Mit der Aufrüstung der Ukraine
Eine auffällige Einseitigkeit der Berichterstattung zugunsten von Waffenlieferungen rieselt derzeit durch die demokratische Öffentlichkeit und prasselt auf die Ampelkoalition und insbesondere die Grünen herab. Ob Deutschlandfunk oder ZDF, ARD oder Privatsender: es scheint nur noch darum zu gehen, Politiker*innen in die Enge zu treiben – über die Folgen einer steigenden Kriegsgefahr in Europa wird wenig nachgedacht. Vorbei sind die Zeiten, als Korrespondent*innen in Moskau oder Washington vom Kaliber Gabriele Krone-Schmalz, Gerd Ruge, Thomas Roth, oder Fritz Pleitgen sich selbst als einen Teil der demokratischen Kultur der Bundesrepublik und ihrer besonderen Rolle in der Geschichte empfanden. Und Politiker*innen, egal welcher Partei zunächst nach dem Weg zum Frieden zu befragen – so schwierig das teilweise im Kalten Krieg war. Heute ist dagegen Krawall angesagt und eben auch Kriegsdrohung – hauptsache Effekthascherei, hauptsache Quote.
Medien ohne jede Verantwortung für den Frieden in Europa?
Der “Bericht aus Berlin” der ARD machte am Sonntag erst einmal die Lieferung von 5.000 Helmen an die Ukraine lächerlich, FAZ und andere forderten, der Ukraine Haubitzen aus NVA-Beständen zu liefern, haben keine Skrupel, Politiker zum offensichtlichen Rechtsbruch, dem Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz aufzufordern, das Waffenlieferungen in Krisen- und Spannungsgebiete untersagt. Recht und Gesetz – egal. Der naßforsche Moderator des “Bericht aus Berlin”, Martin Schmidt, konnte nicht genug davon bekommen, den frischgebackenen Grünen-Vorsitzenden Nouripour nun endlich ein Zugeständnis zu Waffenlieferungen zu entlocken. Wobei diesem journalistischen Grünschnabel Gesetze vor lauter Krawalljournalismus völlig egal waren. Friedensordnung in Europa – nie davon gehört. Die Verpflichtung auch der Medien zum Frieden – wo steht das denn? Zum Beispiel in den Landesverfassungen der Länder, die die Medienstaatsverträge schließen und WDR, SWF, NDR und alle anderen öffentlich-rechtlichen Anstalten beaufsichtigen.
Da wird Nouripour mit einem Einspieler mit der Grünen Marieluise Beck konfrontiert, die behauptet, Waffenlieferungen an die Ukraine seien auf jeden Fall gerechtfertigt. Frau Beck steht damit im Grünen Spektrum völlig isoliert da, aber ihre und ihres Mannes Ralf Fücks’ Aktivitäten wurden seit 2017 aus dem Bundespresseamt Angela Merkels mit jährlich 300.000 €, seit 2020 mit 500.000 € gefördert. Das “politische Familienunternehmen” Ralf Fücks – Marie-Luise Beck in Form einer gemeinnützigen GmbH, “Liberale Moderne” ist weder modern, noch liberal, sondern für kriegstreiberische Stellungnahmen wie der Becks berüchtigt und bekam bisher jede Menge Fördergelder aus dem Kanzlerinnenamt Merkel, die Fücks und Beck vor allem für eine “harte Haltung” gegenüber Russland nutzten – ein spezielles schwarz-grünes Projekt aus der Zeit der angestrebten “Jamaika”-Koalition. Der Autor wettet, dass die Redaktion des “Bericht aus Berlin” von diesem Hintergrund keinen Schimmer hat, obwohl die Zahlen im Bundeshaushalt Einzelplan 04 stehen.
