Beueler-Extradienst

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Putins Überfall

Barbarischer Imperialismus des 19.Jahrhunderts
Der kriegerische Überfall der russischen Oligarchie auf die Ukraine ist eine Zäsur in fünfundsiebzig Jahren Politik in Europa. Dafür gibt es keinerlei Rechtfertigung. Es ist, wie Bundeskanzler Olaf Scholz richtig formuliert hat, “Putins Krieg”. Jenseits der uneinschätzbaren Zahl von Menschenleben, die dieser militärische Überfall voraussichtlich kosten wird, ist dies ein anachronistischer Angriff auf die in Europa als gewachsen geglaubte zivilisatorische Entwicklung, nach der Krieg und die Veränderung von Landesgrenzen mit Gewalt niemals mehr die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sein dürfe. Viele, der Autor eingeschlossen, haben nicht geglaubt, dass Putin diese zivilisatorische Schwelle wirklich unterschreiten würde. Ich habe mich geirrt.

Krieg in Europa nach 75 Jahren

Dieses Prinzip geht zurück auf den “Kalten Krieg” und wurde etwa in den Ostverträgen der Bundesrepublik Deutschland mit Polen und der Sowjetunion in den 70er Jahren als Gewaltverzicht verbindlich formuliert und hat in allen Vereinbarungen des KSZE-Prozesses 1975 seinen Niederschlag gefunden. Nach der Niederschlagung des Ungarn-Aufstandes 1953 und dem Einmarsch der Sowjetunion in Prag 1968, bei denen es sich ebenfalls um fingierte “Hilferufe” – allerdings innerhalb des damaligen kommunistischen Militärbündnisses “Warschauer Pakt” – handelte, hat es keine vergleichbaren Überfall auf einen souveränen europäischen Staat gegeben. Ziel ist, wie von Putin angekündigt, ein kurzer Krieg zur Herbeiführung eines Regimewechsels in der Ukraine. Es ist allerdings fraglich, obwohl es den russischen Truppen mit Luftschlägen gelungen ist, militärische Einrichtungen und Infrastruktur der Ukraine auszuschalten, ob Putins “Blitzkrieg” Erfolg haben wird. Wenn die etwa 300.000 Personen starken ukrainischen Streit- und Grenzschutzkräfte und die aktuell in Mobilisierung befindlichen 900.000 Reservisten bewaffnet würden, drohte auch die Gefahr eines für beide Seiten verlustreichen Gemetzels oder gar Guerillakrieges. Mit allen erheblichen Menschenverlusten, ökonomischen und ökologischen Schäden in der Ukraine, aber auch die Gefahr für Putin, den Rückhalt bei seiner eigenen Bevölkerung zu verlieren. So meinte heute im DLF der lettische Präsident Egils Levits, dies könne auch der Anfang vom Ende des russischen Regimes sein.

Elementare Grundpfeiler internationaler Sicherheit verletzt

Die Begründung von Putins Übergriff ist eine verquaste Legendenmischung von angeblichem Genozid der ukrainischen Regierung an “den russischen Menschen” – Ideologie aus offensichtlich nationalistischen Motiven. Die Behauptung, “die Väter, Großväter und Vorfahren hätten nicht gegen die Nazis gekämpft, um das russische Volk wieder Nazis auszuliefern” ist die zynische Konstruktion einer Wirklichkeit, wie sie wohl die Isolation der Herrscherclique innerhalb der Kreml-Mauern stark begünstigt. Gleichwohl zeigt die Verbreitung derartiger Fake-News, dass Putin als Herrscher im Geist des Imperialismus und Nationalismus des 19.Jahrhunderts handelt.  Das bringt die Außen- und Sicherheitspolitik Europas an einen gefährlichen Wendepunkt: Wesentliche Prinzipien wie der grundsätzliche Gewaltverzicht bei der Regelung territorialer Konflikte, der Grundsatz “Pacta sunt servanda” – Verträge gelten, auch wenn sich Regierungen ändern, sowie die Achtung gegenseitiger Sicherheitsinteressen und der UNO-Statuten haben keine verbindliche Gültigkeit mehr. Der Überfall macht klar, dass Putin mit Emanuel Macron und Olaf Scholz seinen Gesprächspartnern ins Gesicht gelogen hat, indem er ein Ende der Manöver und Truppenrückzüge vorgespiegelt hat. Ein diplomatischer Affront, ein Terrorakt unter dem Niveau der Taliban.

