Auch wenn noch die wesentliche Frage aussteht, ob die Republikaner im Repräsentantenhaus – noch stehen viele Ergebnisse demokratischer Wahlbezirke in Kalifornien aus – und im Senat die Mehrheit errungen haben, steht es besser, als vermutet um die US-Demokratie. Die Republikaner, die sich als besonders Trump-abhängig gezeigt haben, konnten sich in vielen Fällen nicht durchsetzen. Das hat dazu geführt, dass die erwarteten Verluste der Demokraten und das Abstrafen des amtierenden Präsidenten historisch geringer ausfielen, als befürchtet. Dennoch sollte sich Joe Biden keinen falschen Hoffnungen hingeben: Seine Zeit ist vorbei.
Denn völlig egal, wer bei den Republikanern das Rennen um die Präsidentschaftskandidatur machen wird, der dann von Korruptionsprozessen noch nicht gestoppte Donald Trump oder der “Rechtsaußen mit Hirn” Ron De Santis, der seinen Staat Florida mit einem hervorragenden Ergebnis holte: dieser Wahlkampf hat gezeigt, dass der gute und tapfere Mann im Weißen Haus nur noch eine Statthalterrolle spielen kann. Er wird nach den Wahlen 2024 nicht nur 82 Jahre alt sein, er agiert schon heute am Rande seiner Kräfte. Selbst Konrad Adenauer wirkte in seinem Alter frischer, schlagfertiger und weitaus scharfzüngiger. Es geht mir dabei nicht um Altersdiskriminierung: Gerhart R. Baum, gerade 90 Jahre alt geworden, würden wahrscheinlich Mitarbeiter und Gebührenzahler mehrheitlich sofort das Amt des WDR-Intendanten für die nächsten fünf Jahre aufdrängen – und er wäre ein Guter.
Personalprobleme der Demokraten
Nein, Joe Biden ist ein Symbol einer Generation, die abtritt, anders als Bernie Sanders, und er ist ein Symbol für die Personalprobleme der etablierten Demokraten. Anders als Al Gore neben Bill Clinton ist auch die Vizepräsidentin Kamala Harris eine bittere politische Enttäuschung. Sie hat die letzten zwei Jahre nicht nutzen können, neben dem manchmal zögerlichen Präsidenten ein eigenes Profil zu gewinnen. So war es auch Barack Obama, der zuletzt profilierter in den Wahlkampf der Demokraten eingriff, als die amtierende Vizepräsidentin. Gretchen Esther Whitmer, Gouverneurin von Michigan, ist da von ganz anderem Kaliber. Sie hat nicht nur die demokratischen Mehrheiten in Michigan verteidigt, sie hat auch in der Corona-Pandemie und während eines Entführungsversuchs durch rechte Terroristen gezeigt, dass sie mehr “Arsch in der Hose” hat, als viele ihrer männlichen Kollegen.
Mit klarer Kante zum Erfolg
Und diese Fähigkeit, klare Kante zu zeigen, ohne zu überziehen, das ist eine weitere Erkenntnis dieses Wahlkampfs, hat sich für die Demokraten als Erfolg erwiesen. Das zeigte nicht zuletzt die erfolgreiche Kandidatur des bodenständigen John Fetterman in Pennsylvania, der sich für Mindestlohn, staatliche Krankenversicherung, gleichgeschlechtliche Ehe und liberalisierte Einwanderung eingesetzt hat. Auch Alexandria Ocasio-Cortez gewann ihren Parlamentssitz in New York mit nahezu 70 %. Eine Ermutigung also für Demokraten, die politisch-inhaltlich Kurs gehalten haben, nicht nur in der Abtreibungsfrage. Um diese und um Wahlrechtsfragen und -Manipulationen wird es in den kommenden zwei Jahren Vorwahlkampf der Präsidentschaftswahlen 2024 gehen.
