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Suffizienz statt Wachstum

Warum uns freiwilliger Verzicht so schwerfällt – Wir verbrauchen zu viele Ressourcen, das ist seit Jahrzehnten klar. Die grüne Lifestyle-Ökonomie wird uns nicht retten. Echte Änderungen müssen her.

Vor etwa 50 Jahren erschien ein Buch, das schnell zum Bestseller avancierte: „Small is beautiful“. Klein ist schön. Darin kritisiert der Wirtschaftswissenschaftler Ernst Friedrich Schumacher die Vergötterung des Gigantismus und entwirft das Modell einer buddhistischen Ökonomie. Unendliches Wachstum mit endlichen Ressourcen, das könne auf Dauer nicht funktionieren, schreibt Schumacher. Stattdessen plädiert er für eine Philosophie der Genügsamkeit; Konsum sei kein Selbstzweck, echter Wohlstand nicht am Kontostand ablesbar.

Das klingt plausibel. Nun verhält es sich jedoch so, dass wohl die wenigsten Menschen freiwilligen Verzicht üben. Auch in der Vergangenheit sind bescheidene Lebensweisen zumeist durch die Umstände, d. h. durch die Knappheit der Güter, erzwungen worden. Mehr noch: Es wird nachvollziehbarerweise als Zumutung empfunden, freiwillig auf Konsumchancen zu verzichten, die endlich für viele leistbar geworden sind, etwa Billigflüge in die weite Welt, komfortable Autos, Kommunikationselektronik, Markenjeans usw.

Erschwerend hinzu kommt: Vieles an Freizeitmöglichkeiten und sozialen Beziehungen ist heute nur mehr konsumbasiert möglich. Um Freunde zu besuchen, benötigt man ein Auto, zum gemütlichen Zusammensetzen geht man in die Pizzeria, Sport braucht entsprechende Bekleidung, Geräte und Eintrittskosten. Gerade hier zeigt sich eines: Das, was Milton Keynes relative Bedürfnisse nannte, die nicht unmittelbar befriedigt werden müssen (im Gegensatz zu den absoluten Bedürfnissen), ist nicht fix. Im Lauf der Zeit gerinnen relative zu absoluten Bedürfnissen. Mit anderen Worten, das, was als Standard gilt, wird im Lauf der Zeit umfangreicher und tiefer.

Obgleich – oder gerade weil – offenbleibt, wie sich die Tugend der Genügsamkeit und der Wunsch nach qualitativem Wachstum zueinander verhalten, spielt der Begriff „Suffizienz“ in den aktuellen Debatten eine wichtige Rolle. Während Effizienz in der Regel auf neue Technologien zielt, meint Suffizienz eher ein Umdenken. Das ist gesellschaftlich ungleich schwerer zu haben.

Die neue Genügsamkeit als hipper Trend

Zwar gibt es sie punktuell bereits, diese neue Genügsamkeit, diesen mitunter als hippen Trend ausgerufenen „Cult of Less“ (Kult des Weniger). Das mag an ideologische Systemverweigerung erinnern, auch an die alternativen Autarkie- und Selbermachmodelle der Hippies der 1970er-Jahre. Aber schließlich warnte der Club of Rome schon 1972 vor den „Grenzen des Wachstums“. „Seit dem Ölschock“, formulierte vor einiger Zeit der Münchner Fotograf Thomas Weinberger, „versuchen wir, unser auf Wachstum ausgerichtetes Wirtschaftssystem künstlich am Leben zu halten. Die allgemeine Stimmungslage ähnelt der vor einem aufziehenden Gewitter: Es ist Tag, aber der Himmel ist durch heraufziehende Wolken verdunkelt.“

