Beueler-Extradienst

Meldungen und Meinungen aus Beuel und der Welt

Panzerkreuzer-Stimmung?

Wer derzeit landauf landab die Presse wahrnimmt – ich meine die öffentlich-rechtlichen Medien ebenso wie die Printmedien, also die sogenannte “vierte Gewalt”, dann sind diese voll von Meldungen über den Rücktritt der Verteidigungsministerin – übrigens ohne jede Reflexion der offensichtlich stattgefundenen frauenfeindlichen Komponenten  – im Hinblick auf den “Ramstein-Gipfel” der westlichen Politik  Ende der Woche. Nun ist der Nachfolger bekannt und Fragen nach Strategie, Frieden, Verhandlungen, Interessen kommen gar nicht vor, es wird ausschließlich gemutmaßt, ob mit Pistorius’ Amtsantritt nun Leoparden in die Ukraine geliefert werden.

Wo werden eigentlich noch Überlegungen angestellt, wie sie der ehemalige Berater der Bundeskanzlerin, General a.D. Erich Vad für selbstverständlich hält und die im übrigen auch vom US-Generalstabschef General Milley ausgesprochen wurden? Milley spricht von einer militärisch-operativen Pattsituation, die militärisch nicht zu lösen ist. Er sagt, dass ein militärischer Sieg der Ukraine nicht zu erwarten sei und Verhandlungen der einzig mögliche Weg seien. Alles andere bedeute den sinnlosen Verschleiß von Menschenleben. Eine unbequeme Wahrheit. Milley ist der Generalstabschef unserer westlichen Führungsmacht. Was in der Ukraine betrieben wird, ist ein Abnutzungskrieg. Und zwar einer mit mittlerweile annähernd 200.000 gefallenen und verwundeten Soldaten auf beiden Seiten, mit 50.000 zivilen Toten, sowie Millionen von Flüchtlingen, so Vad. Er sieht keine militärische Strategie, nicht einmal ein  einheitliches Ziel: geht es um die Rückeroberung von  Donbasz und Krim, um die Herstellung von Verhandlungsbereitschaft Putins, geht es um einen militärischen Sieg über Russland? Und wie wird der definiert? Ohne Strategie, so Vad, ist die Lieferung von Panzern “purer Militarismus”. Strategieentwicklung bedeutet auch,  zu versuchen, zu einer selbstkritischen Analyse der eurozentrischen Sicht des Ukrainekrieges zu kommen. Hierzu Prof. Wolfram Wette bereits 4 Monate nach Kriegsbeginn:

Der russische Angriffskrieg in globaler Perspektive

Unsere Medien berichteten über eine Dringlichkeitssitzung der UNO-Vollversammlung am 1. März 2022, die sich mit der russischen Aggression befasste. Wir nahmen wahr: Die große Mehrheit von 141 Ländern (von insgesamt 193 Mitgliedsstaaten) stimmte für eine Verurteilung der völkerrechtswidrigen Aggression Russlands. Lediglich 35 enthielten sich und 5 stimmten dagegen. Dieses Votum, so wurde geschlussfolgert, habe die internationale Isolation Russlands sichtbar gemacht. Die Wochenzeitung DIE ZEIT analysierte den Vorgang genauer: „Der Westen möchte Russland wegen des Ukraine-Krieges diplomatisch isolieren. Doch viele Länder denken überhaupt nicht daran, dabei mitzumachen.“ Die ablehnenden oder nicht zustimmenden Regierungen – unter ihnen China, Indien und Indonesien – repräsentieren nämlich mehr als zwei Drittel der Weltbevölkerung. Ihre Regierungen „geben sich neutral oder zeigen Verständnis für die russische Aggression“.[…] Das hat sich auch nach dem G7-Gipfel nicht geändert. Das wird jedoch nicht zur Kenntnis genommen und führt zu einer fehlerhaften globalen Selbsteinschätzung des Westens: […] Die Repräsentanten der großen Mehrheit der Weltbevölkerung lehnen es ab, der Kriegslogik der Nato zu folgen, und dies trotz des allgemeinen Gewaltverbots in der UNO-Satzung. Es besteht also eine riesige Diskrepanz zwischen der zentralen Norm der Vereinten Nationen und dem konkreten Abstimmungsverhalten über die russische Aggression vom 24. Februar 2022. Wie ist das zu erklären?

Diskrepanz zwischen kolonialer und nichtkolonialer Geschichte

Die Autoren der ZEIT versuchen es folgendermaßen: In den Diskussionen im globalen Südens, schreiben sie, schwinge mitunter „auch Genugtuung mit über den Krieg in Europa: Jahrzehntelang habe der Westen Stellvertreterkonflikte im Rest der Welt geführt, ohne die Kosten tragen zu müssen […]. Nun sei die Gewalt wie ein Bumerang zurückgekehrt.“ In den ehemaligen Kolonien der europäischen Mächte habe man den Verdacht, „dass der Westen in der Ukraine nicht in erster Linie die Freiheit eines souveränen Staates bedroht sieht, sondern seine eigene Vormachtstellung“. Im globalen Süden geht es auch um eine Rebellion gegen Doppelstandards und Doppelmoral in der Politik des Westens. Hier fragt man: „Wer brach das Völkerrecht 2003 mit dem Einmarsch in den Irak? Wenn die Ukrainer ihr Land nicht aufgeben — warum sollten die Palästinenser es tun?“ Der Vorwurf lautet, der Westen würde unterschiedliche Maßstäbe anlegen.

