“Wer weiß, was noch alles passiert.“ Christa ist besorgt. Morgens um zehn vor sieben ist die Welt nicht mehr so in Ordnung wie bei Johannes Mario Simmel. Gut, die Vögel zwitschern, die Sonne kriecht langsam über die Wolken und das hektische Neukölln ist noch herrlich ruhig. Aber die historischen Zäsuren beuteln auch unseren kleinen Trupp, der sich täglich im Morgengrauen vor dem Columbia-Bad trifft. Erst die Pandemie mit dem Ticketzirkus und dem dämlichen Im-Kreis-Schwimmen, dann der Ukrainekrieg, zuletzt die Queen. Hätten wir überstanden. Aber dass die Freibäder nicht mehr beheizt werden, trifft selbst Hardcore-Schwimmer wie uns.
Klaglos haben wir hingenommen, was das schöne Bad über die Jahre in eine Art Feldlazarett im Notbetrieb verwandelt hat: verbogene Spindschlösser, kaputte Duschen, die verstopften Münzschlitze am Fön, die mit der Pergola gefällte Glyzinie im romantischen Wandelgang, das verbarrikadierte Restaurant. „Nur noch durch Sonneneinstrahlung wird das Wasser erwärmt“, äfft Antonio, unser rückenschwimmender Senior, die Meldung der Bäder-Betriebe nach. „Bin mal gespannt, ob ich das bis Ende September durchhalte.“ Gudrun, Kampfschwimmerin aus Mariendorf, zieht lächelnd ihren Neopren-Anzug aus dem Rucksack.
„Na, ihr mutet euch was zu“, lacht der Bademeister, der in Daunenjacke unseren Freikörper-Aufmarsch abnimmt. „Die erste Runde ist immer die heftigste, danach geht’s super“, ermuntere ich Christa, die auf das Becken im Frühnebel starrt. Sonst bin ich nach zweieinhalb Kilometern energiegeladen, heute verlasse ich das Bad schweren Herzens. Was kommt als Nächstes? Gedankenverloren winke ich den Polizist:innen zu, die vor dem Eingang im Streifenwagen dösen. Sie sollen das Unheil abwenden.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag.
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