ist einfach so gegangen.
Manche Artikel, die geschrieben werden müssen, tun dabei weh. Jetzt über Hans-Christian Ströbele zu schreiben, ist für mich ganz schön heftig. Seit 37 Jahren war er für uns – die Grünen in der ersten Bundestagsfraktion, die Linken in der Partei und an der Basis und für die Bürgerrechtsorganisationen “Der Ströbi”.
1985 galt bei Grüns noch die 2-Jahres Rotation mitten in der Legislaturperiode. Ich war zu dieser Zeit “Koordinator” des Arbeitskreis 3 “Recht und Gesellschaft”, um Struktur in das Chaos zwischen Abgeordneten und “Nachrückern” zu bringen. Ströbi kam aus Berlin, stellte sich freundlich vor, wollte in den Innenausschuss und kündigte mir an, dass er einen “Mitarbeiter, der uns nicht gefallen wird” mitbringen werde. Udo Knapp war in der Tat ein gruppendynamischer Hammer. Ströbele, der linke Radikaldemokrat aus bürgerlichen Verhältnissen, aber mit klarem sozialpolitischem Bewusstsein, brachte einen echten Libertären mit, der seine Kolleg*inn*en der gewerkschaftlichen Verkrustung bezichtigte, die Verhältnisse mit zum Teil grenzwertigen Methoden zum Tanzen brachte, aber vor Kreativität sprühte. Die beiden lebten zwei Jahre in Bonn in einer Art kreativer politischer Symbiose in Sitzungswochen im Abgeordneten-AppARTEment Ströbeles, ohne das Regierungsviertel zu verlassen. Beide waren fest in Berlin verwurzelt. Ströbi trank keinen Alkohol, die beiden ernährten sich vor allem von Milch und Schokolade.
Bürgerrechtsprofil geschärft
Hatte Otto Schily mit seinen Enthüllungen der “Flick-Affäre” die ersten beiden Jahre Rechtspolitik der Grünen geprägt, kam nun Sröbi dazu, nahm die Auseinandersetzung mit den “Sicherheitsgesetzen” und Überwachungsplänen des Innenmininisters Zimmermann auf. Otto Schily hatte mich unter vier Augen vor Ströbi gewarnt. Sein Verhältnis zum Rechtsstaat sei unklar, behauptete er. Das habe ich über die Jahrzehnte zu keinem Zeitpunkt wahrgenommen. Bei Otto, insbesondere in seiner Rolle als rot-grüner Innenminister ab 1998 dagegen schon.
Zurück nach 1985: maschinenlesbare Ausweise, KfZ-Kennzeichen, Zentraldateien, ausufernde Befugnisse für Verfassungsschutz, BND, MAD und Gründung des BSI – Pläne von CSU-Innenminister Friedrich “Ede” Zimmermann. Die Aufarbeitung der NS-Zeit, Entschädigung der Opfer und der Kampf gegen Rechts waren weitere Themen, die Ströbi nach vorn brachte. Und natürlich schrieb er das Vorwort zu meinem und Dieter Hummels Buch “Vorsicht Volkszählung” 1986 und rief zum Boykott, der größten Datenschutzbewegung in der Geschichte der Bundespepublik auf. Ströbi wurde der erste grüne Kontrolleur der Geheimdienste in der parlamentarischen Kontrollkommission und blieb es über drei Jahrzehnte.
Aktion vor Theorie
Er enthüllte Geheimdienstskandale in Untersuchungsausschüssen über Aktivitäten des BND wie der NSA, die Kanzlerin Merkels Telefon abgehört hatte. Ströbi war bis 2017 einer der erfahrensten Ermittler im Interesse der Demokratie. Aber neben den parlamentarischen Aktivitäten konnte man immer auf Ströbi bei Aktionen an der “Basis” setzen. Legendär unser gemeinsamer Besuch 1990 in Düsseldorf bei der “Zentralstelle für Befragungswesen” – einer geheimen Außenstelle des BND mitten in der Shopping Mall der Schicki-Micki NRW-Hauptstadt – mitgeschnitten und aufbereitet vom WDR-Geheimdienstjournalist Richard Finger. 2013 besuchte er den NSA-Whistleblower Snowden in Moskau und setzte sich für Ihn und sein politisches Asyl in Deutschland ein. Er war lange der dienstälteste Kontrolleur der Geheimdienste. Vor zwei Jahren habe ich ihn darin überholt. Auch die Auslieferung Julian Assanges an die USA bekämpfte Ströbi vehement. Er höre auf, erklärte er mir bei einem Treffen 2017, weil ihm die Sitzungen bis nach 2:00 Uhr nachts zunehmend schwer fielen. Er hat sich um Aufklärung und Rechtsstaat verdient gemacht.