Billiger Krawall statt anstrengender Aufklärung
Friedensforschungsinstitute über die Rüstung zurate ziehen? Strategien der Diplomatie diskutieren? Die Interessenlage der Beteiligten analysieren? – Fehlanzeige! Lieber befragt der Deutschlandfunk in der Hörersprechstunde z.B. am 31.1. die Vox Populi, wie man den “den Russen” und natürlich “den Putin”am besten abschrecken könne. Hallo? Ist das hier Mitteleuropa im 21. Jahrhundert, Klimakrise, Corona, EU, Deutschland, Planet Erde? Der “Kalte Krieg” ist zurück und zur öffentlichen Mobilmachung – ideologisch und demnächst vielleicht auch faktisch – scheint es keine Alternative, kein Halten mehr zu geben. Ist das die gezielte Ableitung eines kollektiven Aggressionsstaus aufgrund von Corona in aggressive Kriegsrhetorik bis hin zur Kriegsbereitschaft? Haben wir nicht Klimaziele zu erreichen, schmilzt Putin nicht demnächst der Permafrost Sibiriens unter dem Allerwertesten dahin und hat der nicht eigentlich auch ganz andere Sorgen, weil Immissionen sein Land zerstören und uns alle betreffen? Könnte mancher auch öffentlich-rechtliche Journalismus, statt auf Krawall zu setzen, vielleicht einmal ein paar Fakten und Hintergründe recherchieren? Die seit Tagen in den Raum gestellte These, Deutschland täte nicht genügend für die Ukraine, würde sich sofort in ein unbegründetes Ideologiewölkchen auflösen.
Deutschland tut eine Menge für die Ukraine – Korruption verhindert friedliche Entwicklung
Für Joe Biden sei es extra laut gesagt: Gefördert wurde die Ukraine seit 2014 mit weit über 1,4 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt. Soviel zum Vorwurf der USA und anderer Verbündeter, worin denn die Solidarität Deutschlands zur Ukraine bestehe. Es ist Bundesaußenministerin Baerbock hoch anzurechnen, dass sie sich in der Tradition einer sachlichen und angemessenen, deeskalierenden Außenpolitik hat nicht dazu hinreissen lassen, vor dem allgemeinen Säbelrasseln einzuknicken, sondern Kurs hält, um mit Verhandlungen und klarer Kante die deutsche Position der Gesprächs- und Verhandlungsbereitschaft weiter offen zu halten. Denn in manchen unbedachten Äußerungen auch aus dem Weißen Haus unter Joe Biden liegt eine interessengeleitete Ignoranz gegenüber den Europäischen und insbesondere deutschen Hilfen für die Ukraine.
Baerbock hat Herausforderungen mit Bravour gemeistert
Das “Handelsblatt” hat schon 2014 eine interessante Bilanz aufgemacht: Die Milliarden-Zusagen von EU und IWF seien erheblich. Trotz der Kosten hält der Berenberg-Ökonom Schulz die Finanzhilfen für sinnvoll. Und bereits 2014 bekannte das Handelsblatt: „Militärisch kann die Ukraine die Krim nicht wiedergewinnen und die Ostukraine nicht sichern“. Die langfristige Perspektive einer stärkeren Integration in die Europäische Union jedoch habe schon viele osteuropäische Länder stabilisiert, demokratisiert und zu verlässlichen Partnern gemacht. Es ist schon verwunderlich, dass solche Positionen von 2014 heute unter den Bedingungen einer allgemeinen ideologischen Kriegsrhetorik als nahezu ketzerisch verurteilt werden.
Massive Hilfen werden verleugnet, Ökonomie vernachlässigt
Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die EU haben der Ukraine seit Mitte des Jahrzehnts massive Hilfen in Aussicht gestellt. Die Europäische Union hat der Ukraine elf Milliarden Euro bis 2020 gegeben. Die Hilfe sollte aus folgenden Komponenten bestehen: Kredite der Europäischen Investitionsbank (EIB) und der Europäischen Entwicklungsbank Banken sowie Deutschland lassen sich die wirtschaftliche Stabilisierung der Ukraine jährlich Milliarden kosten. Dabei hat die Ukraine nach wie vor Probleme, ihre Wirtschaft auf ein modernes Niveau zu bringen. Innerhalb des Wirtschaftssystems COMECON der ehemaligen Sowjetunion war die Ukraine Kohle- und Stahlstandort, sowie Zentrum der Produktion von Waffen. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 erbte die Ukraine neben Atomwaffen (auf die sie 1994 vertraglich verzichtete) mehr als 6500 Panzer, 7200 Artilleriegeschütze, 1500 Kampfflugzeuge, 710 Angriffshubschrauber und 922 Kriegsschiffe. Damit wurde sie zur viertgrössten Militärmacht hinter den USA, Russland und China.
