Weltkriegsszenarien, amerikanische “kühle Köpfe”, Selenskyi und russische Dementis
Die hechelnde Bereitschaft, mit der Politik und Medien auf eine geheimdienstlich ausgekochte und von Kiew dann markig verkündete Lüge hereinfallen, bezeugt, wie tief inzwischen der Glaube an das russische Böse verwurzelt ist. Man muss den Trägern anti-russischer Propaganda gratulieren. Das Feld ist lange und gründlich bestellt worden, über viele Jahre. Die Saat ist aufgegangen.
Auch in Deutschland ist die Bereitschaft zu Hass, Konflikt und Krieg gestiegen. Das ist verbunden mit einer größeren Bereitschaft, mit dem eigenen Leben zu spielen. „3. Weltkrieg abgesagt“, titelte die TAZ, als berichte sie über die Absage eines Rockkonzerts.
Der ukrainische Präsident besteht nach wie vor auf seiner Version der Geschichte. Warum stellt er sich so stur? Da er ja unmöglich wissen kann, was im Detail an der Front passiert, wäre es kein Problem gewesen, zurückzurudern. Er hätte, so wie die NATO, erklären können, dass an allem nur der russische Angriff letztendlich schuld ist, und den entsetzlichen Kollateralschaden des intensiven russischen Beschusses, der zu zwei fehlgeleiteten Raketen (sowjetischer Herkunft – kein Wunder, das da etwas schief ging) führte, nochmals zutiefst bedauern können.
Aber so verhielt er sich nicht. Er hielt seine Version der Ereignisse aufrecht, forderte Beteiligung an den polnischen Untersuchungen, denn so bleibt die Vermutung etwas länger in der Welt, die Raketen wären russisch gewesen. Niemand wird fragen, ob es tatsächlich ukrainische „Irrläufer“ waren. Vor allem aber besteht Selenskyj darauf, dass der NATO-Bündnisfall eingetreten ist.
Das ist das Entscheidende. Selenskyi verlangte inzwischen zum dritten Mal den direkten Einstieg der NATO in den Krieg: Durch einen Blitzeintritt der Ukraine in die NATO, durch die Forderung eines nuklearen Erstschlags der NATO gegen Russland und nun durch den angeblichen russischen Angriff auf das Bündnisgebiet.
Wie einst die siebenjährige Bana aus Ost-Aleppo (oder wer immer ihren Tweet verfasste)
7:39 PM ∙ Apr 12, 2017622 Likes 516Retweets”
sehnt er den Dritten Weltkrieg herbei.
Das unterscheidet ihn von Biden oder dem NATO-Generalsekretär.
Dankbarkeit für kühle Köpfe?
Dankbarkeit für deren „kühle Köpfe“ sollte sich nicht einstellen, wie etwa im verlinkten Spiegel-Kommentar.
Wer solche Dankbarkeit empfindet, übersieht, dass Russland sofort die Urheberschaft dementierte. Ein russisches Dementi reicht allerdings schon seit langem nicht mehr aus, um im Westen geglaubt zu werden.
Man muss sich mit der Frage beschäftigen, warum Selenskyi in anscheinend so verzweifelter Lage ist. Die Gründe dafür liegen nicht nur in Moskau. Sie liegen auch in Washington, in der NATO und in Ukraine selbst.
Selenskyi wurde gewählt, weil er versprach, den Konflikt mit Russland zu beenden und Frieden zu schaffen. Nach wenigen Monaten war dieses Versprechen nichts mehr wert. Selenskyi schloss einen Pakt mit den ihn attackierenden extremen, rechten nationalistischen Kräften der Ukraine, positionierte das Land scharf anti-russisch und legte die Axt an die Wurzeln der Demokratie in der Ukraine an. Der Westen schien nichts zu bemerken. Denn die ihm zugewiesene Rolle war die des stellvertretenden Kriegsherrn im Kampf gegen Russland.
Was medial präsentiert wird, ist der zornig-siegesgewisse, quasi wiederauferstandene ukrainische Churchill, im Look des ewig übernächtigten, unbeugsamen Frontkämpfers für Freiheit und Demokratie. Wenn er auftritt, dann fordernd, anklagend, auch gegenüber dem Westen. Nichts ist je genug.
Abseits vom Scheinwerferlicht weiß Selenskyi, dass er auf verlorenem Posten steht, nicht nur militärisch. Er muss die Krim, den Donbass militärisch erobern wollen und an der NATO-Mitgliedschaft der Ukraine festhalten. Er ist an ukrainisches Recht gebunden, und er hat auch ukrainische Nazis in seiner Umgebung.
Wie soll das denn enden – im „Siegfrieden“ à la Hollywood?
Noch mehr Macht für die Ultras
Für die Ukraine nach dem „Siegfrieden“ hat Selenskyi eine Vorstellung, die er im April 22 äußerte: Ein waffenstarrendes Land, mindestens für 10 Jahre. Bewaffnete Kräfte aus Armee und Nationalgarde sollen in allen „Institutionen, Supermärkten, Kinos“ präsent sein: Die Ukraine soll internationale Schutzmächte haben, die sofort springen, Waffen liefern, Sanktionen erlassen, wenn Kiew „sich bedroht fühlt“ – ein „großes Israel“ in ukrainischen Farben.
Diese düstere Vision auf einen Vergleich mit Israel zu stützen, ist ein atemberaubender Missbrauch der israelischen Geschichte. Denn die ukrainische Nationalgarde ist der Sammelpunkt der Nazis in der Ukraine. Tatsächlich kündigte Selenskyi diesen Elementen sogar noch mehr Macht an. Vor denen fürchtet er sich, nicht zu Unrecht. Und er fürchtet auch das letzte Kapitel seiner Rolle als stellvertretender Kriegsherr. Noch ist er nützlich.
Die heutige Ukraine taumelt militärisch, wirtschaftlich und finanziell zutiefst geschwächt in den Winter.
In Kiew hört man genau zu, wenn der US-Generalstabschef Milley sagt, dass ein schneller militärischer Sieg der Ukraine überhaupt nicht in Sicht ist.
Wie ist das denn möglich, wo doch die Russen nun schon seit Monaten aus dem letzten Loch pfeifen?
Laut CNN vom 15.11. wurde der Ukraine umgehend versichert: Alles gut, keine Strategieänderung.
Wer soll die Milliarden bezahlen, mit denen sich die Ukraine 2022 neu verschuldete?
Oder wird das auch nach „Pentagon-Methode“ erledigt werden? Nach dem 5. Audit kann das Pentagon nicht genau buchhalterisch belegen, wie 61% seiner Bestände und Verbindlichkeiten zustande kamen. Es geht nicht um Peanuts, sondern um Billionen Dollar (Steuergelder).
Warum reicht der ganze Horror nicht?
Die Ukraine hat bereits bewiesen, dass sie kämpfen kann, aber den Donbass verloren. Muss sie nun auch noch beweisen, wie lange Sterben dauert? Aber, wie die NYT schrieb, der Ukraine-Krieg ist auch ein Test moderner westlicher Waffen unter Kriegsbedingungen und damit eine gute Gelegenheit, die Planung der Rüstungsanstrengungen der kommenden zwei Jahrzehnte zu optimieren.
Das ist ein weiteres Eingeständnis, wem der Krieg nützt.
Nach dem Anschlag auf die Krimbrücke ist er sehr viel gnadenloser geworden, aber wehe der Ukraine (und auch uns), wenn er sein volles Potential entfaltet. Das darf man nicht wollen.
Der Westen macht es sich nach wie vor auf hohem Ross bequem: Putin ist schuld, der hat „unprovoziert“ angefangen, soll der doch den Krieg und das ukrainische Leid beenden.
Wann, wie verhandelt wird, muss allein die Ukraine entscheiden, dank gnädiger Großzügigkeit der USA.
Das ist ein typischer Catch-22. Es zeigt den widerlichen und erbarmungslosen Missbrauch der Ukraine im Konflikt USA-Russland in grellem Licht. Denn es geht nicht um die Ukraine, es geht immer nur um Russland.
Selenskyi muss daher weiter versuchen, die NATO in die Ukraine zu zerren. Er kann gar nicht anders. Die ihn in diesem gefährlichsten aller Verlangen unterstützen, und ihm Futter liefern, kommen definitiv nicht aus Moskau.
Leitet die westliche Kritik an Selenskyi, die plötzlich ihren Weg in Medien findet, (Biden für Selenskyj telefonisch nicht erreichbar, Sullivan warnt usw.) sein politisches Ende ein, weil er zu unberechenbar wird? Noch ist es nicht soweit.
Wird das zu einem generell vorsichtigeren Umgang mit Behauptungen aus Kiew führen? Wahrscheinlich nicht.
Drei weitere Beobachtungen
Der jüngste Vorfall des Raketeneinschlags in Polen hat weitere Dinge transparent gemacht:
Erstens, sowohl die USA als auch Russland haben volle Aufklärungskapazität darüber, was in der Ukraine militärisch passiert. Beide kennen sogar die Flugbahnen einzelner Geschosse (Biden bezog sich darauf) sehr genau. Die USA helfen der Ukraine, ihre militärische Abwehr russischer Angriffe durchzuführen. Sie liefern die Aufklärung, auf deren Grundlage ukrainische Raketen abgefeuert werden.
Warum versuchte Milley seinen russischen Kollegen nach dem Vorfall anzurufen, und warum ließ dieser sich verleugnen?
Worin hätte der Gesprächsgegenstand bestanden? Sorry, wir waren das nicht absichtlich. Es ist dumm gelaufen?
Was möglicherweise eine versöhnliche Geste werden sollte, wurde in Moskau vielleicht ganz anders interpretiert. Dort wurde womöglich eine Falle gewittert (absichtlich schief gegangen).
Das ist ganz und gar beunruhigend.
Zweitens, die polnische Ostgrenze ist eine NATO-Grenze. Zwei Raketen konnten diese Grenze durchbrechen und wurden nicht abgefangen. Es wurde auch nicht der Versuch gemacht, sie abzufangen. Wie war das möglich? Man sollte doch meinen, es gäbe eine paar militärische Vorsorgemaßnahmen an „vorderster“ Front. Vielleicht ist das nur eine sehr laienhafte Überlegung. Ich kenne lediglich zwei Grenzüberwachungsanlagen, eine in Estland, eine in Polen. Die sahen jeden illegal migrierenden Fuchs. Die israelische „Eisenkuppel“, der Iron Dome, versucht zumindest, Raketen abzufangen, wenn auch offenbar nicht sehr erfolgreich.
Sicher ist, Russland hat ein sehr hochentwickeltes Luftabwehrsystem aufgebaut, „eines der besten der Welt“.
Wenn es mit dem NATO-Abwehrsystem nicht so weit her sein sollte, führt das zur Frage: Wer fürchtet sich hier mehr vor wem?
Wie ich einem t-online Interview mit dem Militärexperten Richter von der Stiftung Wissenschaft und Politik entnahm, ist die NATO konventionell Russland „haushoch“ überlegen. Ein offener Krieg mit der NATO wäre „das Letzte“, was es brauchen kann.
Den meisten, die vom imperialen Ausdehnungswahn Russlands nach Europa schwadronieren (einschließlich Selenskyi), scheint das auch nicht klar.
Es könnte theoretisch sein, dass der Experte irrt. Dann wäre die NATO in einer Position der Schwäche und die US-Nukleardoktrin käme zum Zuge. Man kann es drehen und wenden wie man will, wir leben unter der akuten Drohung wechselseitiger nuklearer Vernichtung. Nur Russland und die USA können die Notbremse ziehen, nur gemeinsam.
Drittens, anders als häufig kommuniziert, tritt der NATO-Bündnisfall nicht automatisch ein. Ihm müssen alle zustimmen, nach ihren verfassungsrechtlichen Bedingungen und auch das zieht nicht notwendigerweise militärische Mittel nach sich (vergleiche Artikel 5, NATO-Vertrag).
