Eine meiner Lieblingsthesen lautet, dass im real existierenden Kapitalismus alle Prozesse immer weiter beschleunigt werden; das Kapital “will”/muss zirkulieren, und diese Beschleunigung ist ein wesentlicher Wachstumsfaktor. Aber es gibt ein kleines gallisches Dorf, in dem z.B. Strassenbahnfahrer*innen immer noch keine Ampelvorrangschaltung geniessen. In diesem Dorf werden sogar Ausbaumassnahmen für mehrspurigen Autoverkehr als “ÖPNV-Beschleunigung” bezeichnet, Häuserabriss, Friedhofsverkleinerung und Beseitigung von Fussgängerampeln inklusive. Dieses Dorf heisst Beuel, wird von der Stadt Bonn verwaltet und liegt im Rheinland. Solche Ampelschaltungen kannte ich schon Ende der 70er Jahre, in richtigen Grossstädten. Wenn in Bonn alles 50 Jahre später kommt, kann es eigentlich nicht mehr lange dauern.

Extradienst-Leser*innen wissen, dass ich Rentner bin. Die haben bekanntlich nie Zeit. Aber ich geniesse es, selbst bestimmen zu können, wann ich es eilig habe. Ich flanierte also gemütlich nach dem Mittagessen über unseren städtebaulich so ausnehmend eleganten Adenauerplatz, und machte dabei die folgende Beobachtung.

Eine Bahn der Linie 62 muss von der Kennedybrücke kommend am Ampel-Überweg für Fussgänger*innen und Fahrräder stoppen. Die warten immer sehr lange auf Grün. Die Erfahrenen wissen: wenn sich eine Bahn von Weitem nähert, kann es nicht mehr lange dauern. Ich passierte das Geschehen zu Fuss. 20 m weiter kam die 62 erneut zum Stehen, exakt an der Stelle, an denen den Fussgänger*innen der Überweg von der von-Sandt-Strasse zum Bistro El Horizonte und zu Bücher Bartz gestohlen wurde (noch von der schwarz geführten CDU-Stadtspitze). Die 62 muss hier rechts abbiegen, und wird genötigt, zunächst den Autoverkehr rechts von ihr passieren zu lassen, damit auch den Dümmsten klar wird, wer das Sagen hat und schneller ist.

Während die 62 hier also erneut wartete, näherte sich hinter ihr die 66. Die muss vor dem von der 62 bereits passierten Überweg stoppen, weil sie ihn sonst – als faktische Verlängerung der rumstehenden 62 – zur allgemeinen Freude der immer zahlreich wartenden Fahrräder – blockieren würde. Und wie wenig Spass die verstehen, hatte ich hier kürzlich beschrieben.

Die Lösung wäre einfach. Die Überwege an der Kennedybrücke und an der von-Sandt-Strasse müssten synchronisiert werden. Wenn sie gleichzeitig Grün haben, wird niemand verlangsamt. Und die Bahnpiloten von der 62 und 66 müssen die Ampel steuern und sich das Grün selbst verschaffen können. Mir als Radfahrer und Fussgänger ist es immer aufs Neue peinlich, minutenlang zu warten, und mein Grün genau dann zu bekommen, wenn eine in der Rushhour vollgestopfte 66 damit zum Halten genötigt wird.

Mein Ex-Chef Karl Uckermann, der die Bonner Verkehrspolitik massgeblich mitbeeinflusst hat, sogar die Kennedybrücke aus der Opposition heraus, versichert mir noch heute bei unseren Stammtischen in der Brotfabrik, dass sich die Ratspolitiker*innen in dieser Frage von der Verwaltung am Nasenring durch die Arena ziehen lassen. Obwohl die Verfassung – und auch die NRW-Gemeindeordnung – es exakt umgekehrt vorgesehen hat.

Seit über zwei Jahren sind sowohl Bonn als auch Beuel mehrheitlich grün regiert.

PS: Woanders is auch scheisse. Wir haben es gut im Rheinland.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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