Eigentlich ist es unstrittig, manche Weichen neu zu stellen. Beginnen könnte man beispielsweise damit, die Menschen von ihrer Rolle als passive Konsumenten zu emanzipieren und selbst zu verantwortlichen Akteuren und Produzenten zu machen. Freilich steht man dabei vor drei schier unüberwindlichen Barrieren: Die Naturnutzung ist erstens nach wie vor viel zu billig; es fehlt an Preiswahrheit. Es mag sein, dass sich die fossilen Energien absehbar verteuern; ob dies ausreicht, sei dahingestellt. Die Lasten der Ressourcennutzung entstehen zweitens an anderer Stelle als am „Tatort“ oder zu anderer Zeit als zur „Tatzeit“; die Zusammenhänge entziehen sich mithin der sinnlichen Erfahrung. Und drittens besteht zwischen dem Wissen um Gefährdung und der Bereitschaft zur Verhaltensänderung weiterhin eine große Diskrepanz.

Jeder Verbraucher spielt (s)eine Rolle bei der Inanspruchnahme der Umwelt, mag sich ihrer indes nicht recht bewusst werden. Hinzu kommt der Rebound-Effekt: Der ökologische Effizienzgewinn wird durch Mengenwachstum überkompensiert. Mehr sparsame Autos verbrauchen mehr Benzin als wenige Spritschlucker. Und auch in der Politik fehlt es – systemimmanent – an Unterstützung; entsprechende Mehrheiten hängen, dem Opportunitätsprinzip folgend, stets dem Glauben an weiteres (Wirtschafts-)Wachstum an. Die calvinistische Ethik der Enthaltsamkeit wird vermutlich kaum hohe Popularitätswerte erreichen.

Will man gleichsam Genügsamkeit ins Geschäftsmodell unserer Gesellschaft integrieren, dann braucht es ein narratives, sinnstiftendes Element. Große Reformprojekte bedürfen, um gesellschaftlich wirksam zu werden, einer motivierenden Erzählung. Es reicht nicht aus, an den Verstand zu appellieren. „Wo es keinen Mythos gibt“, so der Historiker Herfried Münkler, „gibt es nur noch Bürokratie und Geschäft.“

Bio-Lebensmittel werden aus dem Ausland antransportiert

Eine gesellschaftspolitische Hoffnung scheint nun heute im „bewussten Konsumenten“ zu liegen, dessen zum Lebensstil werdende Orientierung an Nachhaltigkeit einen Ausweg bieten mag. Es ist indes fraglich, ob mehr dahintersteckt als eine grün gewaschene Version des Homo oeconomicus. Bemerkenswerterweise gibt es kaum einen anderen Wirtschaftszweig, der so hemmungslos vom Wachstum und dem Wunsch nach sozialer Distinktion profitiert hat, wie die grüne Lifestyle-Industrie. Gerade sie funktioniert nach einem harten ökonomischen Kalkül des Mehr. Das Entstehen supermarktgleicher Biomärkte in den Städten zeigt es an: Die Nachfrage an Bio-Nahrungsmitteln in Deutschland ist mittlerweile so groß, dass ein von zwei Produkten aus dem Ausland herantransportiert werden muss. Von „regional und saisonal“ ist bei näherem Hinsehen keine Spur. Von Verzicht schon gar nicht.

Gleichwohl impliziert diese Grundhaltung, das Leben zwar in vollen Zügen, aber nicht auf Kosten der Umwelt oder der Mitmenschen genießen zu wollen, die Frage: Ist Nachhaltigkeit auf nicht dirigistische Weise zu haben? Dass der sogenannte Endverbraucher in seinem Investitions- und Nutzerverhalten von volatilen Randbedingungen – hier sei nur die (Markt-)Intransparenz durch eine Vielzahl von Labels, Tarifen oder Produkten genannt – abhängt, wird jedenfalls kaum problematisiert.

Dass die Nachfrage das Angebot bestimmt, ist eine eherne Weisheit der Marktwirtschaft. Und sie scheint auch in Fleisch und Blut übergegangen zu sein – so, als sei die Nachfrage etwas Festgelegtes, nicht wiederum das Ergebnis von Wünschen, also Bedürfnissen, die erneut und immer wieder neu erzeugt werden (können). Im System der Beziehungen zwischen Mensch und Umwelt sind beide Pole Produkt menschlicher Geschichte, also prinzipiell variabel, und über die damit eröffneten Möglichkeiten lässt sich nur nach Maßstäben urteilen, die an einem Bild vom gewünschten und nicht an einem Bild vom natürlichen Leben orientiert sind.

