Im Jahre 2000 trat das Erneuerbare Energien-Gesetz (EEG) in Kraft. Sein Ursprung liegt jedoch genau 30 Jahre zurück. Der Startschuss fiel im Dezember 1991, als beim Rat der Stadt Aachen ein Bürgerantrag zur Einführung einer kostendeckenden Vergütung für Strom aus Solar- und Windanlagen eingebracht wurde. Antragsteller waren der Solarenergie-Förderverein, der Wind e.V. und sieben weitere Umweltverbände. Das EEG lag damals noch in weiter Ferne.
Ende der Achtziger Jahre hatte der Aachener Ingenieur Wolf von Fabeck, Mitbegründer und langjährige Geschäftsführer des Solarenergie-Fördervereins, das Konzept einer kostendeckenden Vergütung für Solar- und Windstrom entwickelt. Nicht die Investition sollte gefördert werden, sondern die Stromeinspeisung. Die erneuerbaren Energieträger müssten bevorzugter, zumindest aber gleichberechtigter Bestandteil der Stromversorgung werden. Die Stromnetzbetreiber wären zu verpflichten, erneuerbar erzeugten Strom in ihr Netz einzuspeisen und dafür über eine Mindestlaufzeit einen kostendeckenden Preis zu zahlen. Die dabei entstehenden Mehrkosten sollten auf alle Stromkunden umgelegt werden.
Aachen war eine sinnvoll gewählter Ausgangspunkt. Die Stadt verfügt über ein eigenes Stromversorgungsunternehmen und aufgrund der Technischen Hochschulen über hohes Fachwissen und Problembewusstsein. Erneuerbare Energien waren nichts Neues. So wurde Biogas aus Abfall-, Abwasser- und Kompostanlagen verwendet, Fernwärme aus einem benachbarten Braunkohlekraftwerk bezogen und geothermische Energie genutzt (den heißen Quellen verdankt Aachen den Titel ‘Bad’). Nicht ohne Grund wurde Aachen 1992 zu einer von drei deutschen „ökologischen Städten der Zukunft“ gewählt.
Umweltverbände, Politik und Verwaltung erarbeiteten ein tragfähiges Konzept. Dieses sollte die Markteinführung und Verbreitung erneuerbarer Energien beschleunigen und damit den technischen Fortschritt fördern und die Kosten reduzieren. Die Vergütung sollte sich auf die tatsächlichen Kosten beschränken und nicht zu Gewinnen führen. Unter anderem wurde eine Windpotentialstudie erstellt und die Eignung der Aachener Dächer für Solaranlagen ermittelt. Ergebnis: 55 % konnten theoretisch genutzt werden.
Soweit das einleuchtende Konzept, doch die Stromversorger (nicht nur in Aachen) hielten davon nichts. Warum sollten sie für Solar- und Windstrom mehr bezahlen als üblich, und warum sollten sie ihre Kund/innen mit den Mehrkosten belasten? Trotz aller Widerstände fasste der Rat der Stadt Aachen am 30.9.1992 folgenden Beschluss: “Auf Empfehlung des Umweltausschusses spricht sich der Rat der Stadt für eine kostendeckende Vergütung von Solar- und Windstrom aus, die zunächst auf eine Leistung von je 1000 kW für Solar- und Windstrom begrenzt sein soll. Er fordert die vom Rat in die Aufsichtsräte der STAWAG, der ASEAG und der EVA entsandten Vertreter auf, eine Beschlußfassung in den jeweiligen Aufsichtsräten herbeizuführen, die eine solche Regelung in energierechtlich und steuerrechtlich zulässiger Weise mit Beginn des Jahres 1993 vorsieht.”
Im Juni 1993, im Juni 1994 und im August 1994 wiederholte und präzisierte der Stadtrat seine Entscheidung. Die eindeutigen Vorgaben und Weisungen trafen jedoch auf den erbitterten und hartnäckigen Widerstand der leitenden Angestellten der städtischen Energieversorgungsunternehmen STAWAG und ASEAG, denen es gelang, die Umsetzung der Ratsbeschlüsse jahrelang zu blockieren. Dabei wurde insbesondere behauptet, dass die entstehenden Zusatzkosten aus tarifrechtlichen Gründen nicht über eine Strompreiserhöhung an die Endverbraucher weitergegeben werden könnten.
Der zuständige Aachener Beigeordnete Dr. Heinrich Getz setzte sich jedoch engagiert für die Förderung erneuerbarer Energie und für die Umsetzung des kostendeckenden Vergütungsmodells ein. Als dem Autor Anfang 1995 das Umweltdezernat in Aachen übertragen wurde, lag die Verantwortung für die Realisierung des Konzepts bei ihm.
