Einige schlechte und wenige gute Beispiele für deutschen Onlinejournalismus
Den Beueler Extradienst gibt es jetzt sechs Jahre öffentlich, inkl. nicht öffentlicher Übungsphase 8 Jahre. Geld ist keins geflossen, weder rein noch raus. Es war nicht furchtbar und es ging. Seine grösste Zierde sind die unbezahlten Autor*inn*en, die schreiben, weil sie es für richtig halten und/oder weil es ihnen Spass macht. Mir auch. Umso mehr elendigliche Gefühle überwältigen mich, wenn ich das Treiben der Profis betrachte. Einige aktuelle Beispiele.
Die in Berlin fabrizierte taz ist auf eine Weise Vorreiterin. Sie will als erste das Erscheinen auf bedrucktem Papier beenden. Zu teuer. Drucken ist teuer. Vertrieb ist noch teurer. Lieber das knappe Kapital in inhaltliche Qualität investieren. Schön wärs. Und dann das: es gibt gedruckte Texte, die tagelang nicht digital erscheinen. Diese Woche z.B. die Kolumne von Friedrich Küppersbusch, die der gute Mann immer schon sonntagsmttags abliefern muss. Die habe ich nur gefunden, weil ich sie aktiv gesucht habe. In der Digital-taz ist sie nicht sichtbar und sieht (noch) aus, wie im gedruckten Layout. Wenn Sie sich mit sowas nicht rumärgern wollen: hier gehts zu Küppis YouTube-Kanal. US-amerikanischer Monopolist, aber funktioniert wenigstens.
Nicht alles ist schlecht bei der taz. Hier eine akzeptable Habermas-Rezension. Geht doch.
GZSZ bei der FR
Die Frankfurter Rundschau ist online total runtergekommen. Der Politikteil ist voll mit Schlagzeilen aus der clickbaitenden Boulevardküche, die in mir sofort inneren Widerstand mobilisiert.
Dann fand ich zwischen all dem Trash eine Wortmeldung des verdienten Pitt von Bebenburg, ein FR-Veteran, über den ich aus Kolleg*inn*enkreisen noch kein schlechtes Wort gehört habe. Und von ihm habe ich – inhaltlich – auch noch nie Müll gelesen. Aber bei dem hier hervorgehobenen Text ist online alles zuende. Ähnlich, wie ich es mit einen Extradienst-Newslettern mache, referiert er eine kontroverse Debatte im eigenen Medium. UND VERLINKT ZU KEINEM EINZIGEN DER GENANNTEN TEXTE. Er muss es ja nicht selbermachen. Aber wie kann eine Onlineredaktion einen solchen Text unbearbeitet passieren lassen? Wohl nur, wenn es keine gibt. Und das bei dem wichtigsten Politikthema, das derzeit in Europa diskutiert wird. Wie kann mann sich als Medium nur so wegwerfen?
Auch hier eine kleine Perle als Gegenbeispiel. Der “Sport” sieht online bei der FR noch schlimmer aus, als die “Politik”. Tagealte Texte, wo welches Fussballspiel online zu sehen und gestreamt ist, bleiben stehen, obwohl sie überlebt sind. Und zwischen all dem Heu sind dann die Nadeln von Ressortchef Jan Christian Müller versteckt. Wo andere es digital einmauern, berichtet er besser informiert als andere über eine Katar-Tagung des DFB. Und liefert gleich noch ein informatives Interview mit dem deutschen Sicherheitschef der Katar-WM Helmut Spahn dazu.
SZ zum DFB
Noch vor FR-Müller gehört Thomas Kistner/SZ zur Niveauspitze des deutsche Sportjournalismus. Seinen Bericht über eine nach der Wahl des mittelrheinischen Sozialdemokraten Bernd Neuendorf zum nächsten Boss fortdauernde DFB-Affäre hat seine Onlineredaktion eingemauert, seinen Kommentar dagegen nicht. Beim DLF gibts von Kistner eine Kurzversion online zugänglich.
So meldet sich jede Redaktion ab, wie sie will. Was nicht online ist, verbreitet sich nicht. Existiert es also überhaupt?
Onlinemedien
Zu den von mir täglich besuchten 20-30 Onlineportalen gehören zahlreiche, die nur online publizieren. Es ist schneller, billiger und lässt sich besser multiplizieren. So weit so so gut. Viele versuchen sich zu finanzieren. Legitim. Manche kämpfen und baggern, wenige haben es, meistens durch Stiftungen, Querfinanzierungen oder edle Spender*innen, (vorläufig) geschafft.
Auffällig: viele, die es geschafft haben, machen samstags und sonntags Publikationspause. Dä? Passiert da etwa nichts? Und Artikelplanungen für leseintensivere Wochentage gibt es auch nicht? Was verstehen denn hauptamtliche Onlineredakteur*inn*e*n dann unter “Arbeit”? Ich nenne lieber keine Namen, sie haben es schon schwer genug.
Undurchschaubar auch manche Paywallstrategie. Ich bin Thomas Knüwers Meinung, dass das publizistisch generell bescheuert ist. Aber Menschen und Verlagsbürokratien lernen – wenn überhaupt – nur aus Erfahrung, und das langsam, sehr langsam. Auf die Palme bringen mich allerdings Techniken, die Texte erst paywallfrei aussehen lassen, um Stunden oder Tage später dann doch in der Bezahlmauer zu verschwinden. Wie doof ist das denn? Welche*r Publizist*in will denn auf keinen Fall zitiert und empfohlen werden? Auch hier lieber keine Namen. Ärgern Sie sich selbst.
Ich weiss, wie schwierig es ist, eine Finanzierungsgrundlage für guten Journalismus zu finden. Ich weiss die Antwort auch nicht, und habe, um denen, die es schon schwer genug haben, nicht noch mehr Schwierigkeiten zu machen, meinen Ärger anonym gehalten.
Eine politische Lösung wäre, Online-Plattformen nicht von Konzernen, sondern von der Gesellschaft betreiben zu lassen. Frei und diskriminierungsfrei zugänglich, wie es öffentliche Marktplätze sind (wo dann auch die gleichen demokratischen Gesetze gelten, und keine AGBs!). Wenn dort jeder Text, egal von welchem Verlagshaus und welcher Redaktion für ein paar Cent zu erwerben wäre – das wäre “freie Marktwirtschaft”.
Und jetzt träume ich nicht weiter, sondern mache Mittagessen. Erst kommt das Fressen.
Lesen Sie ergänzend auch: Markus Beckedahl/netzpolitik.org: “Irgendwas mit Internet: Der Journalismus der Zukunft – Ich habe bei der Besser-Online-Konferenz des Deutschen Journalistenverbandes über die Zukunft des Journalismus gesprochen. Wie kann moderner Journalismus aussehen und was braucht er unter heutigen Bedingungen? Ein paar Thesen.”
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