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Klandestine Clans

Die Gefährdung durch sogenannte kriminelle Clans scheint real zu sein. So hat der nord­rhein-westfälische Innenminister Reul deren Bekämpfung zu einer zentralen Aufgabe er­klärt. Nun finden wir auch im Koalitionsvertrag der Ampelfraktionen die Ankündigung, diese Art der Kriminalität zu einem Schwerpunkt der Sicherheitsbehörden zu machen (S. 105). Geplant sind „mehr und bessere Strukturermittlungen, die Nutzung strafrechtlicher Mög­lichkeiten u. a. bei der Vermögensabschöpfung, die Optimierung der Geldwäschebekämp­fung und ihrer Ressourcen, eine stärkere Verankerung des Themas in der Ausbildung, mehr Prävention und eine verbesserte Analysefähigkeit.“

Diese klare Festlegung verdient es, sich näher mit der Clan-Kriminalität zubeschäftigen.
Wie hoch ist der Anteil der Clan-Kriminalität, welche Straften sind clan-typisch, welche Rol­le spielt der Missbrauch sozialer Leistungen, gibt es besondere Probleme bei der Verfol­gung von Clan-Kriminalität, reichen die Möglichkeiten des Strafrechts aus, welche Chan­cen der Einziehung von illegal erworbenem Vermögen gibt es, inwieweit darf man den Zu­sammenhalt der Clans kriminalisieren, warum gibt es Clans und wie sind sie entstanden, welche Rolle spielen Präventionsaktivitäten, ist die Ausstattung der Polizei ausreichend?

Laut Einschätzung der Kriminalämter weist Clankriminalität nachstehende Merkmale auf. Diese Besonderheiten erschweren vielfach die Ermittlungsarbeit der Polizei und die Be­kämpfung dieser Straftaten:
• eine starke Ausrichtung auf die zumeist patriarchalisch-hierarchisch geprägte Familien­struktur,
• eine mangelnde Integrationsbereitschaft mit Aspekten einer räumlichen Konzentration,
• das Provozieren von Eskalation auch bei nichtigen Anlässen oder geringfügigen Rechts­verstößen,
* ein hoher Organisationsgrad,
* ein überhöhter familiärer Ehrbegriff,
* die Verfolgung einer eigenen Werteordnung und die Vorstellung, familieninterne Normen stünden über dem Gesetz,
• die Ausnutzung gruppenimmanenter Mobilisierungs- und Bedrohungspotenziale,
* ein erkennbares Maß an Gewaltbereitschaft.

Laut Wikipedia geht die Entstehung des Phänomens der Clan-Kriminalität bis in die 1980er-Jahre zurück. Infolge des libanesischen Bürgerkriegs emigrierten insbesondere staatenlose arabische, kurdische und palästinensische Familien nach Deutschland. Da ih­nen hier zunächst der Zugang zum Arbeitsmarkt verwehrt blieb und ihre Kinder nicht schulpflichtig waren, förderte dies die Entstehung von Parallelgesellschaften. Teile der Großfamilien verlegten sich auf illegale Aktivitäten. Laut Angaben der Polizeibehörden ist das Spektrum der Straftaten breit. Es reicht von Körperverletzungen über Menschen­handel, Geldwäsche, Drogenschmuggel und -handel, Prostitution, Schutzgelderpressung, Nötigung, illegales Glücksspiel, Sexualdelikte, Raub und Einbrüche bis zu Besonderheiten wie illegale Straßenrennen oder Handel mit gefälschten Markenwaren oder Impfauswei­sen. 

Bekannt geworden sind die Clans durch sensationsheischende Medienberichte über So­zialhilfebezieher/innen, die über Immobilien und tolle Autos verfügen, und über Clans, die ihr Stadtviertel drangsalieren. Dadurch wurde der Eindruck hervorgerufen, “die können machen, was sie wollen“, und Verunsicherung unter den Bürger/innen hervorgerufen. Auch durch spektakuläre Raubzüge ist die Öffentlichkeit auf die Clans aufmerksam geworden. Auf ihr Konto gehen z.B. der Raub der Riesen-Goldmünze aus dem Berliner Bode-Muse­um und der Juwelenraub aus dem Grünen Gewölbe des Dresdener Residenzschlos­ses.