Der Hype um das urbane Gärtnern

In diesem Zusammenhang kommt dem Begriff Reparatur eine eminente Rolle zu. Nicht zu Unrecht ist er auch als „Renitenz gegen den Verbrauch“ gelesen worden. Das West-Berlin der 1970er- und 80er-Jahre bietet dafür ein schönes Beispiel – mit dem Konzept der Stadtreparatur. Abriss und Wohnungsnot führten seinerzeit zu massiven Protesten, die 1977 den Wettbewerb „Strategien für Kreuzberg“ und ab 1979 die illegale „Instand(be)setzung“ zahlreicher leer stehender Häuser im Ortsteil zur Folge hatten.

Dies war ein zentraler Ausgangspunkt für die Internationale Bauausstellung 1984–87, zumindest für die IBA-Altbau. Zu deren wesentlichen Anliegen zählt die Erhaltung, Stabilisierung und Weiterentwicklung der vorhandenen sozialen und funktionalen Strukturen der Stadt sowie die Durchsetzung von Prozessen wie Selbsthilfe- und Mietermodernisierung. Auf die so suggestive wie programmatische Formel von der „Rettung der kaputten Stadt“ gebracht, sind hier die Fundamente für eine Politik gelegt worden, die in sinnigen und umsetzbaren Einzelschritten auf sukzessive Verbesserung der Gesamtsituation setzt.

Ein anderes Exempel: Der Hype um das urbane Gärtnern mag übertrieben erscheinen – tatsächlich stellt die Kleingärtnerei ja eher ein gehobenes Hobby denn einen revolutionären antikapitalistischen Akt dar –, aber die innerstädtische Selbstversorgung ist gleichwohl ein Ansatz, Rohstoffkrise und ökologischen Kollaps zu verzögern. In die Sphäre des Kulinarischen übertragen könnte sich Suffizienz etwa in Ratschlägen wie diesen artikulieren: „Iss nichts, was deine Großmutter nicht kannte“. Oder: „Misstraue Lebensmitteln mit mehr als fünf Zutaten.“

Die Idee von der 2000-Watt-Gesellschaft in Zürich

Wie auch immer: Positiven Beispielen kommt eine eminente Rolle zu. Zwar mag ein Imagewandel hin zu „Askese ist cool“ nicht in Sicht sein. Aber staatliche und kommunale Initiativen können durchaus helfen, Glaubwürdigkeit herzustellen und eine Mobilisierungsgrundlage zu liefern. Die Stadt Zürich hat es demonstriert: Ihre Bürger votierten Ende 2008 bei einer Volksabstimmung mehrheitlich für die „2000-Watt-Gesellschaft“. Dabei handelt es sich um ein energiepolitisches Modell, demzufolge der Energiebedarf eines jeden Bewohners einer durchschnittlichen Leistung von 2000 Watt entsprechen darf. Wie ambitioniert dieses Ziel ist, das man bis 2050 erreicht haben will, zeigt sich im Vergleich: Die Schweiz weist derzeit einen fast dreimal höheren Verbrauch aus.

So notwendig wie vielversprechend wäre es zudem, Mobilität neu zu denken. Eine möglichst schnelle Raumüberwindung durch beschleunigte Verkehrsmittel gilt nach wie vor als Leitlinie moderner Mobilitätspolitik. Doch die durch Motorisierung und Ausbau der Straßennetze erhöhte individuelle Beweglichkeit hat, wie zahlreiche Untersuchungen ergaben, kaum zur Einsparung von Reisezeit und zu größeren Freiheitsspielräumen geführt, sondern zur Ausdehnung der Entfernungen zwischen den verschiedenen Bereichen des täglichen Lebens.