Russland zukünftig völlig unberechenbar

Dieser Rückschritt in der Entwicklung internationaler Beziehungen muss insbesondere im Hinblick auf die Möglichkeit und Wirksamkeit von Verhandlungen mit Russland generell, aber auch der Frage der Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit Russlands für die Zukunft in Frage stellen. Wer wie Putin das Minsker Abkommen vom Tisch gefegt und für obsolet erklärt, muss sich die Frage gefallen lassen, inwiefern er glaubt, nach welchen Verhandlungen oder Gesprächen auch immer überhaupt noch ein ernst zu nehmender Partner sein zu können. Auch der Umgang mit internationalem Recht, indem man zum einen besetzte Teile eines anderen Staates, die Provinzen Donezk und Lugansk, als “Souverän” anerkennt, um sie im gleichen Gegenzug zu besetzen, mit dem Ziel, sie sich einzuverleiben, ist schon abenteuerlich. Ebenso absurd, wie die Behauptung, dass die Ukraine, die sich 1992 mit 93% der Bevölkerung als unabhängig erklärt hat, kein souveräner Staat sei, um einen Angriffskrieg führen zu können, der darauf gerichtet ist, dort einen Regimewechsel herbeizuführen. Und noch schändlicher, er hat Staaten, die der Ukraine zu Hilfe kommen, unverhohlen mit den Einsatz von Atomraketen gedroht. Mit diesem irrlichternden und unberechenbaren Handeln hat Putin sein Land im Prinzip aus dem Kreis der rational und berechenbar handelnden Staaten selbst hinaus katapultiert.

Gemeinsamen Handeln der EU und NATO erforderlich

Die von der Bundesregierung und der EU jetzt gemeinsam mit den NATO-Partnern beschlossenen und noch zu beschließenden Sanktionen sind notwendig und hoffentlich auch wirkungsvoll, um Putin deutlich zu machen, dass der begonnene Angriffskrieg schwerwiegende Folgen haben muss und nicht hingenommen werden kann. Dabei ist wichtig, dass neben Sanktionen im Finanz-, Energie- und technologischen Sektor  auch solche Sanktionen nicht tabu sein dürfen, wie das Einfrieren des Vermögens oder die Enteignung des Immobilienbesitzes russischer Oligarchen in Metropolen wie London, Paris oder Berlin. Aber auch für den gewohnten Alltag werden solche Sanktionen nicht ohne Wirkung bleiben – von der Steigerung der Energie- und Kraftstoffkosten bis zum Boykott von internationalen kommerziellen Sportereignissen, der Champions League in St.Petersburg oder der Formel 1 in Sotschi. Und die dubiosen “goldenen Staatsbürgerschaften” für Russen in Großbritannien, der Isle of Man, Zypern und Malta müssen ein Ende haben. Robert Habeck hat deutlich gemacht,  dass der Krieg in der Ukraine nicht ein Hindernis sein darf, sondern ein Ansporn sein muss, die Energiewende voran zu treiben und schneller als bisher aus fossilen Energien auszusteigen – im Interesse der nationalen Sicherheit auch durch zusätzliche Kreditaufnahme.

Irrtum “Internationale Gemeinschaft”