Bis an die Zähne bewaffnet
Ein Großteil dieser schweren Waffen wurde wegen mangelnder Wartung unbrauchbar oder als Überschüsse ins Ausland verscherbelt. Anfang 2013 hatte die Ukraine gemäß dem Vertrag über die konventionellen Streitkräfte in Europa (KSE) immer noch 2311 Kampfpanzer, 3782 gepanzerte Mannschaftstransporter, 3101 Artilleriegeschütze, 501 Kampfflugzeuge und 121 Angriffshubschrauber. Außerdem hortet sie sieben Millionen Handfeuerwaffen, vor allem Kalaschnikows. Zum Vergleich: Die Bundeswehr verfügt derzeit über 263 Kampfpanzer vom Typ Leopard und etwa 140 Kampfjets vom Typ “Eurofighter”, von denen etwa 35 Maschinen einsatzbereit sind. Über das Waffenhandelszentrum Ukraine berichtete die “Frankfurter Rundschau”: “Die Verschiffung ihrer Waren in Krisengebiete rund um den Erdball überlassen diese Staatsfirmen privaten Unternehmen, die ihren Sitz vornehmlich in Odessa (Ukraine) haben und ihre Geschäfte über litauische Banken abwickeln. Auf diese Weise lieferte die Ukraine schwere Waffen unter anderen an China, Indien, Pakistan, Thailand, Iran, Syrien, Angola, Äthiopien, Nigeria, Uganda, die Demokratische Republik Kongo und den Sudan. In Fachkreisen ist das ‘Odessa Network’ ein Begriff. Von der Hafenstadt am Schwarzen Meer aus ziehen die locker vernetzten Waffenhändler ihre Fäden”. Insofern ist das Gejammer ukrainischer Politik nach Waffenlieferungen aus Deutschland verlogen und heuchlerisch.
Ukrainische Oligarchen und ihre Rüstungsgeschäfte
Präsident Selenski steht im Prinzip vor dem gleiche Problem der Oligarchenherrschaft, mit dem Putin in Russland fertig werden muss. So ist etwa Rinat Achmetov 5,5 Mrd Dollar schwer und von der Regierung kaum zu kontrollieren. Zur Riege der Oligarchen gehören auch Ihor Kolomojskyj, oder Petro Oleksijowytsch Poroschenko, 1,6 Mrd Dollar schwerer “Schokoladenkönig” und bis 2019 Präsident der Ukraine und Wiktor Pintschuk, zweitreichster Mann der Ukraine mit besten Verbindungen in die USA. Wie viel Gewinn der Export militärischer Überschüsse und moderner Waffen dem ukrainischen Staat einbringt, ist schwer herauszufinden. Nach Ansicht von Experten fließen bis zu 90 Prozent der Summen in die Taschen korrupter Regierungsbeamter und Militärs. Daraus zu schließen, dass die Ukrainer nur veraltete Waffen herstellen und an Entwicklungsländer verramschen, wäre aber voreilig. Zwar ist der Großteil der ukrainischen Waffen mehr als 25 Jahre alt. Aber auch die Separatisten der Krim kämpfen mit solchem Gerät. Moskau und Kiew haben sogar bis zu ihrem Zerwürfnis gemeinsam in neue Technologien investiert. 2014 stellte Kiew ein neues Militärtransportflugzeug der Antonow-Reihe vor, das auf sehr kurzen Pisten landen kann. Zudem ist der kaum regulierte Waffenhandel innerhalb der Ukraine nach wie vor ein politisches Problem der Stabilisierung des Landes. Noch 2014 berichtete etwa der Deutschlandfunk über die Waffengesetze, die es im Prinzip erlauben, in fast jedem Supermarkt eine Kalaschnikow zu erwerben.
Ein absurdes Märchen von der wehrlosen Ukraine?
