Nach Auskunft zahlreicher Geostrategie-Expert*inn*en, womöglich ohne die von der Bundesregierung besoldeten in Deutschland, läuft der Ukrainekrieg super: in erster Linie für China, in zweiter Linie für die USA, ziemlich scheisse für Russland, die Ukraine und die EU, und am beschissendsten für die ukrainischen Zivilist*inn*en. In für die erstgenannten absolut berechenbarer Weise fallen die Europäer*innen übereinander her. Dito die nationalen europäischen Öffentlichkeiten. Im Grossen so, wie die deutsche Linkspartei im mikroskopisch kleinen.

Extradienst-Gastautor Peter Wahl verschickte vor ein paar Minuten ein Interview der LeMonde mit dem französischen Ökonomen Michel Aglietta. Das Interview ist in der Originalquelle digital eingemauert. Peter hat es übersetzt (kann auf Anforderung zugesandt werden). Ein paar prägnante Textfetzen: “Zwischen 2001 und 2021 ist der Anteil des Dollars von über 70% auf nur noch 59% gesunken … China hat … im Februar seinen E-Yuan im ganzen Land eingeführt … das könnte auf eine Spaltung des internationalen Währungssystems gegenüber dem Dollar hinauslaufen … Die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) orientiert sich bei ihrer Politik nicht am Liquiditätsbedarf der Welt, sondern nur an dem ihres Landes. … Die Vermeidung einer Fragmentierung des Währungssystems setzt voraus, dass der Westen akzeptiert, dass es in der Welt sehr unterschiedliche politische Philosophien gibt. … Der Westen kann der Welt nicht vorschreiben, wie diese auszusehen hat. … “ Gut beobachtet, oder was meinen Sie?

Vordergründig findet aktuell im Stile des “Wer-hat-den-Längsten” innerhalb der G20 ein Machtkampf darüber statt, wer eingeladen werden darf oder nicht, bzw. wer beleidigt fernbleibt, wenn ein anderer kommt. Das ist ungefähr so billig, wie TV-Talkshows.

US-Finanzministerin Janet Yellen, die übrigens zuvor Zentralbank-Chefin war, scheint eine ähnliche Welt zu betrachten, wie oben zitierter Michel Aglietta. Nur eben aus ihrer eigenen Interessenperspektive. Und wenn Michael Maier/Berliner Zeitung sie richtig verstanden hat, hat sie, anders als die EU-Europäer*innen, schon einen klaren – zweifellos für die menschliche Lebensform auf diesem Planeten aussergewöhnlich riskanten – Plan.

Es wäre interessanter gewesen, den deutschen Chef-Atlantiker und gegenwärtigen Grossverdiener, sowie Freund der klaren Aussprache Sigmar Gabriel mal nach sowas zu fragen. Aber so viel strategische Bildung ist von deutschen Radioredaktionen zuviel verlangt.

Hier noch ein kleines Sündenregister der “Guten” Herrschenden im Westen:

Charlotte Wiedemann/taz: Krieg in der Ukraine: Gegen das enge Denken – Die Bilder des Kriegs erzeugen kaum zu ertragenden Druck. Dabei ist es Zeit für Nüchternheit. Und für eine neue Friedensbewegung gegen allseitigen Imperialismus.”

Erdogan macht – seit Jahrzehnten übrigens – mit Kurdistan, und zwar in mehreren souveränen Nachbarstaaten, das, was Putin in der Ukraine macht – Bericht Elke Dangeleit/telepolis, Kommentar Jürgen Gottschlich/taz. Hier stimme ich dem Sarkasmus der nachdenkseiten-Kollegen mal zu: “Was ist das eigentlich? Natürlich kein völkerrechtswidriger Angriff. Ist nur eine Antiterror-Operation. Aber sagt das Putin nicht auch?”

Die Nachrichten zu Julian Assange werden Sie gehört haben. Zu Edward Snowden gibt es selbst die nicht mehr, und deutsche Journalisten reagieren darauf extrem beleidigt (und ahnungslos empathiefrei). Peinlich sind diese Geschichten nicht für die politisch Verfolgten, sondern für die Regierungen und herrschenden Medien. Ich habe noch kein grünes Regierungsmitglied, oder wenigstens mutige Parlamentarier*innen gehört, die jetzt – als politisch Regierende – um politisches Asyl für diese Männer kämpfen. Es ist zum beschämt-im-Mauseloch-verschwinden.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net