Guterres und die UNO im Ukrainekonflikt

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres trifft nach seinen weitgehend ergebnislosen Gesprächen mit der Regierung Putin in Moskau morgen (Donnerstag) in Kiev mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zusammen.

Von Präsident Wladimir Putin erhielt Guterres am Dienstag lediglich sehr vage Zusagen für eine „mögliche Rolle der UNO“ bei der humanitären Versorgung der ukrainischen Bevölkerung sowie bei der Evakuierung von Zivilisten aus Mariupol. “Der russische Präsident stimmte grundsätzlich der Beteiligung der Vereinten Nationen und des Internationalen Komitees für das Rote Kreuz an der Evakuierung von Zivilpersonen aus dem Azovstal-Werk in Mariupol zu”, teilte ein UNO-Sprecher mit. Zu diesem Thema sollten „die Vereinten Nationen mit dem russischen Verteidigungsministerium in Kontakt bleiben“. Unklar blieb zunächst, ob Putin auch dem Vorschlag von Guterres zustimmte ,eine Gruppe von Vertretern der UN, des Roten Kreuzes sowie des ukrainischen und russischen Militärs zu bilden, die sich um das sichere Funktionieren der humanitären Korridore kümmern soll.

In seinen Gesprächen mit Putin sowie zuvor mit Aussenminister Sergey Lawrow hatte der UNO-Generalsekretär vergeblich die sofortige Einstellung der russischen Angriffe und die Vereinbarung eines dauerhaften Waffenstillstandes mit der ukrainischen Regierung gefordert. Lawrow lehnte dies ab unter Verweis auf den „Verhandlungsunwillen“ der ukrainischen Seite und wies auch Guterres´ Vorschlag zur Einsetzung eines UN-Vermittlers als „zu früh“ zurück.

Guterres äußerte in Moskau ausdrücklich sein Bedauern, dass die Vereinten Nationen nicht beteiligt gewesen waren an der Umsetzung des im September 2014 vereinbarten Minsker Friedensplans für die Ostukraine. Der Sicherheitsrat hatte lediglich im Februar 2015 das Minsk-2-Abkommen zur Umsetzung des ursprünglichen Friedensplans per Resolution für völkerrechtlich verbindlich erklärt. Maßnahmen zur Durchsetzung dieser Resolution – etwa durch Entsendung einer UN-Beobachtermission oder gar einer Blauhelmtruppe – unterblieben aber. Diese Aufgabe wurde der „Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE)“ überlassen. Deren Mission in der Ostukraine hatte jedoch angesichts völlig unzureichender personeller und logistischer Ressourcen keinerlei deeskalierenden Effekt auf den Konflikt. Über die Dokumentation der Verstöße beider Seiten – der russisch-stämmigen Separatisten wie der ukrainischen Regierung – gegen die Minsker Vereinbarungen kam die OSZE-Mission nie hinaus.

Auf die den Kämpfen in der Ostukraine vorausgegangene völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland im März 2014 hatte der UNO-Sicherheitsrat wegen einer Vetodrohung Moskaus überhaupt nicht reagieren können. Stattdessen verurteilte die UNO-Generalversammlung die Annexion Ende März 2014 mit großer Mehrheit und bezeichnete das Sezessions-Referendum vom 16. März, mit der Moskau die Annexion zu legitimieren suchte, als „ungültig“. Doch auch diese Resolution hatte keine praktische Konsequenzen.

Dasselbe gilt für die Resolution, in der die UNO-Generalversammlung am 2.März dieses Jahres Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine mit der überwältigenden Mehrheit von 141 gegen fünf Stimmen als „völkerrechtswidrig“ kritisierte und die „sofortige und bedingungslose Einstellung aller Angriffshandlungen“ sowie den „vollständigen Rückzug“ der russischen Invasionstruppen forderte. Ein entsprechender Resolutionsantrag im Sicherheitsrat war zuvor am Veto Russlands gescheitert. In der Generalversammlung gab es allerdings weder im März 2014 noch in diesem Jahr Initiativen, auch Maßnahmen durch Durchsetzung der beschlossenen Resolutionen zu verabschiedeten.

