Beueler-Extradienst

Meldungen und Meinungen aus Beuel und der Welt

Mal Pokerface, mal Deutscher Michel?

Scholz ohne klare Strategie

Es tut weh zu sehen, wie Kanzler Scholz sich in seinem neuesten Spiegelinterview wieder um klare Antworten herumdrückt.

Man erinnert sich, wie er sich vor dem Ukrainekrieg wochenlang vor jeder klarer Aussage zu Nordstream 2 drückte – und stattdessen blumige Ausflüchte fand. Eine davon war, dass er sich nicht in die Karten schauen und Putin in einer „strategischen Unsicherheit“ lassen wolle, was mit Nordstream 2 würde, wenn Russland die Ukraine überfällt. Richtig wäre es gewesen, genau an dieser Stelle nicht herumzudrucksen und Putin die klare „strategische“ Sicherheit zu geben, dass ein Überfall auf die Ukraine das Ende von Nordstream 2 wäre. Das hätte Putin wohl mehr zum Nachdenken gebracht als eine Druckserei, die ihn im Glauben lässt, die deutschen Sozialdemokraten würden – wie schon bei der Krim-Annexion und anderswo – in ihren Beziehungen zu Russland nach einer Schamfrist wieder alles vergessen und zurückkehren zum alten business als usual.

Es gibt das von Scholz reklamierte Verhandlungskonzept der „strategischen Unsicherheit“ übrigens wirklich. Es ist wie beim Pokerspiel, wo man den anderen im Unklaren lässt, was für ein Blatt man auf der Hand hat. Deutsche Geschäftsleute berichten aus Verhandlungen mit chinesischen Geschäftsleuten, dass sie es dort oft mit dieser Art von Unklarheit zu tun hätten – während die klassische „deutsche Art“ der Verhandlungsführung ja eher die des „klar heraus“ ist, wo man seine Interessen und Anliegen offen auf den Tisch legt und dann auf der Grundlage einer solchen Berechenbarkeit nach einer Übereinkunft sucht.

Interessant ist nun, dass „Tricky Scholz“ seine angebliche coole Unberechenbarkeit von vor ein paar Wochen nun eingetauscht hat durch ein „klar heraus“, das im aktuellen Zusammenhang allerdings wieder höchst problematisch ist. Er lässt Putin in keiner Weise im Unklaren darüber, welches die deutsche Reaktion auf noch massivere russische Angriffe und Kriegsverbrechen wäre – nämlich eine weitgehend garantierte „Nicht-Reaktion“ bzw. Bremserei. Putin kann machen was er will, Deutschland soll sich nach Scholz so weit als möglich aus dem Konflikt raushalten. Putin soll sich auf ein Deutschland verlassen können, das Bremser und Blockierer ist in den westlichen Reaktionen auf seine Aggression. Ob ihn das abschreckt – oder doch eher anstachelt?

Die Widersprüche zwischen den von Scholz reklamierten Verhandlungstechniken werden nur noch getoppt von seinen wechselnden Begründungen dafür, keine schwere Waffen zu liefern:

– Wir hammse nicht,
– wir dürfen nicht öffentlich darüber reden,
– die Ukrainer brauchen sie nicht,
– sie können sie gar nicht bedienen…

Der deutsche Kanzler entpuppt sich für mich immer mehr als politische Enttäuschung.

Im Spiegelinterview klingt seine aktuelle Haltung zu Nordstream 2 übrigens wie folgt:

SPIEGEL: Warum geht Ihnen der Satz nicht über die Lippen: Nord Stream 2 war ein Fehler?

Scholz: Wir haben in Reaktion auf die russische Aggression die Inbetriebnahme verhindert. Und geostrategisch hätten wir schon viel früher unsere Importe diversifizieren müssen. Und es wäre auch früher schon richtig gewesen, den Ausbau der erneuerbaren Energien so zu beschleunigen, dass wir auch der Umwelt wegen vom Impo und der Nutzung fossiler Ressourcen unabhängig werden.

SPIEGEL: Sehen Sie wenigstens die Gründung einer von russischen Geldern finanzierten Stiftung für den Bau von Nord Stream 2 heute als Fehler an?

Scholz: Das ist eine Entscheidung, die die Regierung und der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern getroffen haben.

SPIEGEL: Über die Sie und die damalige Kanzlerin Angela Merkel vorab informiert wurden. Haben Sie Ihrer Parteifreundin und Ministerpräsidentin Manuela Schwesig davon abgeraten?“

Über Reinhard Olschanski / Gastautor:

Geboren 1960, Studium der Philosophie, Musik, Politik und Germanistik in Berlin, Frankfurt und Urbino (Italien). Promotion zum Dr. phil. bei Axel Honneth. Diverse Lehrtätigkeiten. Langjährige Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Referent im Bundestag, im Landtag NRW und im Staatsministerium Baden-Württemberg. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Politik, Philosophie, Musik und Kultur. Mehr über und von Reinhard Olschanski finden sie auf seiner Homepage.

2 Kommentare

  1. Martin Böttger

    Lieber Reinhard, mir tut nix weh. Da täte es, wenn der Bundeskanzler seine Strategie in einem solchen Medium ausplaudert,, wie es zahlreiche seiner koalitionären Hintersassen bis zum Überdruss tun. Das würde am Ende Verhandlungen und “Staatsbesuche” gänzlich unnötig machen. Oder soll das auch schon ein Beitrag zu Flugvermeidung und Energieeinsparung sein?
    Scholz hat in dem Interview einige schon hinreichend zitierte einfache Wahrheiten klar und deutlich ausgesprochen. Das muss für die Öffentlichkeit genügen. Mir gibt das mehr Sicherheit, als die rhetorischen – und abgrundtief peinlichen – Militärbaukästen, die in meiner eigenen Partei herumgereicht werden.

  2. Rainer Bohnet

    Verhandlungen sind dringend nötig. Ich hoffe auf UN-Generalsekretär Antonio Guterres, der nächste Woche nach Moskau und Kiew reist.

© 2024 Beueler-Extradienst | Impressum | Datenschutz

Theme von Anders NorénHoch ↑