Erinnert sei an die SPD-Mitgliederbefragung Ende 2019. Sechs Frauen und sechs Männer traten an, jeweils paarweise, weil eine Doppelspitze der Partei vorstehen solle. Zwei setzten sich durch: Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, die als Leute des linken Flügels galten. Zehn haben verloren. Vier von ihnen stiegen auf – bis ins Bundeskabinett: Olaf Scholz als Kanzler, seine Teamgefährtin Klara Geywitz als Bauministerin; Karl Lauterbach wurde Gesundheitsminister und Boris Pistorius jüngst Bundesminister der Verteidigung. Eine Wiederholung? Schon einmal gewann der Verlierer einer Urwahl am Ende doch. 1993, nachdem Björn Engholm vom SPD-Vorsitz zurückgetreten war, bewarben sich Rudolf Scharping, Heidemarie Wieczorek-Zeul und Gerhard Schröder um die Nachfolge. Scharping siegte. Sein Ziel aber, Kanzler zu werden, erreichte er nicht. Schröder wurde es.
Muss ein Bundeskanzler auch Parteichef sein? Ja – ist die herrschende Lehre der CDU. Alle ihre fünf Kanzler beanspruchten das Führungsamt der Partei. Vor allem Konrad Adenauer, Helmut Kohl und Angela Merkel führten die CDU vom Bundeskanzleramt aus. Vorteil: Wer die Parteispitze kritisierte, legte sich zugleich mit dem Kanzler an, der sich auf das Mandat des Volkes, auf die Mehrheit des Bundestages und den Koalitionspartner berufen konnte. Ein Kanzler ohne Parteiamt könne nur ein schwacher Kanzler sein – so die Erfahrung der CDU. Merkels nicht ganz freiwilliger Verzicht auf ihr Parteiamt bestätigte das nach 2018: Unruhe in der CDU und dann die Niederlage 2021 waren die Folge.
Anders die SPD. Helmut Schmidt als Bundeskanzler und Willy Brandt als Parteivorsitzender setzten unterschiedliche Akzente. Spannungs- und doch erfolgreich hielten sie – zusammen mit dem Fraktionschef Herbert Wehner – acht Jahre lang die SPD an der Macht. „Troika“ hieß das, und wenig spricht dafür, die Geschichte der SPD wäre anders verlaufen, wäre Schmidt auch Parteichef gewesen. Als Schröder Kanzler geworden war, war Oskar Lafontaine noch SPD-Vorsitzender. Nur ein halbes Jahr hielt das Bündnis der beiden Egomanen. Dann übernahm Schröder auch das SPD-Amt. Doch fiel es ihm zunehmend schwer, gleichzeitig die Regierung zu führen und die Partei zu integrieren. 2004 gab er den Vorsitz an Franz Müntefering weiter. Der blieb ihm ein treuer Helfer. An der Aufteilung der beiden Spitzenämter lag es jedenfalls nicht, dass Schröders Kanzlerzeit 2005 endete.
Und heute? Von den beiden Gewinnern der Urwahl 2019 ist nicht viel geblieben. Walter-Borjans hat der Politik Adieu gesagt. Esken hat sich eingereiht. Führung durch Unterordnung? Kevin Kühnert, der als Juso-Vorsitzender den Erfolg von Esken/Walter-Borjans organisiert hatte, ist nun SPD-Generalsekretär und tritt – karrierebewusst – als Olaf-Scholz-Helfer in Erscheinung. Der linke Flügel der SPD ist kaum mehr existent – nicht in der Bundestagsfraktion, nicht unter den SPD-Ministerpräsidenten. Scholz ist ohne Gegenpol. Wie lange die SPD als Programm- und Volkspartei das aushält, steht auf einem anderen Blatt.
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