterung gekillt. Massenhafte illusorische Hoffnungen waren mitgekillt. Bei uns zuhause war das der Übergang vom Radio zum Schwarzweiss-Fernsehen. Erst danach entstand die Fussball-Bundesliga.
Was Stone allein zum JFK-Mord bis heute zutage gefördert hat, ist die Mutter aller Verschwörungstheorien, eine der ersten massenmedial transportierten Verschwörungen. Die “Theorien” über sie entstehen nicht im Kopf verirrter Individuen, sondern durch den Mangel an und den Hunger nach demokratischer Transparenz und Aufklärung. Denen, die bis heute Verschwörungen und Herrschaft praktizieren, ist nicht daran gelegen. Sie haben die Begrifflichkeit “Verschwörungstheorie” erfolgreich zur rhetorischen Waffe gemacht. Verhindern können sie Aufklärung – auf Dauer – dennoch nicht (alles kommt – irgendwann – raus). Das hat Stone verstanden, und ist aktiv geblieben. Kompliment.
Hoffnung in Indien
Narendra Modi ist selbstverständlich nicht zu trauen. Er ist ein Hindufaschist. Und Faschisten sind immer mit den übelsten Gesellen der herrschenden Klassen im Bunde. Wenn er den fast einjährigen Protesten der kämpfenden Bauern nachgibt, zeugt das zunächst von strategischem Realismus. Der ist nicht doof, also ein ernstzunehmender Gegner. Gleichzeitig lehrt diese Nachricht aber Millionen Menschen weit über Indien hinaus: Kämpfen lohnt sich. Wer keinen Mut zum Träumen hat, hat keine Kraft zum Kämpfen. Was die indische Bauernbewegung bis heute – aus ihrer existenziellen Not heraus – geleistet hat, ist global bewundernswert.
Meine bekloppte Idee: 10 € für die Pfleger*innen
Wann wenn nicht jetzt muss das gesellschaftlich auf die hiesige Tagesordnung? Den Intensivstationen laufen die traumatisierten und überlasteten Pflegekräfte weg. Kapazitäten der Intensivstationen in der Pandemie wurden nicht ausgebaut, sondern haben sich verringert. Nicht die Betten fehlen, sondern die Pfleger*innen. Beifallklatschen hat nicht satt gemacht, noch nicht einmal Kraft.
Ich bin Kleinrentner, zahle nur den Mindestbeitrag an die Kranken- und Pflegekasse. Ich wäre bereit und in der Lage 10 Euro/Monat draufzulegen – wenn ich wüsste, dass das direkt an diese Menschen fliesst. Ich habe mal kurz gerechnet: wenn alle zahlenden Versicherten (über 57 Mio.) dazu breit wären, ergäbe das 323 Euro/Monat für alle in der Alten- und Krankenpflege Arbeitenden (1,7 Mio.). Wenn alle TV-Professoren, Chef- und Oberärzte davon ausgenommen würden, kämen vielleicht noch einige wenige Euros dazu. Nur so’ne Idee. Es soll ja bald eine neue Regierung geben.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net