Einem Lagebericht der nordrhein-westfälischen Landesregierung vom April 2022 lassen sich konkrete Zahlen über den Umfang der Clan-Kriminalität entnehmen. Die Zahl der erfassten Delikte sank von 5780 (2021) auf 5460 (2020), die der Tatverdächtigen von 3830 auf 3630. Das Volumen der beschlagnahmten Vermögen stieg von knapp 4 Mio. auf über 10 Mio. €. Die Zahl der bekannten türkisch-arabischen Clans blieb mit 113 nahezu unverändert. Clan-Angehörige sind für rund ein Fünftel aller Verfahren im Bereich der or­ganisierten Kriminalität verantwortlich, wobei ein Großteil der Straftaten von einigen weni­gen, meist jungen Intensivtätern erfolgt. – Diese Angaben gelten für Nordrhein-Westfalen mit seinen rund 18 Mio. Einwohner/innen. Hochgerechnet auf das gesamte Bundesgebiet dürften die Zahlen etwa 4,6 mal so groß sein.

Das niedersächsischen Justizministerium hat die Herkunft nichtdeutscher Tatverdächtiger aufgeschlüsselt: türkisch 23,1 %, syrisch 13,75 %, libanesisch 10,95 %, rumänisch 8,15 %, serbisch 7,3 %, kosovarisch 5,2. 7,9 % waren unbekannter Herkunft, 2,25 % staatenlos und 21,5 % kamen aus anderen Staaten. Laut Bundeskriminalamt agieren die einzelnen Clan-Familien nicht in ganz Deutschland, sondern konzentrieren sich auf regionale Schwerpunkte. Mehr als zwei Drittel aller Ermittlungen erfolgen in den Bundesländern Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Bremen und Berlin. Bevorzugt sind Ballungsräume wie Berlin oder das Ruhrgebiet.

Ein häufiger Vorwurf an Clan-Angehörige ist der Missbrauch sozialer Leistungen. Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestag haben diesem Thema in ihrer Aus­arbeitung über strafrechtliche und kriminalstatistische Aspekte des „Sozialleistungsmiss­brauchs“ vom Januar 2022 ein eigenes Kapitel gewidmet. Allerdings beziehen sie sich darin nur auf Medienberichte, in denen z.B. über das Verschweigen von Vermögen berich­tet wird, über Strohmänner, über fiktive eigenständige Haushalte von Frau und Kindern und über zweifelhafte Identitäten. Zusammenfassend heißt es in der Studie, dass „belast­bare Daten über die Anzahl der Fälle von Sozialleistungsbetrug im Bereich der Clan-Krimi­nalität nicht recherchiert werden konnten. Insbesondere liegen keine Daten über die An­zahl rechtskräftiger Verurteilungen wegen Betrugs vor.“

Die Ausführungen im Koalitionsvertrag weisen auf Lücken, Mängel und Nachholbedarf im Vorgehen gegen kriminelle Clan-Mitglieder hin. Wie sieht es denn zur Zeit aus? In Nord­rhein-Westfalen und in Niedersachsen gilt offenbar das Prinzip der tausend Nadelstiche: Regelmäßige Razzien, Hausdurchsuchungen und Kontrollen, Nulltoleranz und repressive staatliche Maßnahmen. NRW hat eine task force aus Steuerfahndung, Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt gebildet. Mit unablässigen Inspektionen will man den Clans lästig fallen – und zwar nicht nur durch die Polizei, sondern auch durch Beamte des Ordnungs­amtes, des Zolls, der Gewerbeaufsicht, der Bau- und Gesundheitsbehörden. Ziel soll sein zu verhindern, dass rechtsfreie Räume entstehen.

