Bohéme-Ghetto / Assange und unsere feige Regierung / Impfstoff-Freigabe / Rheintal-Bahnlärm

Eine recht prominente Politikerin in verantwortlicher Position gestand mir vor einiger Zeit “Fluchtreflexe”, die sie angestrengt bekämpfen müsse. Ja, das ist ein pandemieartig verbreitetes Symptom. Ich merke, wie es sich auch in mir breit macht. Zunächst wollte ich heute “hitzefrei” nehmen, was ja sowas Ähnliches ist, aber dann überwog doch mein Lektüreärger, den ich hier nun über Sie auskippen muss.

Fluchtreflexe hatte auch der ehemalige Bundestagsabgeordnete der Linkspartei Fabio de Masi. Dass er dem Wagenknecht-Flügel seiner Partei lange Zeit zugeordnet wurde, macht ihn mir nicht sonderlich nahestehend. Aber er erarbeitete sich hohen öffentlichen Respekt durch seine Leistungsstärke bei der Ausübung seines Bundestagsmandates 2017-2021. Und als wollte er seinem Respekt bei mir die Krone aufsetzen, verzichtete er aus freien Stücken auf eine Wiederkandidatur. Ihm ist nicht verborgen geblieben, dass es für gute politische Arbeit keine Dankbarkeit gibt, (fast) nirgends.

Stattdessen veröffentlicht der Mann ein Essay in der Berliner Zeitung: Twitter ist ein soziales Ghetto der digitalen Bohème – Datenmacht bedroht die Demokratie. Um sie zu schützen, müssen wir die Enteignung unserer Gedanken, unseres Willens, unserer Privatsphäre durch Google, Facebook und Co. beenden.” Da steht so ziemlich das Wichtigste drin, was auch mich derzeit politisch beunruhigt. Schade nur, dass der Mann daran nicht mehr im Parlament arbeitet; stattdessen tut er es bei der Bürgerbewegung Finanzwende. Wenn das der Wirksamkeit dient – gut so.

Assange und unsere Feiglingsbande in Berlin

De Masi pflegt augenscheinlich gute Beziehung zu Michael Maier, Herausgeber der Berliner Zeitung. Während des Wirecard-Untersuchungsausschusses scheint mir hier eine Beziehung gewachsen, zum Wohle meines Leserinteresses. Dieser Maier verursacht mir nun meinerseits massive Fluchtreflexe, mit seinem – überhaupt nicht witzigen! – Interview mit Martin Sonneborn (Die Partei) zum Fall Assange, und nicht minder massiv mit seinem Bericht aus der Bundespressekonferenz und der dortigen skandalösen Performance “unserer” Regierung.

Ist Maier also ein ampelfeindlicher Agent? Von wem? Mit welchem Motiv? Und warum reagiert “die Ampel” darauf so scheisse, nämlich im Kern gar nicht? Ich weiss ja, wieviele Feiglinge in meiner eigenen Partei versammelt sind. Aber imgrunde müssten auch Gerhart Baum und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ihre FDP-Parteifreund*inn*e*n in Berlin wg. verfassungswidriger Unterlassung sofort verhaften lassen. Christoph Strässers Leiden an seiner Partei ist mir schon lange bekannt; ich mag es nicht vergrössern – hat sowieso keinen Zweck.

Und jetzt die guten Nachrichten

Die Wichtigste verlängert mein Lamento. Die “WTO beschließt Aussetzung der Patente auf Covid-19-Impfstoffe”. Der Skandal daran ist, dass das so lange gedauert hat. Joe Biden persönlich hat die EU und die Bundesregierung als dafür Verantwortliche in den Regen der Öffentlichkeit gestellt, in dem sich selbst meine Freundin Svenja Schulze zu meiner Verzweiflung hat nassregnen lassen. Nun erscheint diese dpa-Meldung, ohne Kommentar oder Begründung, ob und warum die Bundesregierung ihren widerlichen Widerstand dagegen aufgegeben hat. Vor wem schämen sie sich? Und warum?

Die derzeit grassierende Omikron-Variante – auch gute Freund*inn*en von mir in Köln sind betroffen – hat Europa zuerst in Portugal erreicht. Portugal hat alte und umfangreiche Wirtschafts-, Kultur- und Verkehrsbeziehungen zu seinen ehemalige Kolonien im südlichen Afrika. Impfquote Angola: 20,7%. Glückwunsch, deutsche Impfstoff-Prohibition! Freie Bahn für Mutationen und Varianten – ein Fest für Big-Pharma-Aktionär*inn*e*n, vor allem in Mainz “An der Goldgrube”.

Bahnlärm am Rhein – die tun doch nicht etwa was?

Im Bundestag hat sich eine überfraktionelle Gruppe gebildet, die das Thema anpacken will, und Hoffnung auf den Bundesverkehrsminister setzt – es wäre das erste Mal, dass das einen Sinn hat – weil der auch aus Rheinland-Pfalz ist und das Problem kennt. Herrlich naiv? Wäre schön, wenn das ein Irrtum ist. Aber als 65-jähriger bin ich wohl schon zu alt, um noch eine Verbesserung zu erleben.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net