Von Russland und der Ukraine entwickelte tragbare Anti-Panzer-Raketen sind den „Javellin“-Lenkwaffen aus den USA durchaus ebenbürtig. Und wie jedes Jahr im September findet in Kiew ein „Internationaler Rüstungs- und Sicherheitssalon“ statt, auf dem die Ukrainer ihre Produkte ausstellen. Die Realität der Ukraine ist deshalb wesentlich komplizierter, als sie uns täglich im Rahmen der Berichterstattung über die Spannungen und Drohungen Russlands präsentiert wird. Der Länderbericht des renommierten Bonn international centre for conflict studies “bicc” über Waffenexporte sagt im Dezember 2021 aus: “Der andauernde Gewaltkonflikt im Osten der Ukraine hat zu einer deutlichen Steigerung der Militarisierung des Landes geführt, sodass das Land heute zu den am höchsten militarisierten Staaten weltweit zählt.” Die Militärausgaben, gemessen als Anteil des Bruttoinlandproduktes, stieg laut Bundeszentrale für politische Bildung beispielsweise seit dem Jahr 2010 von 1,9 auf zuletzt 4,1 Prozent (oder in absoluten Zahlen: von etwa 2,2 Mrd. auf rund 6 Milliarden US-Dollar) 2020. Die Anzahl des militärischen und paramilitärischen Personals wurde deutlich vergrößert; zu 209.000 aktiven Soldaten der ukrainischen Armee kamen 2020 etwa 102.000 Grenzschutzkräfte und paramilitärische Truppen sowie mobilisierbare 900.000 Reservisten.
Die bestehenden Großwaffensysteme wurden umfassend modernisiert und durch Waffenlieferungen der USA und Großbritanniens ergänzt. Im Ranking des Globalen Militarisierungsindex vom 23.12.2021 belegt das Land für das Jahr 2020 daher Platz 16 von 151 Staaten – 2012 lag die Ukraine noch auf Platz 47. Laut dem Stockholmer Institut zur Rüstungskontrolle SIPRI ist die Ukraine vor allem ein Rüstungsexportland. Zwischen 2001 und 2018 gehörte sie laut der Sipri-Datenbank zu den fünfzehn größten Rüstungsexporteuren der Welt (Platz 11). Sie belieferte in diesem Zeitraum zahlreiche Staaten mit Rüstungsgütern – vor allem China, Russland, Aserbaidschan, Indien und Thailand. Wo kommt all dieses Geld an? Wofür verwendet die Ukaraine die Milliardenhilfen der EU? Was sieht die Bevölkerung davon?
Milliarden des IWF in die Tonne getreten?
Der IWF verlangt von Kiew im Gegenzug für die Milliarden, “den Rechtsstaat zu stärken und Korruption anzugehen, Wettbewerb zu fördern, Märkte zu öffnen, die Rolle des Staates und der Oligarchen zu verringern, (…) die Unabhängigkeit der Zentralbank und finanzielle Stabilität zu sichern”, so IWF-Sprecher Gerry Rice Mitte Februar 2021. Rice betonte, Reformen müssten erfolgen, bevor die IWF-Direktoren dem Kredit verbindlich zustimmen und der erste Dollar überwiesen wird. Die Rolle der Oligarchen zu verringern, also der Wirtschaft, Medien und Politik dominierenden Milliardäre, heißt im Klartext, auch etwa den Einfluss von Achmetow zurückzudrängen, dem reichsten Mann der Ukraine. Und den von Ihor Kolomoiskij, dessen Unterstützung durch seinen Fernsehsender 1+1 mitentscheidend dafür war, dass aus dem einen Präsidenten spielenden Fernsehkomiker Wolodimir Selenskij der echte Präsident der Ukraine wurde. Der IWF verlangt von Kiew, mehr zu tun, um zumindest einen Teil der rund 15 Milliarden Dollar zurückzubekommen, die ukrainischen Offiziellen zufolge im vergangenen Jahrzehnt aus über 100 Banken gestohlen wurden.
Zwischen “Failed State”, Opfer Putins und Instrument des Westens
Die Ukraine ist mitnichten der eindeutig von Russland bedrohte Staat, für den ihn manche selbsternannte “Freiheitskämpfer*innen” ausgeben wollen. Die Ukraine hat als ehemalige Sowjetrepublik das gleiche Problem, wie Russland, sie hat das Trauma der Transformation vom “realen Sozialismus” und der Arbeitsteilung des COMECON – die einen bauten Flugzeuge, die anderen Kleinwaffen, dritte Lokomotiven – in den Kapitalismus noch lange nicht erholt, keine eigene ökonomische Linie gefunden. Die Vorgänge auf dem Maidan, die bis heute nicht aufgearbeitet sind, verschleiern Übergriffe und Manipulationen des Westens ebenso wie die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch russische Freischärler. Leidtragende der Situation sind die Ukrainer*innen, die unter einer wachsenden Blockkonfrontation zwischen USA, der NATO und Russland leiden. Im Interesse des Friedens in Europa kann es weder eine militärische, noch eine einfache, auf die Ukraine beschränkte Lösung dieses Dilemmas geben, sondern nur eine, die im Rahmen einer gesamteuropäischen Friedensordnung in einem langwierigen und ehrlichen Verhandlungsprozess zu finden ist.