Was das für die internationale Politik und Krisenbewältigung bedeutet, ist in seiner Tragweite heute kaum absehbar.  Vor allem das Verhalten Chinas gegenüber Russland wird genau zu beobachten sein. Zwar hat das “Reich der Mitte” im UN-Sicherheitsrat beide Konfliktparteien zur Mäßigung aufgerufen, hat sich aber heute auf die Seite Russlands geschlagen. Der Schulterschluss Putins und Xi Jingpings bei den Olympischen Spielen war nicht zu übersehen. Xi wird Putins “Experiment” auf der internationalen Bühne mit Interesse verfolgen, hat er doch wiederholt seine Absicht erklärt, sich selbst das “abtrünnige” Taiwan einverleiben zu wollen. Der Iran, in Syrien an der Seite Assads und Russlands, hat es sich nicht nehmen lassen, die russische Aggression zu unterstützen. Interessant wird sein, wie sich die Türkei verhält, die als NATO-Staat die Dardanellen, den Übergang vom Schwarzen ins Mittelmeer kontrolliert und in Syrien mehrfach die Konfrontation mit Russland gesucht hat. Südafrika hat Sympathien für Russland geäußert und viele afrikanische Staaten stehen unter Einfluss Chinas. Indien verhält sich neutral und der pakistanische Präsident hat gerade heute Putin in Moskau besucht. Letztendlich sollten sich EU und NATO nicht darauf verlassen, dass etwa die UNO-Vollversammlung Russlands Angriff verurteilen wird. Insofern liegt im seit Jahren so gerne gebrauchten Begriff der “internationalen Gemeinschaft” ein ebensolcher Irrtum, wie der Glaube an eine gewisse Berechenbarkeit Russlands.

Konsequenz: Die Europäische Union wird aufrüsten

Der von vielen unerwartete Verlauf der Ukraine-Krise und die oben skizzierten Unzuverlässigkeiten und Unwägbarkeiten markieren eine neue Gefahr und Unsicherheit der Friedensordnung in Europa. Es mag viele Gründe gegeben haben, auch Fehleinschätzungen, ja Beeinträchtigungen der Interessen Russlands im Verhältnis zu den westlichen Partnern. Aber nichts davon, das nicht verhandelbar oder friedlich regelbar wäre. Dass Putin meint, diesen Krieg in Mitteleuropa führen und danach zur Tagesordnung zurückkehren zu können, wird sich als schwerer Irrtum erweisen. Durch seine kriegerische Aggression hat Putin selbst sogar diejenigen im Westen, die durchaus die NATO-Erweiterung als falsch oder gar bedrohlich für Russland kritisiert haben, und bereit waren, auf seine Bedenken einzugehen, desavouiert. Das bedeutet, dass Europa mit seinen 450 Mio. Einwohner*innen, mit seiner Wirtschaftskraft und Finanzkraft nicht umhin kommen wird, militärisch so aufzurüsten, dass es in der Lage sein wird, seine Verteidigung souverän und – als Lehre aus Donald Trump – notfalls auch aus eigener Kraft und Abschreckungsfähigkeit auszuüben.

Rüsten nicht die Lösung

Gleichwohl muss der Westen konstatieren, dass wir zwar jetzt sofort kein Mittel haben, um Putin zu stoppen, weil wir aus gutem Grund nicht bereit sind, eine Eskalation bis hin zum Atomkrieg zu riskieren. Aber auch eine militärisch verstärkte EU wird ohne eine neue, eine dauernde Diplomatie nicht auskommen. Weil zurecht Europa nicht bereit ist, darauf einzugehen, dass Russland das internationale Recht durch das Recht des Stärkeren zu ersetzen versucht. Europa wird sicher eine neue politische Strategie brauchen. Wie sie aussehen wird, ist heute schwer zu sagen –  vielleicht Anreize und Druck, vielleicht Offenheit, um mit Russland und Belarus und mit ihren alten, unberechenbaren, zu allem entschlossenen Diktatoren umzugehen.

“Die Diplomatie darf niemals aufhören” hat Außenministerin Baerbock heute Abend im Deutschen Fernsehen bekannt, gerade im Angesicht ihrer bitteren Erfahrung, von ihrem Kollegen Lawrow genau so wie Kanzler Scholz und Präsident Biden von Putin  – belogen worden zu sein. Genau das zeigt den richtigen Weg auf. Es gibt keine nachhaltige Alternative zu Sanktionen, Verhandlungen und Diplomatie.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

14 Kommentare

  1. Martin Ottensmann

    Danke für den Beitrag.
    Ich glaube wir müssen uns gleichzeitig nun verstärkt auf den Umbau der Energieversorgung konzentrieren.
    Jetzt nicht nur um die Klimakatastrophe zu verhindern. Nein jetzt geht es auch um das zudrehen vom Geldhahn für den Despoten. Ein erster Schritt wäre die Verstaatlichung der von Gazprom betriebenen Gastanks.