Kein Pazifist, sondern Friedenskämpfer
Ströbi war kein Pazifist. In klarer Analyse der Lage der Freiheitskämpfer*innen in Nicaragua und El Salvador kam er zum Schluss, dass die linken Guerillas dort, die für die Befreiung ihrer Völker gegen rechtsgerichtete Diktatoren kämpften, auch mit Waffen unterstützt werden müssten. Diktatoren, die ihr Volk mit Gewalt unterdrücken, dürfen nicht geschont werden, wenn die Bevölkerung sich gegen sie auflehnt, war seine Rechtfertigung. Aber Diktatoren, die von anderen Mächten und nicht im Interesse eines eigenen politischen Widerstands der Bevölkerung bekämpft werden, konnten in seinen Augen niemals einen Kriegseinsatz rechtfertigen. Es ging ihm um Befreiung von Herrschaft – nicht um die Ersetzung der einen ungerechten Regierung durch eine andere ungerechte Regierung. Deshalb hat er dem Kosovo-Krieg, den Einsätzen in Libyen und Mali immer wieder widersprochen, allein dem Einsatz in Afghanistan hat er zugestimmt. Er verstand Emanzipation als Befreiung von Herrschaft. Mit Regime-Change-Phantasien des Westens der 90er und 2000er sowie 10er Jahre wollte er nichts zu tun haben, diese Art Politik war Ströbi ein Greuel.
Zu widerborstig für die Partei
Mit seinen klaren Positionen und kritischen Ansichten gegenüber dem Kurs der Parteiführung, vor allem Joschka Fischers Unterwerfungsstrategie unter die SPD “wenn wir koalieren, bedeutet das immer 2 Punkte für die SPD, einen für uns” – so meinte mir das Joschka mal 1995 erklären zu müssen – war Ströbi auch im zunehmend nach rechts rückenden Landesverband Berlin umstritten. Er gewann deshalb 2002 keinen sicheren Listenplatz mehr und kandidierte im Wahlkreis 83 Friedrichshain-Prenzlauer Berg-Kreuzberg. Die Kandidatur war ein politisch-kulturelles Ereignis. Nicht nur die lokalen Basisinitiativen unterstützten Ströbi, auch kulturelle Größen wie der Zeichner Gerhard Seyfried zeichneten sein Wahlplakat “Ströbele wählen heisst Fischer quälen” mit Motiven aus dem alternativen Kiez. Ströbi war und blieb bis 2017 der erste direkt in den Bundestag gewählte Abgeordnete. Bis zuletzt blieb er davon überzeugt, dass Politik von unten nach oben funktioniert, dass es umgekehrt niemals Erfolge geben kann. Vor diesem Hintergrund sah er auch den Krieg in der Ukraine kritisch und lehnte westliche Waffenlieferungen ab.
Ströbi und der Fußball
Ach ja, und Ströbi war Neffe des Fußballreporters Herbert Zimmermann “Rahn könnte schießen, Rahn schießt…Toooor, Toooor ….das Spiel ist aus, Deutschland ist Weltmeister…1954.” Er hielt die Rechte an der Aufzeichnung und Ströbi handelte bei jeder Übertragung außerhalb der ARD für seine Familie vierstellige Honorare aus, die für politische Zwecke gespendet wurden.
Überhaupt Sport: Ströbi wurde jahrzehntelang im Wahlkreis auf dem Fahrrad angetroffen und gefilmt. Aber er war auch in Bonn einer der ganz wenigen Abgeordneten, die konsequent das alte schwarze Lastenfahrrad der Fraktion nutzten, um vom Hochhaus Tulpenfeld, wo die Grüne Fraktion mit ihren Abgeordnetenbüros einquartiert war, zum 1 km entfernten Plenarsaal zu radeln, um zu Abstimmungen nicht zu spät zu kommen.
Er hatte noch nicht fertig
Als wir im Frühjahr 2022 das letzte mal telefonierten, war er voll informiert, engagiert, aber auch frustriert über seinen Gesundheitsszustand. Auf meine höfliche Frage am Anfang, wie es ihm denn gehe, sagte er in seiner Klarheit “Scheiße”, und erklärte mir seine aktuelle Situation rapiden körperlichen Abbaus und seiner Hilflosigkeit, nichts dagegen tun zu können. Für einen Kämpfer wie ihn ein unerträglicher Zustand. Die Nachricht über seinen Tod hat mich unendlich traurig gemacht.
