Rezension – Sofi Oksanen, Hundepark
Mit dem Krieg in der Ukraine ist ein Problem sichtbar geworden, das bundesweit Überraschung und Entsetzen ausgelöst hat: die Lage von armen Frauen, die aus finanzieller Not einen Vertrag mit einer Leihmutteragentur in Kiew abgeschlossen haben. Die Ukraine ist eines der Länder, in der Leihmutterschaft nicht verboten und deshalb ein bevorzugtes Land ist, in dem sich Frauen mit Kinderwunsch (und unter Umständen auch Männer) ihre Wünsche erfüllen können. Die dortigen Agenturen arbeiten hoch professionell, um die Bedürfnisse ihrer KundInnen bis hin zur Festlegung des Geschlechts zu erfüllen.
Es ist ein lukrativer Markt, die Kosten für deutsche Paare betragen mindestens 50 000. – EURO, die Leihmutter selbst soll dabei ca. 20.000 EURO erhalten. Es ist ein rücksichtloses Geschäft mit dem Frauenkörper, das vor allem deshalb funktioniert, weil die Leihmütter mit Knebelverträgen an die Agenturen gebunden werden. So dürfen sie beispielsweise ihre Babys nicht stillen, damit keine Bindung an die biologischen Mütter entsteht. Ihnen wird kurz nach der Geburt der Säugling abgenommen. Das führte in den Bombenangriffen auf Kiew dazu, dass ca. 400 Säuglinge, darunter 50 für Deutsche vorgesehenen Babys, nicht abgeholt werden konnten. Bilder zeigen, dass sie eng an eng in ihren Körbchen ohne mütterlichen Kontakt mit künstlicher Ernährung die erste Zeit ihres Lebens verbringen mussten. Die biologischen Mütter selbst werden nicht nur nach den Kundenwünschen sorgsam ausgesucht, sondern auch überwacht, ob sie die vertraglichen Vereinbarungen auch einhalten. Wie sich diese katastrophalen Bedingungen auf die Entwicklung der Kinder und auf das spätere Familienleben in den Vertragsfamilien im Ausland auswirken, ist zur Zeit noch nicht absehbar.
Bevor der Ukrainekrieg begann, hat die finnische Schriftstellerin Sofi Oksanen zu diesen Praktiken und den Auswirkungen auf die beiden Mütter einen Roman geschrieben, der die Problematik für alle Beteiligten eindrucksvoll beschreibt und der sich aus heutiger Sicht wie eine Voraussage auf die unübersehbaren Folgen einer solchen Politik liest:
Sofi Oksanen, Hundepark. Aus dem Finnischen übersetzt von Angela Plöger, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022, 480 Seiten, 23 EURO
Der Roman erzählt die Geschichte zweier Frauen, die sich durch die Leihmutterschaft den Aufstieg aus ihrer finanziellen Enge erhoffen. Eine von ihnen, die Hauptperson, will aus ihrer familiären Not herauskommen und steigt in einer Wunschkinderorganisation ein und auf, die andere wird als potentielle Spenderin und Leihmutter von ihr angeworben. Das Buch beschreibt detailliert und kenntnisreich das Auswahlverfahren, die Überwachung der beiden Frauen, deren Anpassungsprozesse an die inhumanen Praktiken und die langsame Erkenntnis, dass die erwartete finanzielle Zufriedenheit die Nachteile bei weitem nicht ausgleichen kann.
Beide Frauen – inzwischen tief verfeindet und Konkurrentinnen – begegnen sich nach einer Reihe von Jahren wieder auf der Suche nach ihren biologisch-leiblichen Kindern am Rande eines Hundeparks. Dort hoffen sie auf einen Kontakt mit der Wunschkindfamilie, die mit den beiden Kindern ein zufriedenes und scheinbar glückliches Familienleben führt. Das Buch ist fast ein Thriller und endet tragisch. Sofi Oksanen, die auch autobiographische Elemente in ihren Roman neben gründlichen Recherchen eingeflochten hat, hat ein Buch geschrieben, das von der ersten bis zur letzten Zeile mit seiner Mischung aus Detailtreue und Empathie für die Lage armer ukrainischer Frauen, Spannungselementen und realistischen Analysen der politischen Lage fasziniert. Für mich wirkt es für das 21.Jahrhundert über die Widersprüchen einer Politik, die die Lage der Frauen mit dem Wunsch, der Armut zu entkommen und gleichzeitig mit ihren eigenen Lebenswünschen zu vereinbaren, wie eine globale Parabel darüber was geschieht, wenn Politik die eigenen Lebenswünsche von Frauen nicht ernst genug nimmt und ihre körperliche und seelische Ausbeutung zulässt.
In Deutschland gibt es seit Langem Bestrebungen, die Verbote des Embryonenschutzgesetzes von 1990, das u.a. Leihmutterschaft ausschließt, weiter aufzulockern und die Profitmöglichkeiten von entnommenen Eizellen und Leihmutterschaft zu erweitern. Oksanens Roman sollte ebenso wie die Erfahrungen mit den sog. Bunkerbabys – so mein Wunsch – hier wie ein Stoppschild wirken.
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