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Wer zurücktreten müsste …

Die Heuchelei in der RBB-Affäre ist körperlich schmerzhaft

mit Update 25.8.

Wird der öffentliche Lokalsender von Berlin, mit ein bisschen drumrum, zerlegt und ausgenommen? So sieht es aus. Und die Gewissheit wächst, dass es nicht dabei bleiben wird. Fast alle öffentlichen Sendeanstalten sind – als hätte jemand auf einen Knopf gedrückt – in Panikmodus umgeschaltet. Kollabiert ein morsches System? Private Medienoligarch*inn*en jubeln. Wird es ihre Rettung? Und verdummt das Land dann endlich so hinreichend, dass es Friedrich Merz und seinen Blackrock-Freunden wie eine vollreife Frucht in den Schoss fällt? Möglich ist das. Gibt es noch Alternativen?

Die Landesgesetzgeber hätten schon lange handeln müssen. Sie verschlafen ihre medienpolitischen Aufgaben seit Jahrzehnten. Das Management der Corona-Pandemie hat das Vertrauen in ihre Handlungsfähigkeit – höflich ausgedrückt – nicht gesteigert. Und ausgerechnet jetzt soll das besser werden?

Sicher, der Berliner, traditionell der Westberliner, Filz ist was ganz besonderes. Er war für öffentliche Kassen schon immer unfassbar teuer. Aber für die wenigen Profiteure, die sich alle bestens untereinander kennen, funktioniert es prächtig. Mal stolpert ein Wirtschaftssenator, mal muss eine Architektin geopfert werden, immer mal wieder wird ein Bürgermeister abgewählt. Das sind Einzelfälle. Doch jetzt brechen dank Austeritätspolitik immer mehr Infrastrukturen zusammen. Hunderttausende öffentliche Berliner Wohnungen sind dank des Finanzsenators Thilo Sarrazin (2002-2009) schon weg. Die Bundesregierung ist mittlerweile so unqualifiziert, dass sie in eine globale Kriegsfront reinschlittert, und beteiligt sich aktiv an der Herstellung einer globalen Wirtschaftskrise. Und eines heraufziehenden Wirtschaftskrieges.

Das erhitzt das innergesellschaftliche Klima. Das Tempo bei der Suche nach Sündenböcken*ziegen wird verschärft. Massstäblichkeit, Gerechtigkeit gar, verliert an Bedeutung. Prognose für öffentliche Medien: weitere Intendant*inn*en werden gekreuzigt, das System wird einer McKinseyartigen Rationalisierung unterzogen, also stufenweise abgebaut. Geier und Hyänen kreisen schon.

Was wäre ein Ausweg?

Dazu die desillusionierende Vorbemerkung: ein strategisches Zentrum, von dem eine Reformstrategie ausgehen könnte, ist weit und breit nicht erkennbar. Parteien fallen dafür mittlerweile aus – alle. Ihre finanzstarken Stiftungen ebenfalls – können vor Geld kaum laufen, sind aber intellektuell leergelaufen. Alternative Bündnisse entstehen nur noch ultrakurzfristig und anlassbezogen. Seit sie sich aus Clicks konstituieren, entstehen sie quasi diskursfrei. Konzepte und Strategien entstehen so nicht.

Alle Landtage müssten ihre Rundfunkgesetze einer Generalrevision unterziehen. Die Aufsichtsgremien der öffentlich-rechtlichen Anstalten sind ein unfähiger Torso, ein Überbleibsel des adenauerschen deutschen Verbändekorporatismus der 50er Jahre. Das war lange funktional, aber höchstens bis in die 80er, als der Angriff der von Kohl, Kirch und Bertelsmann inspirierten Privatmedien begann. Die haben jedoch “das Internet” dann alle gleichermassen verschlafen. Und den damit einhergehenden gesellschaftliche Wandel sowieso – eine intellektuell fortgeschrittenere Dame nannte es treffend “Neuland”. Die Landtage haben an den Aufsichts- und Kontrollgremien komplett unsachgemäss rumgeschraubt: nach jedem Machtwechsel durch Landtagswahlen wurden 2-5 Sitze von Verbänden ausgewechselt – je nach dem, wer gerade eine Landtagsmehrheit hatte. Das System wurde so immer morscher.