Das Paradigma der Beschleunigung trägt nicht der Vielfalt tatsächlicher Mobilitätsbedürfnisse Rechnung. Sie wirkt sogar kontraproduktiv, weil die Haltestellendichte und die Erschließung der Fläche rapide abnehmen. Mobilität entsteht durch die Notwendigkeit, alltägliche Aktivitäten im Raum zu koordinieren. Und die Bequemlichkeit für Reisende definiert sich nicht über die Geschwindigkeit des Verkehrsmittels, sondern über die Reisezeit „von Tür zu Tür“.

Das Auto darf nicht mehr an erster Stelle stehen

Dabei entspricht die klassische Pendlermobilität, die in der Regel auf den vollzeitbeschäftigten männlichen Arbeitnehmer fokussiert ist, nicht mehr so recht den Erfordernissen. Heute geht es um die Sicherung der Mobilität von Menschen und Gütern bei möglichst niedrigem Energieaufwand. Die Stadt der kurzen Wege heißt: viel stärker auf die Bedürfnisse und Befindlichkeiten von Fußgängern zu achten, bedeutet den Vorrang des Radverkehrs vor dem Autoverkehr, der Schiene vor dem Straßen- und Luftverkehr. Trotz innovativer Carsharing-Konzepte dürfte das Auto dabei kaum mehr an erster Stelle stehen.

Die eigentliche Herausforderung liegt im Mentalen; in vielen Sektoren braucht es eine andere Herangehensweise. Hier ließe sich auf das Bild vom Gärtner – im Unterschied zum Handwerker – rekurrieren, das der Ökonom Friedrich August von Hayek in seiner Nobelpreisrede 1974 bemühte: „Wenn der Mensch in seinem Bemühen, die Gesellschaftsordnung zu verbessern, nicht mehr Schaden stiften soll als Nutzen, wird er lernen müssen, dass er in diesem Gebiet nicht volles Wissen erwerben kann, das die Beherrschung des Geschehens möglich machen würde. Er wird daher dieses Wissen nicht dazu verwenden dürfen, um die Ergebnisse zu formen, wie der Handwerker sein Werk formt, sondern sein Wachsen kultivieren, indem er die geeignete Umgebung schafft, wie es der Gärtner für seine Pflanzen macht.“

Ob Suffizienz zum Leitbild taugt, bleibt freilich offen. Gegen das Motto „nutzen statt verbrauchen“, gegen eine ressourcenschonende Verhaltensweise ist nichts einzuwenden. Strittig ist vielmehr die Frage, ob es sich um eine selbst verantwortete Maxime handelt oder um eine von oben verordnete. Aber wenn es stimmt, dass Kultur aus der Reibung unterschiedlicher Interessen, Traditionen und Ideen entsteht, dann sollten an dieser Stelle ruhig weiter die Funken fliegen.

Über Robert Kaltenbrunner / Berliner Zeitung:

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Ein Kommentar

  1. Martin Böttger

    Eine Anmerkung zu Lebensmitteln, Biomärkten und ihrem Im- und Export. Deutschland als Exportvizeweltmeister produziert via Massentierhaltung weit mehr Fleisch, als es frisst: für den Export und das Niederkonkurrieren regionaler Märkte anderswo. Umgekehrt: die deutsche Landwirtschaft produziert weit weniger Biolebensmittel, als deutsche Konsument*inn*en nachfragen. Weil Grossagrarlobby und die ihr hörige Politik regionalen Biolandbau immer noch für einen Spleen halten. und ausbremsen, wo sie können.
    D.h. die Konsument*inn*en und die Gesellschaft sind weit weiter, als Politik und die zurückgebliebene Agrarchemieindustrie, die nach wie vor Klima, Böden, Grundwasser und Bäuerinnen und Bauern ruinieren.
    Einschränkende Hypothese: kann sein, dass Krieg und Wirtschaftskrise ein “Umdenken” bei den Konsument*inn*en auslösen: zum Sparen und zur gleichen doofen Denkweise, wie die der Herrschenden.

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