Wie groß ist die Gefahr eines russischen Angriffs?
Auch wer im 21. Jahrhundert erfolgreich einen Landkrieg führen will, braucht eine 3:1-, besser 4:1-Überlegenheit. Die Konzentration von 100.000 russischen Streitkräften an der Grenze zur Ukraine ist provokativ, unnötig und kriegstreibend, aber nicht geeignet für einen erfolgreichen militärischen Überfall auf die Ukraine. Sie ist eher Zeichen einer politischen Ratlosigkeit Russlands gegenüber der anhaltenden Assimilation von Staaten der ehemaligen Sowjetunion wie Moldavien, Georgien, Ukraine, möglicherweise auch irgendwann Weissrusslands durch EU und NATO, die aus russischer Sicht den Versuch einer diplomatischen Erpressung als Befreiungsschlag für Verhandlungen rechtfertigt. Der Westen sollte, anstatt die Konfrontation weiter zu führen, dies als Warnsignal einer in die Enge getriebenen Strategie begreifen und ernstnehmen. Denn in die Enge getriebene Antagonisten drohen immer, unberechenbar und zu einer ernsten Gefahr für den Frieden zu werden. Das gilt um so mehr, wenn sie über Atomwaffen verfügen.
Europa und die Blockkonfrontation am Scheideweg
Die Sanktionspolitik der EU gegen Russland ist gescheitert, denn sie hat nichts für mehr Offenheit oder Demokratie für die Menschen in Russland bewegt. Weder haben dadurch Schwule und Lesben mehr Bürgerrechte, noch wurden nationalistische und faschistische Gruppen geschwächt. Im Gegenteil – Putin stützt seine Macht auch auf diese Kreise. Der Westen drückt sich um diese Erkenntnis und stilisiert stattdessen mit Alexei Nawalny einen politischen Rivalen Putins zur demokratischen Ikone, der selbst aufgrund seiner politischen Positionen zumindest Zweifel weckt, diesem westlichen Wunschbild zu entsprechen.
Gleichzeitig drückt sich der Westen wissentlich um eine Geste, die Russlands Interesse nach Sicherheit nachhaltig stärken könnte. Das formalistische Offenhalten der NATO-Beitrittsfrage (“wir können nach unserem Statut niemand verbieten, beizutreten”) gepaart mit der aus Sicht Russlands mehr als fadenscheinigen Beschwichtigung (“die Frage eines NATO-Beitritts stellt sich derzeit nicht, weil die Ukraine nicht den Kriterien genügt”) drückt sich um die Entscheidung herum, die von Russland seit 1990 subjektiv erfahrene Einkreisung durch ein solides Friedensabkommen dauerhaft aufzugeben und damit eine stabile Friedensordnung in Europa zu begründen. Zwar kann niemand einem Staat verbieten, Mitglied der NATO werden zu wollen, aber die EU und die NATO und die beteiligten Länder können in einem Abkommen mit Russland natürlich vereinbaren, welche Staaten NATO-Mitglied sind, welche sich verpflichten, es nicht anzustreben und welche neutral und blockfrei sind. Und die NATO kann auch einen Aufnahmestopp beschließen. Das hat von 1945 bis 1990 Europa schon einmal den Schutz vor Krieg gebracht – wenn auch noch nicht Frieden. Das, was Europa im Dialog mit Russland nun leisten muss, ist eine Art KSZE-2-Prozess mit souveränen Teilnehmerstaaten, an deren Ende ein echter Interessenausgleich und ein friedliches Europa stehen muss, das sich gemeinsam den Herausforderungen des Klimawandels und der sozialen Gerechtigkeit stellt.
Vielen Dank an Roland Appel.
Sein Artikel macht deutlich, was – im Blick auf den Ukraine-Konflikt – auch von den öffentlich-rechtlichen Anstalten verschwiegen oder absichtlich verdreht wird. Es wird höchste Zeit, dass die zuständigen Instanzen den vom Autor angesprochenen Staatsverträgen, die die seriöse Information sichern sollen, zur Geltung verhelfen.
