Kriege, die noch weniger interessieren, als die Aufstände im Iran

Führende Medien dieser Republik erregen sich seit über einer Woche schlagzeilenbegeistert über ausrastende junge Männer am Silvestertag. Sie jubeln regelrecht über “Moskaus Feuerpause gescheitert”. Und sie steigern den Spannungsbogen für die erhoffte “Schlacht um Lützerath”. Aber es gibt auch Ereignisse, von denen sie lieber nicht wissen, von denen sie kaum Texte, und auf gar keinen Fall Bilder liefern. Wie seltsam ist das? Antwort: mann nennt es Politik.

Michael Maier/Berliner Zeitung wundert sich auch: Bundesregierung weiß nicht, wie sie Erdogans Kriege einordnen soll – Die Bundesregierung will keine Einordnung des türkischen Einmarsches in Syrien geben – obwohl die eigenen Experten einen Verstoß gegen das Völkerrecht sehen.” Widersprüchlich: seine Zeitung kriegt sich über “Silvesterkrawalle” selbst kaum ein – sie leidet unter der “nachrichtenarmen Zeit” und muss vollgemacht werden. In diesem Fall hat Maier einen Fall gefunden, in dem auch ich mit der Abgeordneten Dagdelen, für die ich ansonsten wenig Sympathie hege, vollständig übereinstimme. Mehr Hintergründe zu diesem skandalösen Versagen von Nato und Bundesregierung (oder wollen die das absichtlich so?) finden Sie hier bei Anita Starosta/Blätter: “Erdoğans Krieg: Das Ende von Rojava?”

Es gibt einen noch mörderischeren Krieg, der noch weniger interessiert. Gross war die Aufregung um die Qatar-WM. Gross ist sie über das Aufkaufen alternder Fussballprofis mit öbszönen Summen durch den Feudal-Clan der Sauds in ihr Arabien. Aber die bringen auch massenhaft Menschen um, um “unsere” fortschrittliche Waffentechnik auszuprobieren. Die letzte Meldung eines deutschen Mediums dazu ist einen Monat alt. Hatten Sie sie bemerkt? Den Krieg führen die Sauds gegen das iranische Mullahregime – stellvertretend im Jemen. Die Tagesschau nennt das lieber “Bürgerkrieg”. Wäre egal – wenn es nur beendet würde. Mann nennt es Politik.

Mehr zum Hintergrund des Jemen-Krieges bei Anne-Linda Amira Augustin/Rosa-Luxemburg-Stiftung: Der Krieg im Jemen und seine Akteure – Die Hintergründe des Jemen-Krieges und die fortschreitende Fragmentierung des Landes seit 2015″

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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