Häufig zu beobachten sind Mitglieder des Bundestages und des Kabinetts, wie sie in einem rot-weiß-gestreiften Taschenbuch nachschauen. Meist, wenn ein neuer Abgeordneter das Wort ergreift, besonders oft zu Beginn einer Legislaturperiode. Das Büchlein, das nun in der 157. Auflage erschien, ist ein „Muss“. Wer wissen will, wie langjährige Parlamentarier in ganz jungen Jahren aussahen, sollte ihn verwahren oder gar sammeln. Ihn? Den „Kürschner“, genauer „Kürschners Volkshandbuch“, mittlerweile 350 Seiten lang, kenntnisreich eingeleitet mit einem Text des Journalisten Gregor Mayntz über Aufgaben und Bräuche des Parlaments. 100 Seiten mehr als zum Beispiel die 39. Auflage von 1983. Der Grund? Kernbestand des „Kürschner“ sind nebst Passbild die Lebensläufe der Abgeordneten des Deutschen Bundestages. 1983 gab es 520 plus – wegen des damaligen Status der Stadt – 22 nicht stimmberechtigte Parlamentarier aus West-Berlin. Heute sind es 736. Der Politikaffine kann sich beim Schmökern verlieren.
Das Zahlenwerk ist beeindruckend detailliert. Sämtliche 299 Wahlkreise, sämtliche Zweitstimmen in den Bundesländern der Parteien, die es in den Bundestag geschafft haben. Summiert die Erst- und die Zweitstimmen aller Parteien, die zur Wahl angetreten waren – von der SPD mit 11 955 434 Zweitstimmen bis hin zur BüSo (für Bürgerrechtsbewegung Solidarität), die (bundesweit!) auf 727 Zweitstimmen kam. 268 der 736 Abgeordneten wurden erstmals in den Bundestag gewählt; bei den Grünen stellen die Neuen sogar die Mehrheit. Sieben der zehn jüngsten Abgeordneten gehören der Grünen-Fraktion an, fast wie 1983, als sechs Grüne unter den zehn Jüngsten waren. Unter den zehn Ältesten sind vier AfD-Abgeordnete. Addierte Zahlen über den Familienstand, die Zahl der Kinder und die Konfession der Abgeordneten hängen an. Den Übersichten ist zu entnehmen, dass 24 Abgeordnete noch die Bonner Zeit erlebt haben. Einsam an der Spitze steht Wolfgang Schäuble, seit 14 Wahlperioden im Bundestag. Es folgen Gregor Gysi und Peter Ramsauer mit je neun. Nur 278 der 736 Abgeordneten bringen es auf mehr als zwei Wahlperioden und nur 160 auf mehr als drei – jeweils gekennzeichnet mit der Zahl der Sternchen neben dem Namen.
Die Lebensläufe, die nach Angaben der Abgeordneten abgedruckt sind, sind eine Fundgrube. Sie geben Auskunft über Persönlichkeiten – Berufe, Erfolge, Lebensbrüche, Kuriositäten. Manche führen sogar Praktika an, die meisten ehrenamtliche Engagements im Umfeld ihrer Partei, wenige – darunter Bundestagspräsidentin Bärbel Bas – ihre Mitgliedschaften in Fußball- und Karnevalsvereinen. Den kürzesten Eintrag aller Zeiten hinterließ 1983 der spätere Außenminister Fischer: „Joseph Fischer, Buchhändler, Frankfurt“ plus Geburtsdatum. Bemerkenswert war das. Fischer verwandte nicht den innerparteilichen Kampfnamen „Joschka“, sondern den Taufnamen Joseph. Erster Beleg der Anpassung? Wie schnell der aktuelle „Kürschner“ überholt ist, zeigt sich an der Angabe des CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden. Ralph Brinkhaus steht dort. Doch schon bald wird es Friedrich Merz heißen. Die 158. Auflage soll im Juli erscheinen.
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