  2. Horst Schiermeyer

    Mich wundert, wenn bei der Erwähnung von “75 Jahren ohne Krieg in Europa” der Krieg der NATO gegen Serbien um den Kosovo vergessen wird. Da ging es auch um eine völkerrechtlich zu Serbien gehörende Provinz, die mehrheitlich von Nicht-Serben, von Kosovaren, bewohnt wurde, die sich von Serbien unterdrückt fühlten und von diesem separieren wollten. Es kam zu einer Reihe gewaltsamer Auseinandersetzungen zwischen den Separatisten und der serbischen Staatsgewalt. Daraufhin griff die NATO ein mit Forderungen gegen Serbien, die die serbische Regierung nicht bzw. unzureichend erfüllte. Dann hieß es seitens der NATO, Serbien bereite einen Völkermord an den Kosovaren vor. Verteidigungsminister Scharping präsentierte dazu einen angeblichen “Hufeisenplan”, der sich später als Fake erwies. Schließlich griff die NATO Serbien mit Bombern und Raketen an und versuchte, die militärische Infrastruktur Serbiens im ganzen Land zu zerschlagen (einschließlich eines Fernsehsenders mitten in Belgrad und von Donaubrücken. Der Bombenkrieg dauerte mehrere Monate und endete mit dem Abzug serbischen Militärs und Polizei aus dem Kosovo.
    Mir scheint, dass Putin und seine Leute das “Kosovo-Drehbuch” als Vorbild für ihr “Donbass-Drehbuch” genommen haben: Lange Verhandlungen um den Status der Region, bewaffnete Auseinandersetzungen mit vielen Toten, besonders in den Separatistengebieten, ein Hochstilisieren dieser Gewalt zum drohenden Völkermord, Angriffe auf die gesamte militärische Infrastruktur des angeblichen Aggressors unter öffentlicher Bekundung, dass sich dies keinesfalls gegen Zivilisten richte …
    Nun rechtfertigt dieser Vergleich auf keinen Fall die Aggression Russlands gegenüber der Ukraine, erklärt aber wahrscheinlich etwas, warum Putin meint, so vorgehen zu können (lehrreich wird für ihn vermutlich auch das Vorgehen von NATO bzw. USA in den Kriegen gegen den Irak und Afghanistan gewesen sein, die auch einen Regierungswechsel zum Ziel hatten ).

    • Peter Clever

      Es wäre schön, wenn künftig Andersdenkende hier im Extradienst nicht generell in die dunkle Ecke gestellt und abgekanzelt, sondern sachlich nüchtern beurteilt würden. Es ist immer schlecht, wenn Kommentatoren sich in einen Rausch hineinschreiben, bei dem rauskommt, was immer Ergebnis vom Rausch ist. Bleibt Euren Werten treu, die fast immer auch meine Werte sind, aber werdet etwas toleranter und demütiger nach all der Putin-Schmach. „Ich habe mich getäuscht“, ist ein erster Schritt, dem aber die Toleranz gegenüber anderen Analysen und Schlussfolgerungen als den eigenen folgen muss.

  3. Joachim Rieß

    Ein bitterer Tag mit bitteren Erkenntnissen! Gerhard Schröder und die Genralkonsule der russischen Föderation wie Dr. Klaus Mangold (ehemals Vorstand der Daimler AG) müssen von Ihren Ämtern zurücktreten. Es gibt keine Grundlage mehr für eine wirtschaftliche Kooperation mit der Russischen Föderation von Putins Gnaden.