Und das sind genau die Fragen, – bei aller Anerkennung, dass US-Präsidentschaftskandidat:inn:en zur Mitte hin integrieren müssen, wenn sie gewinnen wollen – in denen Joe Biden in der Vergangenheit nachgesagt wurde, er wäre zu kompromissbereit. Das gilt auch für den vom Parteiestablishment hoch gehandelten Verkehrsminister Bidens, Pete Buttigieg, der zu den sehr moderaten Demokraten gehört. Dass nach Umfragen nurmehr 30% meinen, Biden sollte noch einmal kandidieren, muss die Demokraten alarmieren.
Das bedeutet für 2024, dass die Demokraten insgesamt mehr Haltung zeigen müssen, statt der Versuchung nachzugeben, als Republican Lights gewählt zu werden. Biden wäre gut beraten, zu erkennen, dass sein Wahlsieg 2020 nur möglich war, weil sein Gegenpart diese alte, rückwärtsgewandte Gestalt Donald Trump war, der ein kulturelles Mittelalter verkörpert, das nur Rechtsextremisten und religiöse Sektierer wirklich leben wollen. Biden sollte deshalb nun frühzeitig beiseite treten und den Weg für eine jüngere und aussichtsreichere demokratische Präsidentschaftskandidatur 2024 frei machen.
Außenpolitische Auswirkungen auf Europa und den Krieg
Der abzusehende Verlust der Mehrheit im Repräsentantenhaus für die Demokraten kann sich unter Umständen direkt auf Europa und auf den Krieg in der Ukraine auswirken. Denn wenn die Republikaner, insbesondere solche mit der Haltung “America first” Trumps, von den geänderten Mehrheiten im Repräsentantenhaus Gebrauch machen, können sie das militärische Engagement der USA im Ukrainekonflikt empfindlich bremsen. Putin könnte das feiern. Zwar wird sich vermutlich nichts an der klaren Bündnispolitik Joe Bidens und seiner Zuverlässigkeit in der NATO ändern, aber ob es ihm gelingen wird, im gleichen Umfang wie bisher die Ukraine mit Waffenlieferungen und finanziell zu unterstützen, ist fraglich.
Für Europa wird sich das so auswirken, dass der Ukrainekrieg auf jeden Fall erheblich mehr kosten wird. Denn die US-amerikanische Rüstungsindustrie wird auf absehbare Zeit die einzige des Westens sein, die hinreichend schnell Waffen in die Ukraine liefern kann. Und es ist zu erwarten, dass die Republikaner über die Mehrheiten in Senat und Repräsentantenhaus die Europäer indirekt zwingen werden, sich erheblich stärker als bisher finanziell am Ukrainekrieg zu beteiligen.
Wende so oder so
Biden hat aber möglicherweise auch die Chance, noch vor Ende seiner Amtszeit den Ukrainekrieg zu einem Ende zu vermitteln. Seine Erfahrung als “Elder Statesman” lässt hoffen, dass er in den nächsten beiden Jahren seiner Amtszeit diplomatisch in die Offensive gehen wird. Denn ob Trump oder einer seiner Mitläufer:inn:en antreten wird – es gibt Hoffnung auf eine Trendwende auch innerhalb des Lagers der Republikaner. Zu viele Verschwörungserzähler:inn:en in Trumps Kielwasser haben bei den Midterms die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllt.
Das Establishment der Grand Old Party könnte sich vielleicht gegen ihren “Paten” aus Florida wenden, der schon wieder vollmundig angekündigt hat, von seiner Immobilie in Mar-a-Lago aus – was schon – seine Präsidentschaftskandidatur 2024 zu verkünden. Seine Parteifreunde stehen dann vor der Frage, ob sie ihn selbst stoppen oder auf die zahlreichen Gerichtsverfahren hoffen, die gegen ihn anhängig sind. Auch seine Zeit ist vermutlich, – so help me God – vorbei.
Auch wenn die Ergebnisse noch nicht vollständig sind und Stichwahlen ausstehen – die Midterms waren für Überraschungen gut und machen Hoffnung für die Demokratie in den USA. Für den Klimawandel heißt das Wahlergebnis, das darf nicht vergessen werden, jedoch nichts Gutes.
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