Das alles macht vor allem die Neu-Mitglieder der NATO nervös. Die stellen sich immer die Frage, ob im Fall des Falles der amerikanische Kongress sein Einverständnis zum Krieg erteilen würde. Markige Worte, Solidaritätsadressen, militärische und finanzielle Unterstützung, das ist gut und schön. Aber wenn es zum Schwur käme? Für Estland sterben? Also marschieren sie, Polen und die drei baltischen Republiken allen voran, an vorderster Front, wenn es um die Konfrontation mit Russland geht. Sie wollen die militärische Auflösung des Konflikts und damit auch ihre Ängste vor Russland und ihre Ängste, allein im Regen zu stehen, ein für alle Mal loswerden. Das ist alles verständlich, aber macht nichts besser.
Ohne Russland ist tatsächliche Sicherheit in Europa im Wortsinn nicht herstellbar. Das nukleare Schild der USA ist eine Drohung, so wie die russische nukleare Positionierung auch eine ist.
Inakzeptables Konfliktniveau
Es sei denn, man liebäugelt damit, sich dieses Russlands ein für alle Mal zu entledigen. Das führt jedoch stracks, nach der russischen Militärdoktrin, in den Nuklearkrieg. Dass auf der einen Seite über die Zerschlagung Russlands geschrieben wird (USA) und auf der anderen Seite (Moskau) die Zerschlagung Russlands als Ziel angenommen wird, ist ein völlig inakzeptables Konfliktniveau.
Angesichts des aktuellen Vorfalls stellt sich überdies die konkrete Frage: Wohin wären wir gedriftet, wenn nicht sehr schnell Fotos aus Polen öffentlich geworden wären, die die Waffen zeigten, die dort einschlugen und töteten?
Bei der massiven Bereitschaft, es den Russen so richtig geben zu wollen, hat die schnelle Veröffentlichung der Tatortbilder verhindert, dass sich daraus eine neue Mär, wie etwa die von einer “irregeleiteten“ russischen Rakete entwickeln konnte. So hätte es durchaus propagandistisch laufen können. Die meisten wären diesem neuerlichen „Beweis“ russischer Unverantwortlichkeit gewiss auf den Leim gegangen. Ganz nach dem längst eingeübten Grundsatz: Die Russen lügen, wenn sie den Mund aufmachen und so weiter und so fort… Ein Pole hat das verhindert. Glücklicherweise.
Daher blieb nur, die „Letztverantwortung“ auf Russland zu schieben. So reicht die Story aus, um den US-Kongress zu ermutigen, zügig weitere 37,7 Mrd. Dollar für die Ukraine bedingungslos freizugeben, und der Grusel vor den Russen geht auch weiter.
Geheimdienstliche Einflüsterei
Denn geheimdienstliche Kreise flüstern nicht aus Mitteilungsbedürfnis in Presseohren, sondern mit Absicht(en). Nebenbei: AP, das erste Medium, das die Flüsterei von der „russischen“ Rakete berichtete, hat inzwischen zurückgezogen. Gut.
Noch vor dem Vorfall verbreitete Snowden ein Video (4 Minuten) aus dem Jahr 1983 und meinte, es sei das wichtigste Video dieses Jahres. Es ist eine Gesprächsaufzeichnung mit dem ehemaligen CIA-Agenten Snepp, der berichtete, dass es zu seinen Aufgaben gehörte, zu desinformieren, und wie er das anstellte.
Zuhören lohnt sich! Manche Methoden ändern sich offenbar nie.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus dem Blog der Autorin, mit ihrer freundlichen Genehmigung. Eine Zwischenüberschrift und einzelne Links (Nato-Vertrag, Snowden) wurden nachträglich eingefügt.
Ich glaube, dass die NATO dem offensichtlichen Versuch Selenskijs, sie immer wieder in den Ukraine-Krieg hineinzuziehen, klar widerspricht und widersteht. Niemand im Westen kann – nicht zuletzt nach diesem Ausgang der Wahlen zum US-Repräsentantenhaus ein Interesse an der Eskalation des Ukraine-Krieges haben. Die Frage ist nur, wie lange diese Doktrin Gültigkeit behält.