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Der Kampf der drei Ukraine-Strategien

Wer länger drüber nachdenkt, kommt zu dem Schluss, dass in der westlichen Welt gegenwärtig drei Ukraine-Strategien miteinander konkurrieren:

1) Die Ukraine soll kapitulieren. Denn was ihr dann noch von den Russen zugestanden würde, sei mehr, als sie sich sonst erhoffen könnte.

Das war die Strategie, die in Deutschland von einigen Fernseh- und Medienintellektuellen und Offene-Brief-Schreibern kurz nach dem 24. Februar 2022 (L)lanziert … wurde. Die Position ist durch den entschiedenen Widerstand der Ukraine längst obsolet. Einige vertreten die Position dennoch weiter (AfD, Wagenknecht).

2) Die Mainstream-Auffassung, der Ukraine soviel Material zu liefern, dass sie gerade eben nicht untergeht, Putin aber auch nicht gesichtsschädigend verliert (Scholz und andere). Diese Strategie soll angeblich die “sichere Strategie“ sein – d.h. den Autokraten in Moskau nicht zu sehr reizen.

Aus meiner Sicht bestätigt diese Strategie jedoch Putin jeden Tag aufs Neue, dass er noch „im Spiel“ ist und einfach nur weitermachen muss, bis er den Westen weichgekocht hat. Das könnte sich nicht als „sichere“, sondern als Kriegsverlängerungsstrategie erweisen. Auch ganz unabhängig von der Idee, Russland in der Ukraine „abzukochen“ und ihm ein „neues Afghanistan“ zu bereiten.

3) Die Ukraine so auszustatten, dass sie die russische Aggression signifikant zurückwerfen kann

Ich selbst bin ein (vorsichtiger) Anhänger dieser dritten Strategie. Ich glaube nicht, dass eine „Zum-Leben-zu-wenig-Zum-Sterben-zu-viel“-Ukraine-Hilfe das Richtige ist.

Putin hatte lange genug Zeit sich zu überlegen, ob er es wirklich mit einer 20-fachen (!) ökonomischen Überlegenheit des Westens aufnehmen will.

Der humanste Weg aus der gegenwärtigen Lage ist m.E. nicht das Zögern und Zaudern, sondern das Signal an Moskau, dass es eng wird. Bis jetzt senden wir hauptsächlich Signale, dass Putin sich noch irgendwie erfolgversprechend durchschlängeln kann. Das ist ein Teil des Problems. Und es kostet viele, hauptsächlich russische Menschenleben – etwas, das in der Perspektive der dortigen Herrschaftselite aber offensichtlich nur als „Plankton“ ins Kalkül gezogen wird.

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Über Reinhard Olschanski / Gastautor:

Geboren 1960, Studium der Philosophie, Musik, Politik und Germanistik in Berlin, Frankfurt und Urbino (Italien). Promotion zum Dr. phil. bei Axel Honneth. Diverse Lehrtätigkeiten. Langjährige Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Referent im Bundestag, im Landtag NRW und im Staatsministerium Baden-Württemberg. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Politik, Philosophie, Musik und Kultur. Mehr über und von Reinhard Olschanski finden sie auf seiner Homepage.

2 Kommentare

  1. Heiner Jüttner

    Es fehlt Punkt 4. Was passiert, wenn Punkt 3 realiisert wird. Zunächst ein Waffenstillstand, dann Friedesnverhandlungen. Bei wem bleibt die Krim (kein ukrainisches Stammland), Autonomie für den Donbass, Sicherheitshgarantien für beide Seiten …

  2. Reinhard Olschanski

    Danke für den Hinweis, er ist richtig. Ich wäre allerdings froh, wenn wir schon bei dem Punkt wären, an dem Verhandlungen, die den Frieden und die Integrität der Ukraine wiederherstellen, beginnen könnten. Russland verhindert das mit dem Annexionskurs, den es immer noch nicht aufgegeben hat.

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