Ein Mittel, auf das seit einiger Zeit verstärkt gesetzt wird, ist, kriminell erlangtes Vermögen abzuschöpfen. Sachwerte wie etwa Immobilien, teure Autos oder wertvoller Schmuck, bei denen der Verdacht besteht, dass sie mit Geld aus illegalen Geschäften bezahlt wurden, dürfen von den Behörden beschlagnahmt werden. Gleiches gilt, wenn der Verdacht der Geldwäsche besteht. Beispielsweise beschlagnahmte die Berliner Staatsanwaltschaft 2018 mehr als 70 Immobilien einer Großfamilie. Die Gewerkschaft der Polizei fordert eine Umkehr der Beweislast bei der Abschöpfung von vermutlich illegalem Vermögen. Clanmit­glieder, die in großen Villen wohnen und teure Autos fahren, müssten gezwungen sein, selbst zu beweisen, dass sie ihr Vermögen legal erworben haben. Beim Geld könne man die Clans am härtesten treffen.

Die Vorliebe der Clans für Immobilien rührt nicht nur von attraktiven Preisperspektiven auf dem Wohnungsmarkt her, sondern liegt auch an den leichten Auflagen beim Kauf von Wohnungen und Häusern. Immer noch ist es nicht selten, dass ein Käufer einen Großteil der Kaufsumme in bar bezahlt. Zwar verschärfte die Bundesregierung in den letzten Jah­ren zwecks Geldwäscheprävention die Meldepflichten, doch gilt Deutschland noch immer als Paradies für Geldwäsche.

Eine verschärfte Maßnahme gegen kriminelle Clan-Mitglieder hat der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages am 10.2.2021 auf den Weg gebracht. Er verabschiedete mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP die Beschlussempfehlung an den Bundestag, eine Petition zum Thema Staatsangehörigkeitsrecht an das Bundesinnenministerium zu überweisen. Danach soll kriminellen Clan-Mitgliedern die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen werden können, wenn sie noch eine zweite Staatsbürgerschaft besitzen, „soweit es um die bestmögliche Bekämpfung der Clankriminalität geht“.

Auf einer ganz anderen Ebene liegen Maßnahmen wie Prävention, Aufklärung und Inte­gration. Selbstverständlich hilft Prävention nicht gegen Clan-Bosse und nicht gegen Inten­sivtäter, sondern richtet sich an die Familien, vor allem an Kinder und Jugendliche. Keines­wegs sind alle Mitglieder von Clanfamilien kriminell. Viele protestieren sogar dagegen, nur wegen ihres Namens in diesen Topf geworfen zu werden. Wie viele Personen zu den kri­minellen Familienstrukturen gehören, lässt sich kaum sagen. Wichtig muss den ermitteln­den Behörden jedoch sein, nur jene Mitglieder der Familien als kriminell einzustufen, die entsprechend in Erscheinung treten. Offenkundig sind es auch nur einige wenige Familien­clans, die sich im kriminellen Milieu bewegen. In Berichten tauchen nämlich immer wieder die gleichen Nachnamen auf.

Während Repressionsmaßnahmen recht einfach zu benennen und zu realisieren sind, ge­stalten sich Ansätze für eine wirksame Präventionsarbeit deutlich schwieriger. Das hat mehrere Ursachen. Zum einen geht es um Personengruppen, die oftmals mit anderen Wertevorstellungen sozialisiert wurden, als sie im demokratischen Rechtsverständnis ge­lebt werden. Zum anderen kann schnell ein Rassismusverdacht entstehen, wenn gezielte Ansätze für eine ethnische Gruppe verwendet werden. Drittens wird die Präventionsarbeit dadurch erschwert, dass zur Clankriminalität vielfältige Delikte gehören.

Genutzt werden zum Beispiel Freizeit- und Sportangebote für Schüler/innen, sozialpäd­agogische Arbeit oder Selbstverteidigungskurse für Mädchen, aber auch städtebauliche Maßnahmen sowie schulpsychologische Beratung im Unterricht, um schon Kindern ge­waltfreie Methoden zur Konfliktlösung beizubringen. Auch die Partizipation der Eltern, vom Arbeitsleben bis hin zum Vereinswesen, fällt hierunter, da sie integrativ sind und damit die gesellschaftlichen Normen stärken. Letztlich können auch generelle Aspekte der Wohnge­gend (z. B. die soziale Infrastruktur, Verkehrsanbindung, Heterogenität in der Bevölkerung etc.) auf ihr allgemein präventives oder gefährdendes Potenzial hin betrachtet werden.