Die Reise von Generalsekretär Guterres in die Kriegsregion erfolgte erst, nachdem ihn über 200 ehemalige UNO-Funktionäre in einem offenen Brief zu einer aktiveren Rolle aufgefordert hatten. Kritiker monieren, Guterres hätte schon vor Kriegsbeginn nach Moskau und Kiev reisen sollen, auch ohne Rückhalt durch den Sicherheitsrat und mit dem Risiko des Scheiterns – so wie sein Vorgänger Kofi Annan, der im Vorfeld des Irakkrieges 2003 gegen den Widerstand der Vetomächte USA und Großbritanniens nach Bagdad gereist war, um den Krieg noch abzuwenden. Andere Kritiker bemängeln, Guterres habe seine mögliche Rolle als Vermittler verspielt, weil er den Angriffskrieg der Vetomacht Russland vom ersten Tag an klar als Völkerechtsbruch kritisierte. Annan tat dies mit Blick auf den Irakkrieg von 2003 erst lange nach Kriegsende und nur auch bohrende Nachfragen eines BBC-Journalisten.

Kommentar des Autors

Zu spät

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres ist zu spät nach Moskau und Kiev gereist und kehrt mit (fast) völlig leeren Händen nach New York zurück. Das ist von großer Tragik. Zumal der Ukrainekrieg schon längst nicht mehr auf den europäischen Kontinent beschränkt ist. Er hat dramatische globale Auswirkungen, die die Bezeichung 3. Weltkrieg schon jetzt rechtfertigen. Insbesondere, weil dieser Krieg die Nahrungsmittelversorgung vor allem für die Länder in Afrika immer mehr einschränkt.

Die Zahl der Menschen, die infolge dieses Kriegs im Globalen Süden verhungern, wird letzten Endes wahrscheinlich sehr viel höher sein, als die Zahl der durch russische Angriffe getöteten Zivilisten und Soldaten in der Ukraine. Das ist eine Bedrohung des Weltfriedens, für dessen Bewahrung und Wiederherstellung die UNO laut ihrer Charta die oberste Verantwortung hat.

Die 136 nichteuropäischen Mitgliedsstaaten der UNO haben sich schon viel zu lange darauf verlassen, daß die 57 Mitglieder der “Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa” (OSZE) diesen Konflikt auf ihrem Kontinent beilegen. Daher sollte Generalsekretär Guterres jetzt nicht resigniert aufgeben, sondern auf Basis der mit großer Mehrheit verabschiedeten Resolution der Generalversammlung vom 2. März zur Verurteilung dieses Krieges gemeinsam mit einer Gruppe führender UNO-Mitglieder aus dem globalen Süden eine Initiative starten zur Vermittlung eines Waffenstillstandes im Ukrainekrieg als notwendiger Voraussetzung für ernsthafte politische Verhandlungen zwischen Moskau und Kiev. Zu dieser Gruppe sollten vorzugsweise Staaten aus dem globalen Süden gewonnen werden, die sich bisher nicht als Unterstützer einer der beiden Kriegsparteien exponiert haben.

Auch wenn China dieses Kriterium zumindest nach den bisherigen Äußerungen aus Peking zu dem Ukraine-Krieg nicht erfüllt, kämen zumindest die anderen drei mit Russland in der BRICS-Ländergruppe verbündeten Staaten Brasilien, Indien und Südafrika für diese Vermittlungsinitiative der UNO in Frage.

Dieser Text erscheint voraussichtlich auch bei taz.de.

Über Andreas Zumach:

Andreas Zumach ist freier Journalist, Buchautor, Vortragsreferent und Moderator, Berlin. Von 1988- 2020 UNO- Korrespondent in Genf, für "die tageszeitung" (taz) in Berlin sowie für weitere Zeitungen, Rundfunk- und Fernsehanstalten. Seine Beiträge sind in der Regel Übernahmen von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag.