Beueler-Extradienst

Meldungen und Meinungen aus Beuel und der Welt

Rechtsstaats-Zerstörer

Als ich hier vor einigen Tagen die Aktivisten der “Letzten Generation” gebeten habe, ihre Aktionsformen hinsichtlich der Solidarisierungsaussichten noch einmal zu überprüfen, war diese Kritik selbstverständlich konstruktiv gemeint. Denn die Ziele der selbsternannten letzten Generation, wie ein 9 € Ticket, 100 km/h auf Autobahnen sind legitim und werden von vielen Menschen geteilt. Seit etwa einer Woche haben ergießt sich dagegen ein Sturm der Diffamierung, Kriminalisierung und populistischer Gewalt über diese Jugendlichen.

Da ist die “Bild-Zeitung” bzw. das entsprechende Fernsehen, das die Jugendlichen als “Ökoterroristen” und “Öko-RAF” bezeichnet. Hallo? Die “Rote Armee Fraktion” der 70er Jahre hat Menschen ermordet, die Republik in Angst und Schrecken versetzt, indem sie Arbeitgeber-Präsident Hans-Martin Schleyer entführten und ihre Komplizen Baader und Meinhof freipressen wollten, Flugzeuge entführt und Geiseln genommen. Welcher terroristische Hintergrund im Kleinhirn veranlasst diese Hetzmedien, harmlose Klimaaktivisten mit der Leidenschaft zu leicht geschmacklosen, vor allem selbstverletzenden Aktionen – die häufige Anwendung von Cyanacrylat-Kleber auf der Haut kann zu erheblichen bleibenden Hautschädigungen und Allergien führen – in die Nähe von Terroristen zu rücken? Wieso ist der korrupte und der Doppel- und Dreifachbezahlung überführte “Polizei”-Funktionär Reiner Wendt schon wieder aus der Versenkung als Hochstapler aufgetaucht, und diffamiert harmlose Jugendliche grundlos mit herbei phantasiertem Terrorismusverdacht? Ich würde sagen: Betrugsverdacht beim Scheinpolizisten!

Populistische Hexenjagd

Die in der “Heute Show” zitierten Medien der üblichen verdächtigen Populismusszene wie “BILD”, “Welt” und andere Springermedien betreiben eine üble und unmoralische Menschenjagd, um daraus politischen Profit zu schlagen. Seit der Undercover-Story Günter Wallraffs in den 70er Jahren bei “BILD” scheint sich dort nichts geändert zu haben. Alles, was rechte Gesinnung und Vorurteile, Populismus und Intoleranz fördert, scheint Mittel zum Zweck zu sein. Was aber ist der Zweck? Die AfD und die europäischen Rechtspopulisten immer stärker zu machen? Betreiben bestimmte Privatsender bewusst das Geschäft von Facebook und Instagram, Whatsapp und Telegram bei der Verbreitung von Fake News und desorietierenden Verschwörungstheorien der Reichsbürger? Was sind das für Verleger?

Söders neunter November

Auch Markus Söder hat sich inzwischen an den völlig abwegigen Kriminalisierungen der jungen Aktivist:inn:en beteiligt. Er verstieg sich zu Forderungen nach Gesetzesänderungen, die es erlauben sollen, Klimaaktivist:inn:en, die den Straßenverkehr behindern, mit Haftstrafen zu überziehen. Das widerspricht nicht nur dem verfassungsrechtlichen Gebot der Verhältnismäßigkeit. Es grenzt im Zusammenhang mit Aktionen gegen den Klimawandel an Behördenwillkür und Rechtsbeugung. Und er muss sich fragen lassen: Wann hat Söder jemals nach einem Neonazi-Aufmarsch, von dem es viele in Bayern gibt, die Forderung erhoben, wegen rechtsextremistischer Schläger und Hooligans das Strafgesetzbuch so zu ändern, dass bei geringsten Verstößen drei Monate Haft verhängt werden könnten?  Nein, diese Forderung kommt jetzt, wo Söder glaubt, die Schwäche nicht durchdachter Aktionsformen naiver Umweltaktivist:inn:en für seine autoritären und im Interesse von Springer und anderen Populisten liegenden politischen Ziele ohne Widerstand der Öffentlichkeit durchsetzen zu können.

Bayerische Grundrechtseingriffe im Stil einer Militärjunta

Zehn Aktivisten der “Letzten Generation” wurden in den letzten Tagen aufgrund einer willkürlichen und rechtsstaatswidrigen Norm des bayerischen Polizeigesetzes inhaftiert: Sie sollen ohne Gerichtsverfahren bis zu 30 Tagen in U-Haft brummen, weil die bayerischen Polizeibehörden der Meinung sind, dass die Umweltschützer sich wieder irgendwo auf die Straße kleben könnten. Die bayerische Staatsregierung verteidigt die Möglichkeit, Klimaaktivisten einen Monat lang präventiv in Gewahrsam zu nehmen, als einen Akt “wehrhafter” Demokratie. “Präventivmaßnahmen sind notwendig, um Straftaten, die angekündigt werden, die offenkundig kurz bevorstehen, zu verhindern”, sagte Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) nach einer Kabinettssitzung am Dienstag in München. Und von diesen Möglichkeiten, die das bayerische Polizeiaufgabengesetz biete, mache der Rechtsstaat eben Gebrauch, erklärte Herrmann und betonte: “Eine wehrhafte Demokratie lässt sich halt auch nicht auf der Nase herumtanzen.” Damit offenbart sich in ganzer Klarheit das gestörte Verhältnis der CSU zum Grundgesetz und zur Demonstrationsfreiheit. Die hat das Grundgesetz und immer wieder das Bundesverfassungsgericht als “Konstitutiv für die Demokratie” bezeichnet, ist sie doch, so Gerhart Baum heute im Deutschlandfunk (Audio 7 min; keine Mitschrift) : “Praktisch das einzige Recht, das Bürger haben, um auf die Politik zwischen den Wahlen Einfluss zu nehmen.”

Grundgesetz für die CSU ohne Bedeutung

Dass die CSU und ihre Repräsentanten mit dem Grundgesetz und seinen Freiheitsrechten auf Kriegsfuß stehen, überrascht seit der “Spiegel-Affäre” von Franz-Josef Strauß niemanden. Korruption hat in Bayern Tradition in unzähligen Affären (HS 30, Starfighter, Flick, Schreiber, Wiesheu, Hohlmeier, Corona-Masken…- bis hin zur Ausländermaut). Dass Landesgruppenchef Dobrindt vergangene Woche die Umweltaktivisten als “Öko- oder Umwelt-RAF” zu verleumden versuchte, zeigt nicht nur seine manipulative Maßlosigkeit, sondern wirft ein bezeichnendes Licht darauf, dass der CSU aufgrund der eigenen jahrzehntelangen Verstrickung in organisierte Regierungskriminalität sämtliche Maßstäbe zur Beurteilung von Recht und Unrecht verloren gegangen sind.

Freiheitsrechte werden nicht gewährt, sie müssen immer neu erstritten werden

Menschenwürde und Meinungsfreiheit, Demonstrationsrecht und die Freiheit seine Rechte ohne staatliche Überwachung auszuüben, ist auch in der modernen Gesellschaft immer wieder in Gefahr. Der bayerische “Unterbindungsgewahrsam” des Polizeigesetzes wurde bei seiner Einführung damit begründet, dass der Staat gegen zu allem entschlossene Terroristen des “Islamischen Staat” oder notorische Fußball-Hooligans vorgehen müsse. Die Anwendung dieser Norm, um Umweltaktivisten in Gewahrsam zu nehmen, stellt einen klaren Akt der Rechtsbeugung dar. Die Demonstrationsfreiheit ist, so hat das Bundesverfassungsgericht im Brokdorf-Urteil, im Volkszählungs-Urteil und dem zur Blockade von Raketenstellungen durch die Friedensbewegung und vielen anderen Entscheidungen immer wieder betont, konstitutiv für die liberale Demokratie des Grundgesetzes, die auch zivilen Ungehorsam einschließt. Diese Entscheidungen sind mit heftigen Demonstrationen und vielen verletzten Demonstrant:inn.en durch Polizeigewalt erstritten worden. Die Aktivist:inn.en der Klimabewegung mögen Mittel benutzen, die nicht bei allen Bevölkerungsteilen auf Beifall stoßen – besonders wenn sie sich gegen Autofahrer:innen richten. Sie zu kriminalisieren, wie es Teile der CDU, die CSU und die rechtslastige Springerpresse derzeit versuchen, ist ein Ablenkungsmanöver, um 16 Jahre Untätigkeit und Verhinderung von Klimaschutzpolitik zu vertuschen.

 

 

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

5 Kommentare

  1. Martin Böttger

    Die Rechten gegen den Rechtsstaat, wenigstens mal eine deutsch-französische Gemeinsamkeit:
    https://www.heise.de/tp/features/Frankreich-Polizei-und-Staat-gegen-Oeko-Terrorismus-7337008.html

  2. Heiner Jüttner

    Achtung BILD, Achtung Söder,
    schon mehrfach haben deutsche Landwirte mit hunderten von Traktoren Innennstädte oder Lager von Discountern blockiert. Das muss man doch was tun. Am besten “Bauern in den Bau”.

    • Roland Appel

      Richtig! Zumal diese Agrar-Terroristen systematisch den Verkehr blockieren – mit schwerstem Gerät! Ich bin 2021 mal in der Höhe von Karlsruhe – die Autobahn war wegen Unfall gesperrt – in einen Konvoi von hunderten Treckern auf der Bundesstraße geraten! Drohungen vorne und hinten, mehrerer hundert PS, Tonnenschwer mit 30 km/h, Räder 1 m höher, als mein Autodach. Da fühlst Du Dich absolut genötigt, das ist knallharte Gewalt, die mein Grundrecht auf freie Fahrt für freie Bürger brutal und willkürlich unterdrückt hat. Jaul! Und anderntags ham diese Kriminellen noch in Bonn für Glyphosat demonstriert!!!! Ab-so-lu-ter Mißbrauch des Demonstrationsrechts! Vorbeugende Sicherheitsverwahrung von Zündschlüsseln, gezielter Rettungsschuß in Traktorreifen, Notpinkeln des Bundesgrenzschutz in alle Treckertanks! Einkesselung der Täter rund um das Bundeslandwirtschaftsministerium, Beschlagnahme der Nötigungstrecker mit anschließender Zwangsversteigerung zugunsten von Bauern in der 3. Welt und Schnellgerichte zur Aburteilung der Agrarterroristen direkt vor Ort am BMELF in Bonn-Duisdorf! Heiner, Du hast völlig recht!

  3. Heiner Jüttner

    In der taz vom 16.11.22 ist eine hervorragende Satire zu diesem Thema erschienen: “Lebenslang für Terror-Radler”

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