“Wie die Nationalfrauschaft Interviews gibt, Fouls wegatmet, bündig torjubelt, macht Medienschaffenden ein schlechtes Gewissen. Allein für phrasenarme schlaue Statements und die ehrliche Freude an der medialen Wahrnehmung lohnt es sich, nach Abpfiff weiterzuschauen. Und zu ahnen: Je erfolgreicher die werden, desto böser wird das abgeschliffen.”
Dieser weise Kommentar ist von dem weisen, weissen alten Mann Friedrich Küppersbusch, niedergelegt in seiner taz-Kolumne, geschrieben noch vor dem Finale.
Dem lässt sich nach dem Finale und der Erhebung der TV-Quoten hinzufügen: die Marke sind nun 17,9 Mio. Zuschauerinnen (Männer mitgezählt), die in der anschliessenden Zusammenfassung der DFB-Pokalspiele der Herren mal locker um knapp 15 Mio. unterboten wurde. Das ist die Währung, meine Herren!
Die Tradition der Wembley-Finals wussten die Damen zu wahren. In einer entscheidenden Spielphase wurde den deutschen Gästen ein Handelfmeter verweigert. Trotz oder wegen Videobeweis? Egal. Entscheidend ist die Entscheidung.
Die Geschichte des Spiels lief anders ab, als bei den englischen Siegen zuvor. Dort verausgabten sich die Gegenspielerinnen (Österreich, Spanien, Schweden) in der Anfangsphase, setzten die Gastgeberinnen durchaus wirkungsvoll unter Druck, verwerteten aber die hart erarbeiteten Torchancen nicht. Der damit einhergehende Frust entkräftete sie so, dass die Engländerinnen mit ihren zweifelsfreien fussballerischen Fähigkeiten in den zweiten Halbzeiten bzw. Verlängerung nur noch ernten mussten.
Gestern lief es anders. Die Deutschen zogen sich in der ersten Halbzeit kraftsparend in die eigene Hälfte zurück, und kämpften erst in der zweiten um Dominanz. Die erste Viertelstunde der zweiten Halbzeit sah nur eine überlegen spielende Mannschaft, die deutsche. Und genau da hinein setzten die Engländerinnen einen brillanten Konter zum 1:0.
Die DFBlerinnen waren davon noch nicht geschlagen. Im Gegenteil: ihr Ausgleichstreffer war von der Befreiung aus der Defensive bis zum Vortrag vor das englische Tor ein klassischer Fall für Fussballschulbücher. Der Rest war dann Glück und Pech. Beide Teams waren in der Verlängerung platt. Die Gastgeberinnen waren knapp 90.000 Leute mehr.
Nachdem sie das Ereignis konsequent verpennt haben, sind die deutschen Medien nun drei Tage in Aufregung. Weil Sommerloch ist, wird in den Nachrichten ein paar Stunden gemeldet, wo unsere Wembleyheldinnen gerade in der Luft sind, und wann genau sie am Frankfurter Römer von Jubelmassen und Kameras noch einmal von oben bis unten abgeleckt werden.
Ich empfehle stattdessen die beste Bilanz, die ich zum EM-Turnier wahrgenommen habe: das gestrige EM-Magazin des DLF (Audio 27 min). Wenn Sie ernsthaft an Frauenfussball interessiert sind, hören Sie sich das an. Dann wissen Sie alles Wichtige. Die Beiträge im Einzelnen:
“Förderung von Frauen- und Mädchenfußball: ‘Auch eine gesellschaftliche Frage’ – Um den Frauen- und Mädchenfußball nach dem EM-Erfolg der DFB-Elf nachhaltig zu fördern, müsse es nicht nur im Sport, sondern auch in der Gesellschaft ein Umdenken geben, sagte Lisa Steffny, Trainerin und Mitgründerin von ‘Equaletics’. ‘Es geht um Stereotype, um Empowerment’.” (Audio 9 min)
“England gewinnt gegen Deutschland 2:1 n.V. – Analysegespräch mit Tabea Kunze” (Audio 7 min)
“Frauenfußball in England – Kein Spiel für alle” von Ronny Blaschke zu den real existierenden Klassen- und Rassismusstrukturen (Audio 6 min)
Ergänzen würde ich noch eine Kenntnisnahme der mutmasslich besten Trainerin der Welt, die keine Zirkusnummern für TV-Kameras abzieht, sondern hart und ernsthaft mit ihren talentierten Spielerinnen arbeitet – und während des Spiels auch immer genau so guckt. Diese Welttrainerin des Jahres heisst Sarina Wiegman, und hat ihre Karriere in der Hoofdklasse, bei der VV Ter Leede aus Sassenheim gestartet. Eine Holländerin also, mal wieder. Johan Cruyff wäre ihr grösster Fan.
Was Kathi Hendrich (IV) da gestern gespielt hat, hab ich lange nicht gesehen. Meine Fresse! Im Vollsprint der Gegnerin hinterher, ihr fair den Ball abzujagen um von der eigenen Strafraumlinie den Gegenangriff mit nur einem überlegten Pass einzuleiten… Das war Weltklasse! Und zwei Stationen später das 1:1. Hat leider nicht gereicht. Elfmeter? Weiss nicht. Zeitschinderei… sei es drum! Wahrlich nicht das "schönste" Spiel dieser EM. Aber eines Endspiels würdig!