Das Hauptproblem der heutigen FDP

Ein Satz von Max Weber, Begründer der Soziologie und politisch eher linksliberal tickend, den jeder kennt, ist der von den dicken Brettern, die zu bohren die hohe Kunst der Politik sei. Der überzitierte, seinem Sinn nach oft nicht ganz ausgeschöpfte Satz aus „Politik als Beruf“ meint nicht nur, dass man sich in der Politik ziemlich anstrengen sollte – und das über längere Zeiträume hinweg -, er meint vor allem, dass man ein wirkliches Problem, eine wirkliche Sache haben muss, für die sich der ganze Aufwand lohnt und die dem eigenen Bemühen einen inneren Zusammenhang gibt. Hat man diese Sache nicht, löst das eigene Tun sich auf in der diffusen Reizflut des Tagesgeschehens.

Die SPD hatte (hat) mit der „Sozialen Frage“ eine solche Sache. Viele Liberale zu Webers Zeit hatten sie auch, die vornehmste darunter war die Durchsetzung einer liberalen Demokratie. Die Grünen haben sie heute mit der „Ökologischen Frage“ offensichtlich ebenfalls. Das gibt der Partei in einer ziemlich dramatischen Zeit, in der sie oft das Gegenteil von dem machen muss, was sie eigentlich tun will, eine innere Konsistenz, an der der Opportunismusvorwurf abperlt – weil man ihnen eben abnimmt, dass sie bei Öko ein dickes Brett bohren wollen. Das ist bemerkenswert.

Wie steht es mit der FDP? Aus meiner Sicht zahlt die Partei heute für einen vordergründigen Politikstil, mit dem Christian Lindner zeitweise, beim Wiedereinzug der FDP in den Bundestag, Erfolg hatte. Aus beruflichen Gründen hatte ich die Gelegenheit, das Wirken des Mannes näher beobachten zu dürfen. Was mir sehr auffiel, war seine unbedingte „Orientierung am Slogan“: Zuerst kam der Sinnesreiz, der knallige Slogan, dann erst die Entwicklung politischer Inhalte. So wurde für die Schulen mit markantem Slogan das „Ende der Kreidezeit“ beschworen. Dann wurde ziemlich hektisch und konzeptionslos nach Digitaltechnik gesucht, iPads und elektronische Schreibtafeln, die man über den Schulen ausstreuen wollte – dann würde dort endlich „weltbeste Bildung“ herrschen. So weit, so inhaltsfrei. Das ist das Politikmodell der heutigen FDP

Lindners unbedingte Orientierung am Werbewirtschaftlichen, zu der ihn auch sein politischer Lehrer Möllemann inspirierte, ist nicht überraschend. Er kommt selbst aus der Branche. Also: Werbung als Beruf. Nur für einen Liberalen wie Weber wäre solch ein Ansatz gerade Politik als Dünnbrettbohrerei – ohne ernste und langfristige Hingabe an eine Sache, für die es sich lohnt.

Es verwundert nicht, dass die FDP damit gerade jetzt ins Straucheln gerät. Das liegt nämlich nicht an der Ampelkonstellation (und es hätte auch nicht an der Jamaicakonstellation gelegen, die Lindner platzen ließ), wie Lindner glauben machen will. Die Grünen koalieren dort, wo es nötig ist, ja ebenfalls „lagerfremd“, mit der „Schwarzen Macht“, ohne dass sie das umhaut. Der FDP fehlt das Standing, die Sache, für die sie glaubhaft steht, und die ihr die Stärke gibt, überhaupt Zugeständnisse machen und Kompromisse schließen zu können. Das ist das Hauptproblem.

Was kann man einer solchen FDP raten? Vielleicht einen Blick auf einen Altliberalen wie Gerhart Baum, der sein Leben lang erkennbar für seinen Liberalismus einstand, und dem die Möllemann/Westerwelle-etc.-Kapriolen seiner Partei wenig anhaben konnten.

Und vor allem eine Orientierung an den Sachnotwendigkeiten der gegenwärtigen multiplen Krise. Man muss einfach und entschieden „das Richtige“ tun – oder sich zumindest so sehr wie möglich darum bemühen -, und damit seinen Beitrag leisten. Slogans und Lackoberflächen interessieren gerade gar nicht. Und die Konzentration auf Fußnote 371 oder 372 im Problemwust ist auch nicht besonders relevant: 2 oder 3 AKWs? 4 Monate oder mehr Monate länger? Wer jetzt mit solchen Fragen Sloganpolitik machen will, fliegt aus den Parlamenten. Da ist die WählerIn erbarmungslos.

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Über Reinhard Olschanski / Gastautor:

Geboren 1960, Studium der Philosophie, Musik, Politik und Germanistik in Berlin, Frankfurt und Urbino (Italien). Promotion zum Dr. phil. bei Axel Honneth. Diverse Lehrtätigkeiten. Langjährige Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Referent im Bundestag, im Landtag NRW und im Staatsministerium Baden-Württemberg. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Politik, Philosophie, Musik und Kultur. Mehr über und von Reinhard Olschanski finden sie auf seiner Homepage.