  4. Helmut Lorscheid

    Ich bin ja auch der Meinung, dass dieser Überfall gegen das Völkerrecht verstößt. Aber die Vorgehensweise ist die der rot-grünen Regierung Schröder/Fischer in Jugoslavien. Dieser Krieg war genau so völkerrechtswidrig. Ich habe etwas gegen grünen Außenminister, die sind zu Friedensdiplomatie offenbar nicht fähig. Was die Situation in der Ukraine betrifft, so weiß ich darüber nichts, weil nichts berichtet wurde.
    Dabei scheint es insbesondere in den Russland zu geneigten Gebieten alles andere als friedlich zuzugehen bzw. zugegangen zu sein, wenn ich so manche Schilderungen lese. Wie diese in Facebook – kann alles gelogen sein, ich kann es von Bonn aus nicht bewerten. Da müßte man die Berichte der UN-Blauhelme lesen : Sie werden sagen, es ist eine Tragödie, aber es ist eine Verteidigung gegen die Separatisten, sie sind bewaffnet. Kiew hat jedoch all diese 8 Jahre auf Zivilisten geschossen. Und seit dem 2. Juni 2014 setzt er die Luftfahrt gegen die Regionalverwaltung von Lugansk ein. SU-25 hat mit einer Rakete auf das Gebäude geschossen, es gibt ein Video mit den Opfern und Verwundeten – es ist ihre Schuld, dass sie den Maidan nicht erkennen wollen. Kiews Erklärung war dann – sie haben sich mit Klimaanlagen in die Luft gesprengt, die Separatisten sind schuld. Odessa, 2. Mai 2014 – Die Siedlungen an der Grenze zwischen LVR und DVR mit ausgebombten Häusern und Infrastruktur, die von 100.000 „Separatisten“ bewohnt werden, haben sich selbst in Brand gesteckt, sie haben auf sich selbst geschossen, sich mit Granaten und Drohnen getötet. Übrigens, der Beschuss erfolgt frühmorgens und abends außerhalb der Arbeitszeit der “Beobachter” der OSZE, Weißhelme. Für diese Frontbürger der beiden Republiken begann die Evakuierung nach Russland.
    Und wie, glauben Sie, leben diejenigen, die mit dem Regime nicht einverstanden sind, im Rest der Ukraine? Beginnen wir mit den Regionen Luhansk und Donezk, die am 11. Mai 2014 im Referendum abgestimmt haben.
    Nach offiziellen Angaben aus Kiew – für das Freiwilligenbataillon “Tornado”, das 2014-2015 in Zaporozhye und dann in der Region Lugansk operierte. Verurteilt im Jahr 2017 wegen Gräueltaten, Raubüberfällen und besonders grausamen Morden an Bürgern, die verdächtigt werden, mit den „Separatisten“ zu sympathisieren. Im Keller des Gymnasiums in Priwolie (einem Vorort von Lisichansk) rüsten Freiwillige vom Tornado-Platz eine Folterkammer für Einheimische aus, die auf Video aufgenommen wurden.
    Sie werden sagen, dass solche Kriegsverbrechen stattfinden, aber es sollte nicht für alle Freiwilligenbataillone zusammengefasst werden, nichts, was Nazi-Symbole hat, es ist einfach exotisch. Das Asowsche Bataillon operiert in Mariupol, wo sich der Ort der Folter in der “Bibliothek” befindet. Es gibt einen Bericht von Amnesty International über die Gräueltaten gegen Zivilisten des Aidar-Bataillons.
    Man könnte sagen, diese Bataillone sind aufgelöst worden, nicht wahr? Nein, sie wurden in die Nationalgarde umgewandelt und stehen unter der Kontrolle von Innenminister Avakov.
    Wissen Sie, wie viele Menschen in der Ukraine verschwinden und wie viele wegen ihrer politischen Position, ihres Verständnisses, ihrer Meinungsverschiedenheit, wegen unzureichender Russophobie in Gefängnissen sitzen? Wundern Sie sich nicht über das Fehlen einer Untersuchung des Mordes an der Journalistin und Schriftstellerin Olesya Buzina? Tatiana Montian, Anwältin, Publizistin, ihre Familie lebt in Kiew, eine verzweifelt mutige Frau, verteidigt solche Mitbürger, die nur wegen ihrer Sympathie für Russland wegen Hochverrats angeklagt werden. Sie können ihren Bericht an den UN-Sicherheitsrat jetzt am 17. Februar hören. Mit Fakten.
    Aber wenn Sie nicht auf die „pro-separatistische“ Ukrainerin hören, schauen Sie sich Nadia Savchenkos Film „UKRAINIAN LIVES MATTER“ aus dem letzten Jahr an, der läuft noch in der Röhre – über „unabhängige“ Regierung mit amerikanischer Hilfe.
    Warum zwingt Russland diese antiukrainische Regierung durch eine großangelegte Militäroperation zum Frieden?
    Weil Europa in diesen 8 Jahren des “Friedenskrieges” für kein ukrainisches, russisches, Donbas-Kind, wie für serbische Kinder im Jahr 1999, eine einzige pazifistische Träne vergossen hat, ist die Liste lang – eine Liste von verletztem “Völkerrecht”. Denn es kam so weit, dass ein ehemaliger Clown und jetziger ukrainischer Präsident auf der Sicherheitskonferenz (!) in München erklärte, er wolle den Atomstatus, woraufhin ein hochrangiger europäischer Beamter lautstark twitterte: „No shopping in Milano!“ – Werte.
    Jeder, der will, kann herausfinden, was in der Ukraine passiert ist.