Als alter Mann, der sein Berufsleben als Journalist tätig war, bin ich entsetzt über viele Berufskollegen, die – bedenkenlos – einem Nato-Narrativ nachplappern. Andraes Zumach hat neulich im Beueler Extra-Dienst akribisch nachgewiesen, dass sie Desinformation betreiben und damit den Konflikt anheizen.
Herzlichen Dank, jetzt habe ich noch eine Reihe weiterer (handfester !) Argumente. Schade, dass man diesen Text nicht in jeden Briefkasten stecken kann. Gäbe es die Möglichkeit, ihn als Anzeige zu veröffentlichen. Da würde ich mich gern finanziell beteiligen.
Lieber Roland,
nur drei Anmerkungen:
Wenn Du die Zahl der von der UdSSR geerbten Panzer im Besitz der Ukraine nennst und dazu vergleichend die Zahl der einsatzbereiten Panzer oder Flugzeuge der Bundeswehr, dann müsstest Du uns auch wissen lassen, wie viele der Alt-Panzer und Jets der Ukraine einsatztauglich sind. Sonst ist das etwas – wie soll ich sagen – asymmetrisch in der Darstellung.
Wenn Du – zur Diskreditierung der Argumente des Zentrums Liberale Moderne – auf dessen Finanzierung durch das Kanzlerinnenamt der Ära Merkel hinweist, dann solltest Du auch darauf hinweisen, dass aus dem selben Etattitel das Progressive Zentrum in selber Höhe finanziert wird, ferner Aspen, Europa-Union u.a.
Die Finanzierung (institutionelle Förderung) erfolgt üblicherweise nicht für das Haben einer Meinung, sondern für kontinuierlich erbrachte Leistungen beispielsweise im Bereich der politischen Bildung.
Du erwähnst den extremen Anstieg der Militärausgaben in der Ukraine im Vergleich 2012 / 2019. Fällt Dir irgendein Ereignis zwischen 2012 und 2019 ein, dass die subjektive Sicherheitswahrnehmung in der Ukraine beeinflusst haben könnte? (Fängt mit K an und hört mit rim auf.)
Beste Grüße
Christian Walther
Lieber Christian,
die einzigen vagen Zahlen über die Einsatzbereitschaft von Panzern gibt “Die Presse” Wien her, 750 im Einsatz und 1.200 in Reserve. Ohne Zeitangabe der Erhebung allerdings wenig brauchbar – aber auch nicht strategisch signifikant schwächer, als 2311.
Die Kampfflugzeuge sind laut unterschiedlicher Quellen größtenteils einsatzfähig und von neuester Bauart.
Besonders auffällig ist aber, dass sich die Ukraine 2021 in großer Zahl mit bewaffneten Kampfdrohnen ausgestattet hat, darunter die meisten vom Typ Bayraktar TB 2. Aserbaidschan setzte diese türkische Kampfdrohne vor einem Jahr im Konflikt mit Armenien kriegsentscheidend ein. Seitdem ist diese Drohne international äußerst begehrt. Die Türkei hat diese Drohnen, die über ein deutsches Zielerfassungssystem verfügen, unter anderem an die Ukraine verkauft, deren Regierung diese auch bereits eingesetzt hat, z.B. gegen eine prorussische Stellung im Donbas. Das Zielerfassungssystem baut die deutschen Firma Hensoldt. Die Bundesregierung ist mit einer Sperrminorität von 25,1% an der Firma „Hensoldt” beteiligt, die über ihre südafrikanische Tochterfirma Zielerfassungssysteme an die Türkei liefert.
Die Recherche beim ZDF hat das Magazin „Frontal“ gemacht, wo auf der ZDF-Homepage alle Details nachzulesen sind unter:
https://www.zdf.de/nachrichten/politik/kampfdrohnen-tuerkei-hensoldt-100.html
Im übrigen muss die Frage erlaubt sein, ob es die Aufgabe des Bundespresseamts sein kann, sogenannte “Thinktanks” die eindeutig politischen Einfluss nehmen, aus Mitteln des Bundeshaushalts institutionell(!) zu fördern. Ich halte in der Tat die im EPL. 04 kap. 432 Titel 685 06 privilegierten Institutionen für politisch weder unabhängig, noch neutral, ihre Rolle aber für äußerst fragwürdig.