Müssen Linke dumm sein?
Bei den Grünen bundesweit und bei “Die Linke” in Berlin stimmen derzeit Mitglieder über Koalitionsvereinbarungen ab. Jede Meinung dazu ist legitim und politisch begründbar. Ich würde bei solchen Begründungen gerne gewisse Qualitätsstandards in der Argumentationsführung sowie im strategischen Vorgehen verlangen, die ich leider nur noch selten erfüllt sehe. Prozessdenken kann ich in solchen zu “Entscheidungsschlachten” hochsterilisierten Prozessen überhaupt nicht mehr entdecken. Regierungs-, Parlaments- und Ebenen gesellschaftlicher Bewegungen werde munter durcheinander gemixt. Strategische Arbeitsteilung? Was soll das sein? Ist das Lateinisch?
Z.B. dieses Interview der Berliner Kommunalpolitikerin Katalin Gennburg, die von ihrer Interviewerin Ines Schwerdtner/Jacobin nicht im geringsten intellektuell gefordert wird. Wem soll das was nützen? Während die Linkspartei bundesweit mehr als halbiert wurde, verlor sie in Berlin gerade einmal 1,6% (von 15,6). Selbstverständlich verdankte sie das dem Volksentscheid “Deutsche Wohnen enteignen”. Und selbstverständlich ist es schlecht, wenn die Berliner SPD und Teile der Grünen das nur mit spitzen Fingern anfassen.
So eine Koalitionsvereinbarung ist aber nur eine Bestandsaufnahme politökonomischer Kräfteverhältnisse. Die sind veränderbar, im Guten wie im Schlechten. Wie könnte die Berliner Linkspartei das am besten beeinflussen? Klar sind auch aus Opposition heraus politische Erfolge erkämpfbar. Wie sieht das aber in Berlin aus? Haben nicht deswegen – noch – 14% die Linkspartei gewählt, weil sie sich von ihr eine Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse in Berlin erhoffen? Warum sollte sie also mit ihren Koalitionspartner*inne*n von SPD und Grünen nicht in den Infight gehen, für die Mieter*innen der Stadt? Ist das etwa nicht der Job einer Partei, die dafür gewählt wird, die Regierung zu beeinflussen? Werden sie es ihr danken, wenn sie darauf mutwillig verzichtet, weil es so wenig Vergnügen bereitet?
Ich kenne die Berliner Linken-Chefin Katina Schubert gut. Sie begegnete mir das erste Mal als Erstsemesterin am Seminar für Politische Wissenschaften der Universität Bonn. Sie kam als junge Jungsozialistin aus irgendeinem Bergdorf in die nur scheinbar grosse Stadt. Hier entwickelte sie sich, und Bonn war ihr schnell zu klein, die SPD zu rechts. Ein dominierender kontinuierlicher Charakterzug von ihr ist die Freude an der klaren Aus- und Ansprache. Sie ist weder Umarmerin noch Menschenfischerin. Das macht sie nicht bei allen beliebt, vor allem in ihrer eigenen Partei. Ob sie sich nun als Parteichefin eine weitere blutige Nase holt?
Ist eigentlich egal. Was ist besser für die Berliner*innen? Das Versagen der Linken an der Entwicklung einer alternativen gesellschaftlichen Strategie wäre keine Berliner Schrulle, sondern eins von allzu vielen bundesweiten Signalen. Das rechte Bürgertum hierzulande ist nun wahrlich in einer schlimmen intellektuellen Krise. Schaffen es die Linken tatsächlich noch dümmer?
Grüne auch nicht besser
Der ehemalige Abgeordnetenmitarbeiter der Linken im Bundestag und heutige telepolis-Chef Harald Neuber berichtet in seinem Onlinemagazin über eine “Unabhängige Grüne Linke”. Völlig unüblich für den sonst dort gut gepflegten Onlinejournalismus: ohne jede Verlinkung zum Originaltext. Eine egene Meinungsbildung als Leser*in ist unmöglich; er*sie hat nur die Chance, dem Spin Neubers zu folgen, oder das sein zu lassen.
An die Adresse dieser Gruppe ergeben sich noch mehr Fragen. Was ist das für eine Medien- und Veröffentlichungsstrategie? Abgesehen von dem Ja oder Nein zur Koalitionsvereinbarung: warum war sie nicht schon vor und während der Verhandlungen beeinflussend bemerkbar? Hatte sie zu dem ganzen Prozess inhaltlich nichts zu sagen? Oder wusste sie sich nur nicht bemerkbar zu machen?
Das ist so billig, dass ich lieber zum Fremdschämen in den (Wein-!)Keller gehe.
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