Realismus angebracht – aber global Mächtige sind weit weg davon

Fazit: Von einer globalen Verurteilung der russischen Aggression kann bis heute keine Rede sein. Russland ist weit weniger isoliert, als man uns hierzulande glauben machen will. In vielen Ländern gibt es eine Opposition gegen die Dominanz der reichen westlichen Industrienationen, die mit den wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Krieges – den Sanktionen und Embargos – leichter fertig werden als die armen Länder. Insofern sind Reisen und Initiativen, wie sie die deutsche Aussenministerin derzeit unternimmt, um eine Rechtsgrundlage für Verurteilungen russischer Kriegsverbrechen zu schaffen, nichts als hilflose, ideologische Ersatzhandlungen statt konkreter Diplomatie. Sie sind friedenspolitisch wertlose Propaganda, um EU-binnenpolitisch den Eindruck zu erwecken,  die Bundesrepublik ergreife irgendwelche außenpolitische Initiativen, während sie außer Waffenlieferungen nichts betreibt. Hinzu kommt das jährliche CO2- Amageddon mit Privatjets der kapitalistischen Welt in Davos, wo Staaten- und Wirtschaftslenker sich die Klinke in die Hand geben, um nichts zu ändern, sondern gemeinsam im Walde zu pfeifen und mit ebenso unbeirrtem “weiter so” abzureisen, wie sie gekommen sind.

Selbst die geringsten Initiativen sind ihnen zuviel

Wenn Wirtschaftslenker des Kapitalismus und eine erkleckliche Anzahl von Regierungschefs schon jährlich die Alpenökologie schädigen, könnten sie ja auch etwas sinnvolles tun. Indem sie sich beispielsweise verabredeten, Demokratiefeinde wie Donald Trump, Erdogan, Orban, Melloni oder LePen oder andere Möchtegern-Despoten nicht (mehr) ökonomisch zu unterstützen.  Freiwillig auf die Nutzung von Steueroasen wie der Isle of Man, den Niederlanden, Luxemburg, Panama, Cayman Islands und wie sie alle heissen, zu verzichten. Das findet aber nicht statt, sodass damit zu rechnen ist, dass Erdogan wieder einen Wahlsieg einfahren wird und Trump weiter von Oligarchen und Konzernen unterstützt werden wird. Es wird spannend sein, zu sehen, ob sich der demokratisch gewählte Präsident Lula  da Silva in Brasilien gegen die rechten Mehrheiten im Parlament durchsetzen kann, oder ob der Raubbau des Regenwaldes, den sein Vorgänger Bolsonaro freigegeben hat, einfach weitergeht.  Da ist es kein Wunder, dass Olaf Scholz mit seinem Auftritt zum Thema Klimaschutz zwar richtig lag, sich aber keine Freunde in der ultrareichen “Weiter so-Combo”  gemacht hat und noch enttäuschte Kommentare der “Leitmedien” zu Hause erntete. Bei denen scheint außer Leopard-Panzern derzeit fast nichts mehr zu  gehen. Außer, sie regen sich über unseren verzweifelten Nachwuchs auf, von denen einige so dreist sind, sich für die revolutionären Forderungen von 100 km/h auf Autobahnen und einem 9-Euro-Ticket auf die Straße zu kleben.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

2 Kommentare

  1. Martin Böttger

    Wer solche Verkehrsmittel, wie hier in der “Hauptstadt” benutzen muss
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/berliner-bahnstrecken-liegen-still-warum-jetzt-auch-noch-die-u6-ausgefallen-ist-li.308207
    oder zur Zeit zwischen Bonn und Köln pendelt, müsste noch Geld dazubekommen. Benkos Signa bekommt dagegen noch dreistellige Millionen-Subventionen hinten reingepustet.

  2. w. nissing

    Lieber Roland, ich stimme dir in vielem zu, aber…… “Demokratiefeinde wie Donald” da ist die Aufzählung etwas rudimentär (vorsichtig formuliert). Ich wusste jedenfalls bisher nicht, das die USA von einer Grasswurzelregierung geführt wird oder blendest du auch das Rüsseltier aus deinem Blickfeld……
    hier auch noch einen Link auf den von mir sehr geschätzten E. Todd. Das Video hat mir den gesterigen Abend “versüsst”. Ich mag diesen Blick von oben auf diesen erbärmlichen Ameisenhaufen Europa.
    https://www.youtube.com/watch?v=mCVsoYjihdE

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