Die AfD-Fraktionsspitze hat gestern und heute in Berlin ein übles Schauspiel aufgeführt. Zum einen versuchten Weidel und Chrupalla, die Maßnahmen gegen die Reichsbürger als völlig überzogene Aktion zu kennzeichnen. Zum anderen unternehmen sie den untauglichen Versuch, die festgesetzte Truppe als “Rollator-Putschisten” zu verharmlosen. Wäre es nicht mit der vor unterdrückter Wut bebenden Stimme von Weidel und der scheinheilig-unlockeren Körpersprache Chrupallas vorgetragen worden, man/frau hätte vielleicht nicht sofort gesehen, dass sich hier Rechtsextremisten ertappt fühlen.
Ohne diese Pressekonferenz und die Auftritte im Bundestag, bei der die AfD-Neonazis wohl dachten, dass Angriff die beste Verteidigung sei, hätten möglicherweise naive Gemüter weiter geglaubt, dass AfD und Reichsbürger vielleicht ähnliche Thesen vertreten, aber nicht viel miteinander zu tun haben. Aber wer sich so heftig wie unglaubwürdig distanziert, kann nicht verleugnen, tief im Sumpf der rechtsextremistischen und verschwörungstheoretischen Ideologien verstrickt zu sein. Zu nahe liegen die Ereignisse am Rande der Corona-Demonstrationen in Berlin und dem “Stürmchen” auf den Reichstag, als die AfD den Schwurblern, Q-Anon Anhängern und Reichsbürgern den Zugang zum Bundestag verschafft hat. Es ist schon dreist, wie Weidel und Chrupalla darauf spekulieren, dieses Ereignis zu instrumentalisieren und umzuinterpretieren, um von ihrer Rolle als Zentrum und Motor des deutschen Rechtsextremismus abzulenken. Dabei haben noch in der aktuellen Haushaltsdebatte rechtsextremistische Redner der AfD das Märchen vom “großen Austausch” der weißen Rasse – wie aus rechten US-Mythen und Q-Anon-Sekten bekannt – im Plenum des Parlaments vorgetragen.
Bürgerwehren und Exekutionen
Viele Zuschauer:innen haben die Live-Bilder vom Sturm auf das Capitol in Washington am 6. Januar 2021 zunächst als unwirklich, skurril, irgendwo zwischen Apokalypse und Satire wahrgenommen. Was in den letzten Tagen aus den Ausschüssen des deutschen Bundestages an Informationen gedrungen ist, lässt mir entgegen meinen bisherigen Einschätzungen das Blut in den Adern gefrieren. Träfe es zu, dass die Absicht bestand, 280 bürgerwehrartige Gruppen aufzustellen, die Festnahmen und Exekutionen durchführen sollten, dann bekommen bisher als eher lächerlich eingestufte Pläne, die im Internet kursieren, plötzlich eine unerwartete Nähe und Realität. Denn nicht nur durch meine Tätigkeit in der Geheimdienstaufsicht weiss ich, dass es “Listen” der Reichsbürger gibt, die schon vor Jahren für “solche Fälle” aufgestellt wurden. 2020 hat mich das Polizeipräsidium Bonn informiert, dass auch ich auf einer solchen “Todesliste” der Reichsbürger stehe. Wegen meiner Rolle in der Bewegung zum Volkszählungsboykott 1987 und als Bürgerrechtler. Die Gefährdung, so die Polizei damals, sei lediglich abstrakt, aber man wolle mir dies zur Sicherheit mitteilen. Ich bin sehr dankbar dafür, zumal die aktuellen Festnahmen zeigen, dass sich diese Bedrohung in letzter Zeit massiv konkretisiert hat.
Dunkelfeld nicht bekannt
Verfassungsschutz und Innenministerium beziffern die “Reichsbürger und Selbstverwalter” und ihr Umfeld auf derzeit 23.000 Personen, Tendenz im letzten Jahr um 10% gestiegen. Kein Wunder, schließlich sind sich Reichsbürger, Q-Anon-Sektierer, Corona-Schwurbler in den letzten zwei Jahren auf Demonstrationen, asozialen Netzwerken und in Chatrooms durchaus näher gekommen. Hinzu kommt ein weitgehend nicht ausgeleuchtetes, aber waffenaffines und rechtsextremem Gedankengut durchaus zugängliches, scheinbar bürgerliches Umfeld. Das heisst nicht mehr und nicht weniger, als dass die nicht organisierten Sympathisanten und Brüder sowie Schwestern im Geiste überall sind, und wahrscheinlich zahlreicher, als Sicherheitsbehörden und Forschung bisher auf dem Schirm haben.
