Gute Seiten, schlechte Seiten des 9€T / Wundersame Bahn CIV
Die Meinungen über das “9-Euro-Ticket” sind geteilt, nicht nur zwischen Stadt und Land. Die gewöhnlich angemessen kritische Anja Krüger/taz hält die Aufregung für übertrieben. Hat die Berliner Schreibtischperspektive sie überwältigt? Ich war selbst lange Berufspendler und kenne viele, die es heute noch sind. Ja, diese Menschen sind schon einiges gewöhnt. Kommt es daher auf ein bisschen mehr oder weniger nicht mehr an? Ich kenne keine, die es so sehen.
Richtig ist, und auch an der Frequenz der “Wundersame-Bahn”-Folgen in diesem Blog zu erkennen: das Thema hat sich in den Vordergrund der öffentlichen Debatte gespielt. Aber ist das nicht mehr ein Problem der Medien als der Tatsachen? Denn der Beitrag des Verkehrs zum Klimawandel, insbesondere in den reichen Ländern wie unserem, ist ein uralter Skandal, der sich in seinem Ausmass immer weiter aufbaut. Wären die Berufspendler*innen Revolutionär*inn*e*n, wäre das “Regime” in Deutschland längst gestürzt. Dass es nicht so weit kommt, liegt daran, dass die potenziellen Revolutionär*inn*e*n körperlich völlig erschöpft sind, und lieber heute als morgen in die Rente wollen.
Auf welche Ideen kommen die für den öffentlichen Verkehr verantwortlichen Stellen? Wenn eine Strecke heillos vom 9€T überlastet sind, ist die wirksamste Rettung: einfach stilllegen. In Berlin, wo sie keinen Flughafen bauen, keine Wahlen organisieren und auch sonst kaum regieren können, tobt sich die Kreativität gegen lästige Fahrgäste aus. Gratulation!
Nah am Kern der Sache scheint mir Ex-Grünen-MdB Hendrik Auhagen im Junge-Welt-Interview. Sein Vorschlag am Schluss in Richtung Jahresticket erscheint mir besonders konstruktiv. Die deutsche Bahnpolitik muss in Richtung Österreich oder noch besser der Schweiz gedreht werden. Gedanklich hatte ich schon die Fantasie, ob wir der Schweiz nicht gleich die komplette Deutsche Bahn schenken sollten. Aber ich fürchte, die Schweizer*innen können rechnen und werden die Annahme verweigern.
It’s the economy, stupid. Die deutsche Bahnpolitik orientiert sich an der Vergesellschaftung der Verluste und der Privatisierung der Gewinne an den Siemens-Konzern, den seit Jahrhunderten grössten Empfänger von Staatsaufträgen in Deutschland – egal, ob gerade Kaiser, Nazis oder Demokraten regieren. Der Konzern verkauft jetzt das, was er uns teuer andreht, auch an die ägyptische Militärjunta, ohne öffentliche Ausschreibungen und ähnliches Gedöns. Es geht auch so, dass “alle” Geschäftsbeteiligten was davon haben. Was für ein Zufall: der Siemenskunde war zufällig im letzten Jahr auch der beste Kunde der deutschen Rüstungsindustrie: “In der Rangliste der wichtigsten Empfängerländer kommt nach Ägypten lange Zeit nichts.” Alles klar?
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