In den Anstalten selbst wurden diese Gremien, zusammengesetzt aus Menschen von Parteien und Verbänden, die gerne wichtig sind, aber keine Zeit für ernsthafte Kontrollarbeit haben, inkorporiert, gebauchpinselt, ihrer “Wichtigkeit” und “Bedeutung” versichert, von medienprominenten Nasen mit Komplimenten, Ämtern, Aufwandsentschädigungen und edlen Parkplätzen versorgt – also ruhiggestellt, ungefährlich gemacht. Generell gilt: der Rundfunk-/Fernsehrat ist ein Beschäftigungs- und Labergremium – und wählt die*den Intendant*in. Das eigentliche Kontrollgremium ist der aufsichtsratsähnliche Verwaltungsrat. Dort fallen wichtige Haushalts- und Personalentscheidungen, in der Regel wie von der Anstaltsleitung vorgelegt – aber komplett nichtöffentlich (“Geschäftsgeheimnisse”, “Schweigepflicht”).

Heute ist das kompletter unfunktionaler Trash. Jedenfalls, wenn einer*m die Demokratie noch irgendwie lieb ist.

Die Lösung: die Landesgesetzgeber müssen die Zusammensetzung dieser Gremien dem – den ganzen Laden finanzierenden – Publikum öffnen. Es muss mitwählen und mitwirken können. Und das bei gleichzeitiger Verkleinerung der Gremien. Die Bewerber*innen müssen ein transparentes Qualifikationsprofil erfüllen. Sie dürfen nicht aus den zu kontrollierenden Strukturen kommen, also auch keinesfalls aus Regierungen, Parlamenten und Parteiapparaten – aber ebenso Unabhängigkeit aus oligarchischen Kapitalstrukturen nachweisen (Konkurrenzklausel). Die möglichen Kontrolleur*inn*e*n – es wären nicht viele, aber Bessere.

Die Anstalten gehören uns. Wenn wir uns nicht selbst drum kümmern, tut es niemand. Dann geht es so aus wie jetzt. Immer wieder. Bis sie alle tot sind.

Update 25.8.: Lesen Sie ergänzend auch Hansjürgen Rosenbauer/Tagesspiegel: Aus der Traum – Was der RBB nicht wurde: Ein Vorzeigeprojekt für die faire und gleichberechtigte Zusammenarbeit von Berlin und Brandenburg.” Ich lernte den Autor Anfang der 80er Jahre in einer ausnehmend schönen Altbauwohnung in der Bonner Nordstadt Im Krausfeld kennen. Er war damals ARD-Hauptstadtkorrespondent im WDR-geführten Studio Bonn. Unsere Gastgeberin war Annette Niemeyer, die kluge und schöne MdB-Mitarbeiterin des SPD-Renegaten Manfred Coppik. Aus unseren Gesprächen folgte Wochen später ein fairer “Bericht aus Bonn” zu den Bafög-Forderungen der Vereinigten Deutschen Studentenschaften (VDS), deren Vorstand ich damals angehörte. Rosenbauer setzte sich so in mir als fairer, im besten Sinne geschäftsfähiger Partner fest. Ob er das als ORB-Intendant (“die schlanke Anstalt”, 1991-2003) immer noch war? Das weiss ich nicht.

Schauen Sie ergänzend auch Küppersbusch-TV. Der Mann weiss, wovon er redet, weil er für den RBB arbeitet und morgen in Marl einen Grimmepreis abholt.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net

2 Kommentare

  1. w.nissing

    kleines appercüüü: Die zurück getretende Intendantin wird meinem Flurfunkempfang nach von der Kölner Anwaltskanzlei um Höcker vertreten:
    https://www.t-online.de/region/berlin/id_100040310/patricia-schlesinger-dieser-umstrittene-anwalt-vertritt-sie-gegen-den-rbb.html

    • Martin Böttger

      Mit Schröder um die Wette im “sich-nicht-verbiegen-lassen”? Haben die Psycho-Doktor*inn*en dafür einen lateinischen Fachbegriff? Früher war mehr politischer Streit.

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