    • Maria Heider

      Ich finde nicht, dass Verweise auf Fehler in der Vergangenheit aktuelle oder zukünftige Aggression Russlands rechtfertigt! Ich war seinerzeit auch gegen eine Beteiligung am Kosovo-Krieg, trotzdem sollte man schon die Unterschiede sehen:
      1) Ethnische Säuberungen. Im Gegensatz zu den Kosovaren waren die Russen auf der Krim oder in der Ukraine nie an Leib und Leben bedroht. Ich finde die diesbezügliche Propaganda Putins furchtbar und die Bezeichnung der Ukrainer als Nazis völlig geschichtsvergessen und entsetzlich. Putin bedient dich seinerzeit der Nazi-Propagandamethoden: kritische Berichterstattung ist in Russland schon länger nur unter Lebensgefahr möglich und 90% der Russen haben gar keine andere Informationsquelle als die offiziellen Propagandasender. Hat Erdogan übrigens nach dem angeblichen Putsch genauso gehandhabt..
      2) Die Rechte der Kosovo-Albaner wurden systematisch missachtet, die Kosovaren sollten als Volk vertrieben werden. Im Gegensatz dazu gab es keine Jagd auf Krim-oder andere Russen in der Ukraine, auch wenn dies russische Medien immer wieder behaupteten.
      3) Diplomatie. Vor der Intervention im Kosovo fanden unzählige diplomatische Gespräche statt, der Militäreinsatz wurde erst nach dem Scheitern jahrelanger Sanktionen beschlossen. Anders bei der Intervention auf der Krim und jetzt Ukraine, die schon fast im Eilverfahren vonstattengeht. Alle Diplomatischen Bemühungen der letzten Wochen sind an Putin abgeprallt bis hin zu direkten Lügen über angeblichen Truppenabzug.
      4) Der Schock von Srebrenica, als bosnische Muslime massenhaft ermordet wurden, sass tief. Die Befürchtung, dass sich ein solcher ethnischer Massenmord an den Kosovo-Albanern wiederholen könnte, war gross.
      5) Ziel. Im Fall Kosovo ging es nie um einen Anschluss an einen anderen Staat. Bei der Krim und jetzt Ukraine hingegen schon.

      Wir erleben das Ende der Friedensordnung nach dem WK II. Auch wenn die immer brüchig und nie vollkommen war. Aber diese imperialistischen Einverleibung eines souveränen Staates mit Waffengewalt ist mit nichts zu rechtfertigen und lässt Krieg in Europa als Mittel der Politik wieder brutal auferstehen. Ich fürchte, putin ist nur mit waffengewalt Einhalt zu Gebieten, unsere osteuropäischen Nachbarn und frühere Staaten der UdSSR haben zu Recht Angst vor der Zukunft. Und ich auch.

