Das unangenehmste beim bisherigen EM-Gucken war die Hetze der wenigen alten weissen Männer in den Kneipen gegen die erstklassige ZDF-Live-Reporterin Claudia Neumann. Ihr haben die alten Herren bis heute nicht verziehen, dass sie es gewagt hat, als allererste Frau in der mehrtausendjährigen deutschen Geschichte ein Fussballspiel der Herren live zu kommentieren. Tja, die Frau macht das beruflich. Wie konnte das passieren?
Alles Andere an der derzeit laufenden Fussball-EM in Kleinbritannien empfinde ich als extrem angenehm. Erstklassiger, gestern sogar dramatisch spannender (2:1, 12 Mio. Zuschauer*innen) Sport, sensationell herausgespielte Tore, kaum Starkult, dafür fantastischer Teamspirit auf beiden Seiten (Deutschlands Spielmacherin und Frankreichs Torjägerin waren wg. Verletzung ausgefallen). Kein Gelärme auf den Strassen, kein nationalistischer Fahnenfanatismus, Sparprogramm der nervenden Medienkonzerne, null besoffenes Gegröhle, ziviles Nutzungsverhalten im ÖPNV. Wann hat es das zuletzt in Deutschland während eines Fussballturniers gegeben? Es muss 1962 gewesen sein, da war ich fünf, die WM in Chile kam wg. Zeitverschiebung noch nicht in der Glotze; viele hatten noch gar keine.
Deutschlands Fussballfrauen stellen die TV-Einschaltquoten der Jungs, die in den letzten Jahren stark abgefallen waren, klar und souverän in den Schatten. Das ist im Business die entscheidende Währung. Sie “verdienen” also mehr Publikum vor die Glotzen, wo der Kapitalfluss hergestellt wird: TV-Rechte, Sponsoren-Präsenz, etc. und der Bundeskanzler kommt jetzt auch, aber wahrscheinlich, anders als seine Vorgängerin, nicht in die Kabine. In fortschrittlicheren Ländern als Deutschland, bei der Hälfte der diesjährigen EM-Teilnehmerinnen, hat das dazu geführt, dass die Frauen die gleichen Erfolgsprämien bekommen wie die Männer. In Norwegen z.B. haben die Männer sogar Verzicht geübt, um das materiell möglich zu machen. Das ist natürlich hierzulande völlig undenkbar.
Und vielleicht sogar besser so? Lesen Sie mal hier, was die DFB-Damen alles unternehmen, um sich selbst zu qualifizieren. Da muss es den Jungs ja regelrecht angst und bange werden. Nicht nur in der Schule sind sie besser. An der Uni und auf dem Platz auch. Geld ist ihnen – nunja, nicht egal – aber bisher noch weniger wichtig – als ein kluger und freier Kopf. Von Deutschlands Weltmeistern der Herren ist vielfach überliefert, komplette TV-Dokumentationen über ihre “tragischen” Schicksale wurden fabriziert, dass sie ihren Ruhm “nicht verkraftet”, sondern versoffen haben. Oder ihr Alte-Männer-Leben als Witzfiguren von Pay-TV-Sendern und dubiosen Wettmafias fristen müssen. Wer wollte das diesen grossen Sportlerinnen von gestern Abend wünschen, vom Fussball-Grosskapital so weggeschmissen zu werden, wie einst Stan Libuda oder Erwin Kostedde?
Welchen Grund sollte es geben, das ändern zu wollen? Einer könnte sein, dass die besten Mädels dann halt weiterziehen: nach London, Lyon, Barcelona und in die USA. Das macht sie nicht dümmer. Aber reicher.
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