Wesentliche Rückendeckung bekam Aachen von Dr. Schulte-Janson von der Strompreisaufsicht Düsseldorf. Er setzte sich gegen seinen Wirtschaftsminister durch, ließ gutachterlich die Konformität des Aachener Modells mit den bestehenden Gesetzen und Verordnungen nachweisen und genehmigte die Umlage der Mehrkosten. Der Gutachter hatte dargelegt, dass die Interessen des Umweltschutzes und der Ressourcenschonung gleichberechtigt neben den energiewirtschaftlichen Parametern (Versorgungssicherheit, Preisgünstigkeit, sparsamer Umgang) stünden. Die Stromaufsichtsbehörden in anderen Bundesländern folgten.
Vorgabe der Landesregierung war, dass die Strompreiserhöhung maximal 1 % betragen durfte. Dies ergab ein Fördervolumen von 2,8 Mio. DM, mit dem maximal 2 % des Aachener Stromverbrauchs zu erzeugen wären. Die Durchschnittsfamilie wäre dann mit monatlich 0,75 DM belastet worden.
Am 1.3.1995 beschloss der Aufsichtsrat der Aachener Energieholding EVA Richtlinien für die Förderung der Stromerzeugung aus Sonnenenergie, Windkraft und Biogas. Der Stadtrat bekräftigte diese Regelung drei Wochen später mit überwältigender Mehrheit. Für Photovoltaik wurden 2,00 DM/kwh gezahlt (bei subventionierten Anlagen 1,10 bis 1,20 DM/kwh), für Windstrom 0,21 bis 0,30 DM/kwh. Die Förderdauer für Solarenergie lag bei 20 Jahren, für Windkraft bei 15 Jahren.
Da die Umsetzung des Modells in Aachen vier Jahre gedauert hatte, hatten vier andere Kommunen schneller gehandelt. Aachen war jedoch der Initiator gewesen und hatte am hartnäckigsten für die kostendeckende Vergütung gekämpft. Daher verbreitete sich der Name „Aachener Modell“. Insgesamt wurde es von fast 50 Städten und Gemeinden übernommen, auch in Österreich und der Schweiz.
Die erhoffte Wirkung trat ein. Der Bau der Anlagen rentierte sich, innerhalb von 28 Monaten verzehnfachte sich die Erzeugung von Solarstrom. Die Preise für Solaranlagen und damit die Stromerzeugungskosten sanken spürbar. Daher konnten die Vergütungssätze für Solaranlagen, die in der Folgezeit errichtet wurden, gesenkt werden. Es pendelte sich eine Vergütung von 1,80 DM/kwh ein, bei Windkraft zwischen 0,18 und 0,20 DM/kwh.
Der Bau von Windkraftanlagen kam nicht recht in Schwung, weil die Stadt Aachen kaum Genehmigungen erteilte und statt dessen mit dem Ziel einer Flächenkonzentration und der Nutzung der windreichsten Flächen die Planung eines Windparks betrieb. Dessen Baubeginn war 1997. Das städtische Energieversorgungsunternehmen engagierte sich und bot Aachens Bürger/innen eine Beteiligung an. Die neun Anlagen des Windparks hatten eine Leistung von jeweils 1,5 oder 1,8 MW.
Der Ruf des Aachener Modells beschränkte sich nicht auf Deutschland. Selbst im fernen Japan interessierte man sich für dieses Instrument zur Förderung der erneuerbaren Energien. So wurde der Autor als Aachener Umweltdezernent 1995 und 1997 zu Vorträgen auf Fachtagungen der New Energy Foundation in Tokio und in Kyoto eingeladen. Im Gegenzug besuchten japanische Fernsehteams dreimal Aachen, um über das Aachener Modell zu berichten.
Das 2000 in Kraft getretene Erneuerbare Energien-Gesetz übernahm die Grundidee des Aachener Modells und weitete sie auf ganz Deutschland aus. Sein Vorgänger, das Energieeinspeisungsgesetz von 1991, hatte zwar die Verpflichtung der Energieversorger begründet, Wind- uns Solarstrom einzuspeisen, gewährte jedoch keine kostendeckende Vergütung. Für Wind- und Solarstrom wurden 8,23 Cent/kwh bezahlt. Mit Einführung des EEG stieg die Vergütung auf 6,2 bis 9,1 Cent/kwh für Windstrom und 48,1 bis 50,6 Cent/kwh für Solarstrom. Zur Finanzierung der Kosten, die den Stromversorgern dadurch entstehen, wird seitdem vom Verbraucher eine sogenannte EEG-Umlage erhoben. Sie lag 2000 bei 0,2 Cent/kwh, 2019 jedoch schon bei 6,4 Cent/kwh. Laut Koalitionsvertrag der Ampel-Fraktionen soll sie ab 2023 entfallen.
Das EEG gilt als zentrales Steuerungsinstrument für den Ausbau der erneuerbaren Energien. Es soll die Energieversorgung umbauen und den Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung bis 2030 auf mindestens 80 Prozent steigern. Bei insgesamt acht Novellierungen ist das EEG immer wieder der aktuellen Entwicklung angepasst worden. Laut Windkraft-Journal von 17.3.2014 ist das EEG weltweit Vorbild für mehr als 100 Erneuerbare-Energien-Gesetze geworden. Made in Aachen.
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