  5. Martin Budich

    Auch ich habe es nicht für möglich gehalten, dass die Milliardäre um Putin es zulassen, dass er ihnen und Russland einen derartigen Schaden zufügt. Auch ich bin erschrocken, dass auch die zweite große Atommacht sich einen Präsidenten leisten kann, der rational nicht berechenbar ist.
    Es ist aber enttäuschend grün-opportunistisch, wenn ein Beitrag in diesem Zusammenhang nicht daran erinnert, dass die Blaupause für diesen Überfall der von den Grünen unterstützte Überfall auf Jugoslawien war.
    Die gesamte Infrastruktur des Kosovos gehört heute Firmen in Ländern, die den Krieg geführt haben. Der größte us-amerikanische Militärstützpunkt außerhalb der USA ist jetzt im Kosovo.
    Den zivilisatorischen Tabubruch im Sicherheitskonstrukt des Nachkriegseuropas hat die Nato mit Unterstützung der Grünen begangen. Die Kriegsbegründung hatte damals das Putin-Niveau. Belgrad wurde mit grüner deutscher Hilfe wieder bombardiert.
    Auch ich finde, Putin ist schrecklicher als die Grünen.

    • Roland Appel

      Es geht in meinem Artikel um Putins Überfall 2022. Wer an der Vorgeschichte Mitverantwortung trägt, habe ich in früheren Artikeln beschrieben. Ich habe wohlüberlegt den Kosovo-Krieg in diesem Artikel nicht genannt, weil andere Akteure, Umstände, Ursachen und Folgen einen Vergleich ebenso verbieten, wie eine Gleichsetzung von Putins Überfall auf die Ukraine mit dem Überfall Hitlers auf Polen 1939. Diese Entscheidung in einem journalistischen Kommentar als “grün opportunistisch” zu diffamieren, disqualifiziert sich selbst, lieber Martin.

  6. Knud Vöcking

    Danke, Roland, für diesen Artikel! Wir müssen vieles neu überdenken. Alte Gewissheiten müssen auf den Prüfstand. Das gebetsmühlenartige Wiederholen der ganzen Fehler der Vergangenheit mag ja für die Diskussion und die Selbstvergewisserung ganz okay sein. Aber das weist nicht in die Zukunft. Wir alle wissen, dass der Kosovo-Krieg gegen Recht verstieß. Aber heute ist der Kosovo unabhängig und das bleibt so. Wir alle wissen, welche Sünden die USA auf dem Kerbholz haben. Das ändert aber nichts daran, dass Sicherheit nur gemeinsam erreicht werden kann. Unter den derzeitigen Umständen braucht es Diplomatie bis zum Exzess UND Stärke um abzuschrecken. Eine alte Jungdemokraten-Broschüre war betitelt “nachRüstung kommt Krieg”. Das stimmt immer noch. Aber wenn der Krieg auch bei Abrüstung kommt, weil ein Machthaber das als Schwäche und Einladung auslegt, haben wir ein dickes Problem.

    • Martin Böttger

      Lieber Knud, Zustimmung meinerseits. Nur über eins bin ich gestolpert: wann und wo war “Abrüstung”?

    • Der Maschinist

      Bis 1994 waren die Ukraine, Kasachstan und Belarus noch Atommächte. Da kann mensch schon von “Abrüstung” sprechen. Dass die Unterschriften auf jenem Abkommen offensichtlich die Tinte nicht wert waren, das ist dann wohl zu bedauern. Und, das muss mensch sich fragen, wer würde in heutiger Kenntnis der Entwicklung, ein vergleichbares Abkommen noch unterschreiben wollen?
      https://de.wikipedia.org/wiki/Budapester_Memorandum

    • Roland Appel

      Mein Sandkastenfreund und Oberstleutnant der Bundeswehr meinte mal: Verrosten des Leo 1 ist auch eine Form von Abrüstung…

  7. Helmut Lorscheid

    Liebe Maria,
    Du schreibst: Ethnische Säuberungen. “Im Gegensatz zu den Kosovaren waren die Russen auf der Krim oder in der Ukraine nie an Leib und Leben bedroht.”
    Das stimmt so nicht. Ließ Dir einfach mal den Text durch, den ich zitiert habe oder auch den amnesty Report über die Ukraine.
    https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-report/ukraine-2020
    I

  8. Cony Lohmeier

    Wie gut, dass es diesen extradienst gibt. So können wir wenigstens dieses Elend teilen. Ich gehe jetzt auf die Demo, die um 17 Uhr in München beginnt.

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