Wundersame Bahn CXXXV – der perfekteste Reisetag des Jahres
Wenn Sie frei wählen können, reisen Sie Heilichahmt. Irgendwas muss passiert sein bei der Deutschen Bahn. Es war das meistdiskutierte Thema an der Familien-Festtafel: wie kann es sein, dass plötzlich alles funktioniert? Während ich von meiner Reise berichtete, erzählten andere, dass sie in der Glotze erstaunte Reporter an Hauptbahnhöfen gesehen hatten, die Ähnliches berichteten. Sie wollten “Chaos” präsentieren und bekamen keins. Nichts brach zusammen. Keine Warteschlangen, Verspätungen, überfüllte Bahnsteige, empörte Fahrgäste. Im Gegenteil.
Ich hatte zur Feier der Feiertage einen teuren ICE gewählt: ab Siegburg nach Essen. Anreise nach Siegburg mit der 66. Im Siegburger Bahnhof entspannte Atmosphäre. Im Zeitungsladen erwarb ich zwei überregionale Tageszeitungen zum stolzen Preis von knapp 10 €. Die eine (SZ) hatte ich auf dem Bahnsteig schon durch. Das einzige Highlight: im Sportteil ein Wortprotokoll der DFB-Expertengruppe Nr. 1, das ist die mit den alten weissen Männern. Sehr amüsant, um nicht zu sagen: lächerlich. Vorhersehbar. Die SZ-Sportredaktion benötigte nicht viel Fantasie, um das zusammenzureimen (nicht online). Die nicht minder teure FAZ genauso arm. Einzig ein Text von Mark Siemons zu Menschenrechten, Universalismus und Kulturalismus war lesens- und bedenkenswert. Plus ein Vorabloblied auf Anke Engelke und Matthias Brandt. Alle FAZ-Texte ebenfalls bisher nicht online. Wie arm ist das? Das wars dann für 10 € – aber da kann die Bahn nichts für.
Ich konzentrierte mich in Siegburg auf den Speisewagen (“Bordrestaurant”). Er war geöffnet! Nach Studium der Speisekarte fragte ich: “Ist denn noch alles da?” Der Zug sollte in Dortmund enden. War er deswegen so aufgelockert besetzt? “Kommt drauf an, was Sie möchten” war die Antwort. Gemüsecurry war vorrätig. Und Bit vom Fass ebenfalls. Das Gemüsecurry war sogar schmackhaft, fast so gut wie im Beueler Bistro Odeon.
Entspannte freundliche Stimmung unter allen Gästen und dem gesamten Servicepersonal. Ich hörte aus der Küche eine Mitarbeiterin eine Rezension aus einem asozialen Netzwerk vorlesen. Die kommentierte sie am 24.12.: “Das erste positive Feedback in diesem Jahr!” bitte schön, hier also das Zweite.
Die Zugbegleiterin ähnlich entspannt wie das Speisewagenpersonal. Sehr individuell und gutgelaunt ihre Lautsprecherdurchsagen. Nur die knarzende Sendung einiger Takte von “Jingle Bells” wäre wirklich nicht nötig gewesen. Ich vermute: alle feierten, dass sie in Dortmund Feierabend hatten.
PS: schrieb ich schon, schaut nach Britannien? Ja, hier. Alle waren gewarnt.
Abfahrt in Siegburg und Ankunft in Essen geradezu schweizerisch pünktlich. In Essen dann war die Rolltreppe in die tief vergrabene U-Bahn kaputt. Mann bewegt sich ja sonst nicht. Anschluss nach 2 Minuten Wartezeit.
Rückweg am Kölner Ring
Nach Bonn fuhren mich Schwester und Vater mit dem PKW heim. Dauerregen auf der Autobahn sorgte für Tempolimit für alle. Auf der Gegenfahrbahn Stau, bei uns hingegen fliessender Verkehr bei schlechter Sicht. Aber zu gucken gibt es auf der Strecke sowieso nichts. Ankunft im Oliveto. Und ein erstklassiges Menü (Rochenflügel, Hirschragout, Wildschweinpasta) von merkwürdig gutgelauntem jugendlichem Servicepersonal serviert. Waren sie glücklich, dass sie wg. der Arbeit nicht mit der Familie Rituale begehen mussten? Sie wechseln im Althoff-Gastrokonzern die Stationen und erhoffen sich beruflichen Aufstieg. Ihre Ausbildung ist gewiss hart – ihre Leistungen sind Spitzenklasse. Die Spitzenrestaurants sind mutmasslich nur durch die Querfinanzierung über den Hotelbetrieb betriebswirtschaftlich führbar.
Alle Tische waren besetzt. Die Bonner*innen wissen, wo es schmeckt. Und wie schön, dass geöffnet war. Danke.
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