Der nette Nazi von nebenan
Sie sehen etwa so aus, wie der im nachbarlichen Umfeld meines Bruders, der in einer gutbürgerlichen Kleinstadt im Schwabenland – Einfamilienhäuser nicht unter 300 qm mit großem Grundstück – lebt. Einer der Nachbarn, selbständiger Unternehmer, Besitzer von zwei Harleys, verheiratet, “hat etwas gegen Schwarze”, fürchtet, dass ihm die Flüchtlinge sein Haus wegnehmen, nimmt an rechten Whatsapp-Gruppen teil, verschickt neonazistische und reichsbügernahe, teilweise auch nur geschmacklose Filmchen – auch an meinen Bruder. Persönlich sei er ein “netter Kerl” heißt es, nur über Politik dürfe man halt nicht mit ihm sprechen. Natürlich besitzt er Waffen, mehrere Gewehre und Munition, ganz legal, denn er ist Mitglied im Schützenverein, sogar im Vorstand. Alle politischen Diskussionen über Verschärfungen des Disziplinarrechts oder des Waffenrechts gehen am Gefahrenpotenzial dieses bürgerlichen Sympathisanten und potenziellen Gefährders vorbei.
Was wirksam tun?
Obwohl ein anderer Freund meines Bruders, pensionierter Kriminalbeamter, meine Einschätzung teilt, dass dieser Nachbar eigentlich die klassischen Kriterien erfüllt, nach denen solche Bürger entwaffnet werden müssten, wird solange nichts geschehen, solange er niemanden bedroht, und es keine Anzeigen aus der Zivilgesellschaft gibt und denen akribisch nachgegangen würde. Und selbst dann wäre es rechtsstaatlich nicht einfach, einen direkten Zusammenhang zwischen rechtsextremistischen Chats, Affinität zu Waffen und einer konkreten Gefahr für die Gesellschaft bzw. die Demokratie nachzuweisen. Das wissen auch die bewaffneten Rechtsextremisten. Gegen Strukturen, wie die von mir beschriebenen, würde nur helfen, alle Waffenbesitzer einer Sicherheitsüberprüfung zu unterziehen. Dagegen schreien aber mächtige Lobbys, wie die der Jäger, Förster und Schützenvereine Zeter und Mordio.
Private Waffenbesitzer überprüfen?
Warum eigentlich nicht? Wer einen Omnibus fahren will, muss über den LKW-Führerschein hinaus besondere Prüfungen als Führer eines Fahrzeugs zur Personenbeförderung absolvieren. Wer eine Waffe trägt oder über eine oder mehrere verfügt, die auch Menschen töten kann, hat eine besondere Verantwortung. Daraus erwächst eine Verpflichtung der Gesellschaft sicherzustellen, dass nur verantwortungsvolle, zuverlässige und keine extremistische Bürger:innen Waffen erwerben und nutzen können. Die Zahl der Inhaber von Waffenscheinen und besonders der “kleinen Waffenscheine” für Gaspistolen, Pfefferspray und Signalpistolen hat in den letzten Jahren explosionsartig zugenommen.
Möglichkeiten der Kontrolle nicht ausgeschöpft
Die Möglichkeiten der Kontrolle bestehen aber nur sehr eingeschränkt und in verschiedenen Bundesländern unterschiedlich ausgeprägt. In NRW zum Beispiel sind in den Städten die Polizeipräsidien zuständig. Als meine Mutter starb, erbten ihre Nachkommen fünf Jagdgewehre – wir alle sind keine Jäger. Bei mir meldete sich bereits eine Woche nach Todesbeurkundung durch das Standesamt das Polizeipräsidium Bonn, was denn mit den Gewehren sei, ob ich den vorgeschriebenen Waffenschrank besäße, und ob ich die nicht zur Vernichtung abgeben wolle, was ich mit meinen beiden Flinten auch tat. Bei meinen Miterben in Baden-Württemberg meldete sich die zuständige Kreisverwaltung – Ordnungsbehörde – erst ein Jahr später und fragte nach, was aus den restlichen drei Büchsen geworden sei. Weil er sie aus Nostalgie behalten wollte, trat dieser dann in einen Schützenverein ein, und ist jetzt ohne weitere Nachfragen legaler Besitzer von drei Langwaffen, für die sich niemand mehr interessiert. Es ist zu leicht, an Waffen zu kommen und noch viel leichter, sie zu behalten. Es ist dringend geboten, das zu ändern, denn nicht nur die Reichsbürger, sondern auch ihr Umfeld sind ernst zu nehmen.
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