Gezielte Prävention widmet sich den Risikogruppen, z.B. durch Hilfen zur Bewältigung schwieriger Lebenssituationen. Oder es werden durch Erhöhung des Entdeckungsrisikos oder durch die Minimierung von Tatgelegenheiten (z.B. durch verstärkte Polizeistreifen) Straftaten erschwert und potenzielle Täter konkret von ihren Vorhaben abgehalten. Auffälli­ge Gruppen werden gezielt kontaktiert (Gefährderansprachen). Hierfür muss die Polizei speziell geschult werden, auch unter kulturellen Gesichtspunkten.

Nordrhein-Westfalen hat das Projekt „Integration, Orientierung, Perspektiven“ gestartet, bei dem es darum geht, bei einer konkreten Gruppe von Kindern und Jugendlichen zwi­schen 8 und 14 Jahren und ihren Eltern „Einsicht zu fördern, Einstellungen und in der Folge Verhalten zu verändern und Perspektiven als Alternative zu einem kriminellen Le­benswandel aufzuzeigen“. So will man kriminalitätsgefährdete Familien zum Ausstieg be­wegen. Derzeit sind 26 Mädchen und Jungen eingebunden.

Offenbar wird Präventionsarbeit nicht mit gleicher Energie betrieben wie Repressi­on. Das dürfte vor allem daran liegen, dass letztere öffentlichkeitswirksamer ist. Präventionsmaß­nahmen sind jedoch unverzichtbar; sie sind wirksam und wahrscheinlich auch ökonomi­scher als Repression.

Wie erwähnt ist der Begriff der Clan-Kriminalität medial stark aufgeladen und auch wissen­schaftlich wegen seiner Unschärfe umstritten, weil auch unbeteiligte Angehörige von Straf­fälligen unter Generalverdacht stehen. Kritiker befürchten, dass damit grundlegende straf‐ und strafverfahrensrechtliche Garantien ausgehebelt werden. Sie sehen zudem die Gefahr, das die Stigmatisierung einer ganzen Bevölkerungsgruppe zu einem Legitima­tionsverlust polizeilichen Handelns und einer Schwächung der Akzeptanz der Strafverfol­gungsorgane führen kann. Die polizeiliche Berufsvereinigung PolizeiGrün lehnt den Be­griff deshalb ab.

Über Heiner Jüttner:

Der Autor war von 1972 bis 1982 FDP-Mitglied, 1980 Bundestagskandidat, 1981-1982 Vorsitzender in Aachen, 1982-1983 Landesvorsitzender der Liberalen Demokraten NRW, 1984 bis 1991 Ratsmitglied der Grünen in Aachen, 1991-98 Beigeordneter der Stadt Aachen. 1999–2007 kaufmännischer Geschäftsführer der Wassergewinnungs- und -aufbereitungsgesellschaft Nordeifel, die die Stadt Aachen und den Kreis Aachen mit Trinkwasser beliefert.

Ein Kommentar

  1. Thomas Ruffmann

    Der Mediendienst Integration hat mehrere längere Beiträge und eine lange Expertise zur sogenannten Clankriminalität veröffentlicht. Siehe u.a. hier https://mediendienst-integration.de/desintegration/kriminalitaet.html
    Mein Fazit: Die Clankriminalität wird von Minister Reul &Co. propagandistisch aufgeblasen. Aus durchsichtigen Gründen. Es gibt Probleme, ja sicher, aber diese haben Ursachen , und massive Repression gegen alle Mitglieder von Großfamilien ist falsch, ungerecht und kontraproduktiv. Macht sich aber immer gut bei Pressekonferenzen etc

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