“Überraschung!”: die Lehren der politischen Qatar-WM sind hochpolitisch
Der Klimaforscher Zeke Hausfather hat es am Wochenende im taz-Interview schlüssig begründet: die Welt wird nicht untergehen. Schade eigentlich. Denn damit fällt eine Begründung, schnell noch allem möglichen Unsinn zu machen, in sich zusammen. Stattdessen die lästige Pflicht zu einer Kombination von Radikalität, Vernunft und strategischem Weitblick. Henning Venske hat soeben dargelegt, wie gross in Deutschland der Talentemangel ist. Und bei der Qatar-WM wurde es grausam demonstriert – so, dass es niemand ignorieren kann.
Aufeinander zufahrende Züge
Überall fahren jetzt Züge aufeinander zu. In der Klimapolitik. In der Konfrontation der Grossmächte, in der Kriege als Mittel der Politik wieder akzeptabel sind. Und im Fussball auch – verkörpert durch Fifa und Uefa, von der Fifa stilisiert als Arm gegen Reich. In Wahrheit ist es Steinreich gegen Noch-Reicher. Das Illusionstheater ähnelt insofern dem der Grossmächte vom “Gut gegen Böse”. Darum ist es lehrreich für das Weiterleben der menschlichen Welt, den heraufziehenden Fussball-Weltkrieg näher zu analysieren. Er verrät alles über die Mechanismen des gegenwärtigen real existierenden Kapitalismus. Und den deutschen Fussball-Fans ist hoch anzurechnen, dass sie das schon früh gespürt haben.
Für die Fifa und die Al-Thani-Feudalclique Qatars ist die WM optimal verlaufen, traumhaft sicher inszeniert. Die Umsatzerwartungen für die Zukunft, die WM in den USA, Kanada und Mexiko entsprechen dem. Die Fifa kann sich in ihrer konfrontativen Strategie auf die Dummheit der europäischen Uefa, dem fussballerischen EU-Äquivalent, verlassen. Qatar übrigens sitzt wie immer auf beiden Seiten, hier bei der Uefa. Die Fifa verteilt ihre Traum-Umsätze in bescheidenem aber ausreichendem Mass auf nationale Fussball-Mafiosi in nichteuropäischen Ländern – und sichert so jederzeit eine antieuropäische Mehrheit. Die Uefa (inkl. der Deutschen) sorgt erst für die innere Stabilität dieser Fifa.
Uefa wie EU: saturiert, vor Geld kaum Laufen können – und noch weniger Denken
Die Uefa war bisher der Fifa an Kapitalumsätzen überlegen. Das liegt an ihrem Medienprodukt Champions League, das durch die grössten, mächtigsten und reaktionärsten Medienoligarchen seit jetzt drei Jahrzehnten genährt wurde – als Lokomotive für die Durchsetzung von Pay-TV in allen europäischen Ländern. Die Medienoligarchen zahlten nicht nur – sie profitierten also auch, nicht zuletzt mit einem Zuwachs an politischer Macht. An der Spitze Rupert Murdoch, der die britischen Premierminister persönlich auswählt, und diese Absicht auch bei den US-Präsidenten hatte. Das hat ihm der doofe Donald Trump vermasselt, worüber Murdoch bis zu seinem nahen Tod verärgert und verbittert bleiben wird. Aber ich schweife ab.
Die Fifa hat die Absicht, die Uefa als Konkurrentin zu töten. Ihre Erfolgsaussichten haben sich durch die WM stark verbessert. Sie wird nicht nur die WM aufblähen: mehr Teilnehmer, mehr Spiele, mehr Mediengeld. Sondern auch der Champions-League mit einer auf 32 Teilnehmer aufgeblasenen “Club-WM” Konkurrenz machen. So eine Club-WM liesse sich perspektivisch dann zu der viel gefürchteten “Super-League” aufblasen. Die lauert als potenzielle Konkurrenz weiterhin; die Uefa-Vereine haben voreilig über ein Gutachten des Europäischen Gerichtshofes gejubelt. Es besagte lediglich, dass die Uefa teilnehmende Klubs ausschliessen darf. Wer in der Super-League drin wäre, wäre sogar froh über diese Entlastung. Spieler dagegen dürfen zwischen konkurrierenden Wettbewerbssystemen wechseln.
Voraussetzung für Weltpolitik: sich für die Welt interessieren
Die Uefa hätte gegen diese Gefahr nur eine Chance, wenn sie interkontinentale Bündnisse schliessen würde, um überhaupt ein Minimum an Gegenmacht gegen den Fifa-Mafioso Infantino auf die Beine zu stellen. Doch schauen Sie sich nur das jämmerliche politische Gegenstück EU an. Öffnet die sich gegenüber anderen Kontinenten? Im Gegenteil: sie mauert sich ein. Sie kauft sich Grenzbewacher in Despotien. Sie will unter sich sein und bleiben – Fremdes geh weg! Sie flüchtet vor der bösen Welt unter den Rock von Uncle Sam, der wie ein schlechter Vater unter den Kindern eine Sortierung von Lieblingskindern und Schwererziehbaren vornimmt. Imgrunde macht Infantino das, was die Biden-USA machen (können).
Der Fehler von allen Beteiligten ist folgender. Sie ignorieren die Klimakrise. Sie ignorieren die regelmässigen Überproduktionskrisen des Kapitalismus. Sie überdehnen die Wachstums-Feder, deren Spannung das alles am Laufen hält. Sie ignorieren die wachsende Anzahl, eine Mehrheit, von Menschen, die das ankotzt, und die sehen, was für eine Scheisse die produzieren. Für die Welt und für den Fussball, unser liebstes Kind.
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