Es gibt keinen Grünen, dem ich mich politisch immer wieder so nahe gefühlt habe, ohne viel diskutieren zu müssen. Er kam als 68er von ganz anders woher, aber zwischen ihm und meiner politischen Herkunft, den Jungdemokraten, gab es mehr Gemeinsamkeiten innerhalb der Grünen, als zu vermuten war. In Bürgerrechts- und Abrüstungsfragen, in der Flüchtlingspolitik, beim Kampf gegen Rechtsextremismus, gegen Berufsverbote wie bei der Kontrolle der Geheimdienste, bei der Verteidigung individueller Freiheitsrechte gegen den Staat, aber auch gegen übermächtige Kapitalinteressen von Google, Facebook und Co. Sein langjähriger Mitarbeiter Christian Busold war immer dabei. Ich schließe ihn deshalb ein in den Dank für Ströbis Arbeit.
So bleibt mir noch eins zu sagen: Hans-Christian, der Kampf um Bürgerrechte geht weiter!
Er war für mich das politische Gewissen Deutschlands. Ich habe große Sorge wegen des Verlustes dieser unbeugsamen Kontrollinstanz.
Menschlich bin ich auch zufielst traurig….
Lieber Roland Appel,
einen Nachruf zu schreiben, ist immer eine heikle Sache: „De mortuis nihil nisi bene“ – Wenn über die Toten reden, dann nur Gutes. Das kann peinlich werden oder ist – in vielen Fällen – geheuchelt. Doch das war in diesem Fall kein Problem. Denn für Dich gab es, wie Du schreibst, „keinen Grünen, dem ich mich politisch immer wieder so nahe gefühlt habe, ohne viel diskutieren zu müssen“.
Der Tod von Hans-Christian Ströbele macht Dich „unendlich traurig“. Zum Glück – für die Leser:innen Deines Nachrufs – findest Du dennoch in diesem Moment die passenden Worte. Du würdigst diesen integren, kämpferischen Grünen-Politiker so, wie er es verdient hat. Die Stationen seiner Arbeit im Parlament lässt Du für uns noch einmal Revue passieren. Bewegte Zeiten. Und was haben wir diesem „Radikaldemokraten“ nicht alles zu verdanken! Es versteht sich, dass Du Dich dem Erbe dieses Zeitgenossen verpflichtet fühlst. Und Du schließt den Nachruf auf ihn mit einem zuversichtlichen „Hans-Christian, der Kampf geht weiter!“
Doch an dieser Stelle wird es nun doch heikel – da missverständlich. Nach dem, was Du aus Ströbeles Vita berichtest, sollte klar sein, wogegen und wofür sich „der Kampf“ richtet. Aber das trotzige „Der Kampf geht weiter!“ erklang auch schon in anderen Kontexten.
„A luta continua“ beispielsweise hieß die Parole, als die Befreiungsbewegungen von Angola, Mosambik und Guinea-Bissau in den 60er Jahren der portugiesischen Kolonialmacht den Krieg erklärten. Und im deutschsprachigen Raum war es Rudi Dutschke, der sich im November 1974 bei der Beerdigung des RAF-Mitglieds Holger Meins dieser Parole bediente. Vor den laufenden Kameras und mit erhobener Faust rief er damals: „Holger, der Kampf geht weiter!“ Meins war am 9. November 1974 an den Folgen seines dritten, insgesamt 58 Tage andauernden Hungerstreiks gestorben.
Was also, lieber Roland Appel, willst Du uns Leser:innen mit diesem Zitat sagen? Es ist, finde ich, erklärungsbedürftig.
Lieber Klem, Roland hat in diesem Blog allein mit den Teasern seiner Texte bereits 57 Seiten vollgeschrieben. Da findet sich jede Menge Material zu Deiner Frage. Mehr als in einem Leben zu schaffen ist. Kann sich also jede*r was aussuchen.
Oder Du musst halt Deine Frage präzisieren. Was genau ist Dein Problem, das diskutiert werden soll?
Lieber Roland,
Ein sehr schöner und treffender Nachruf! Christian hat politik mit spaß,Charme und grenzenloser Ausdauer betrieben. Sein Humor brachte die ideenlosen rechten zur weissglut. Nur eine kleine korrektur: ich meine zu erinnern,dass unser “dienstfahhrad” in bonn nicht schwarz sondern GRÜN” war :-))
martin
Danke, Ströbi für alles!
Danke, Roland für den guten Artikel!