Via „default“ direkt in die Hölle, Mist!

Bei allem, was Spaß macht, das muss nicht sein. Neue Versionen von Windows bringen jedesmal brandaktuelle Features auf den Bildschirm und verunstalten default-mäßig jeden geübten Workflow. Mal weniger störend, vielleicht auch mal nervend und im besten Fall überflüssig. Ärgerlich wenn Microsoft seine Dienste unauffällig, aber mit kontinuierlicher Penetranz seine später kostenpflichtigen Dienste nebenbei mitaktiviert. Und weil die eingebaute Festplatte zu klein und die kostenfreie Cloud bald ebenfalls, muss für einen kleinen Obolus dazu gekauft werden. Hier und da und immer wieder.

Früher musste Microsoft noch mühselig das Windows einzeln vertreiben, um an Geld zu kommen. Jetzt wird es auf direktem Weg abgepumpt – aber muss dabei gleich von Erpressung gesprochen werden?

Private Kunden zahlen nur etwa 11 Prozent drauf, bei Firmenkunden – der Pott ist größer – sind wohl bis zu 40 Prozent fällig. Begründet wird dies mit Wechselkursschwankungen – das dürfte eine nach oben offene Richterskala sein, so ein Wechselkurs geht niemals nach unten. Damit es nicht so auffällt hat Microsoft das zusätzliche Inkasso am 1. April versteckt – war aber kein Aprilscherz.

Microsoft nutzt dabei seine Monopolstellung nicht ganz aus, gerade so viel, dass die Kundinnen und Kunden zähneknirschend das auch noch zahlen. Und für Behörden spielen diese Preissteigerungen keine Rolle – die Zeche bezahlen am Ende sowieso wir.

Daraus Microsoft einen Vorwurf zu machen, ist falsch! Die nehmen sich doch nur, was ihnen durch unserer Bequemlichkeit und Dummheit zusteht.

Besonders elegant lässt es sich in den „Default“-Einstellungen verstecken. Und weil das alles im Betriebssystem tief verankert ist und die Nutzer alles so benutzen, wie es aus dem Rechner fällt, bleibt es bei dem, wie es sich die Marketing-Strategen ausgedacht haben.

Zugegeben, zur digitalen Souveränität würde es gehören, wenn die Opfer vor dem Bildschirm ein ganz klein wenig mehr darüber wissen würden, was hinter den hübschen bunten Kacheln in Wirklichkeit die Seele in Redmond zum tanzen bringt, das viel beschworene Nutzererlebnis ist das nicht.

Die nächste Version hat in der Taskleiste ein neues Icon, da poppt deren chatBot auf. Endlich mal ein Feature, das uns nicht durch die Hintertür verkauft wird, im Gegenteil, danach wird gesucht und nur in Windows ist diese bahnbrechende Neuerung mit einem Klick startfähig. Und was geschieht? Na klar, benutzen wir das – es ist da, es ist praktisch, kostet nicht extra. Damit nicht genug: die darbende Bing-Suchmaschine wird ebenfalls mit der KI von chatGPT aufgepeppt – damit werden alle Ergebnisse dem Diktat einer anderen Führung unterworfen.

Wie intelligent diese neue Führung zuwerke geht, das entscheidet nicht der Inhalt, sondern die Trainingsdaten, die zur Verfügung standen oder stehen. Und wo der Inhalt fehlt, da halluziniert diese Führung schöne Sätze, auch wenn es Stuss ist. Das Ergebnis liest sich meist dennoch plausibel genug, dass nicht nur schlichte Geister den Inhalt blind übernehmen.

Die gröbsten Patzer werden auf verschiedenen Wegen ausgebügelt. Aber weil kaum vorher abzusehen ist, was aus den Untiefen des Internets gefischt wird und in welchem Zusammenhang diese Erkenntnisse eine neue Zusammenstellung finden, müssen wir uns auf ein neues Bildungsniveau einstellen, denn fehlerfrei sind weder wir noch die Maschine.

Bleibt eine Art Zensur, die mit bestimmten Filtern arbeitet – nur wie? Eine Armada von Zensoren aus Fleisch und Blut wird bei der Masse von Anfragen und Einsatzmöglichkeiten dem Problem kaum Herr werden. Wenn wir der KI unterstellen intelligent zu sein, dann könnten wir noch auf die Idee verfallen, KI einzusetzen, um die KI zu zensieren. Äh, ja, wer das für einen bahnbrechenden Einfall hält, der glaubt sowieso alles, was die Maschine sagt und auch an die Unfehlbarkeit des Papstes.

Damit ist das Glück noch nicht vollendet, Microsoft führt zusätzlich den „Copiloten“ ein, der mittels GPT4.0 gleich hilft Powerpoint-Präsentationen, Texte und Tabellen KI-gestützt zu befüllen – das spart viel vom eigenen Grips und geht recht elegant zu Werke. Vor allem, und das ist das schlagende Argument: es ist genial einfach und geht schnell.

Microsoft war niemals sehr zimperlich die Nutzer mit Beta-Versionen zu überraschen, diesmal sogar mit einem sehr teurem Spielzeug – so uneigennützig und dem Gemeinwohl verpflichtet kennen die Aktionäre von Microsoft ihren Konzern bislang nicht. Keine Angst, Investoren müssen nicht um ihre Dividenden bangen.

Im ersten Schritt haben sie das Ethik-Team aufgelöst, das behindert und kostet Geld. Das freut zwar die Aktionäre, aber – sonst wäre es nicht Microsoft – sie haben bemerkt, dass diese Entscheidung einen eher faden Beigeschmack hinterlässt. Sie rudern dennoch nicht zurück, sondern erklären, dass die Ethik-Fraktion mit ihren Bedenken verteilt im Unternehmen weiter arbeitet – aber keinen Schaden mehr anrichtet.

Und was machen wir daraus, wir schicken einen neuen Cyberclown ins Rennen, Konstantin von Notz, der phantasiert (im Spiegel hinter einer Paywall, deshalb von Golem): „Bei KI-Anbietern muss die Geheimformel geprüft werden können, um sicherzustellen, dass ein rechtlich und ethisch vertretbares Produkt angeboten wird.“ Bei KI gibt es nur die Trainingsdaten, die verwurstet und gewichtet werden, keine geheime Formel. Und weil diese wunderbare KI aus sich selbst heraus agiert, ist alles was gemacht werden kann eher Schadensbegrenzung zu nennen. Ob das die geheime Formel ist, die er meint?

Aber wird noch besser: „Für die Zukunft ist eine Zertifizierung von KI denkbar, eine Art Prüfsiegel. Unabhängige Aufsichtsbehörden, auch und gerade auf EU-Ebene, werden sehr genau hinschauen müssen.“ Nur was die wann prüfen sollen und wie viele Sekunden das Resultat danach gültig sein soll würde mich noch interessieren. Insgesamt ein blendender Einfall, dann schicken wir Microsoft zum TÜV!

Da wäre ich nie drauf gekommen! Gut, dass wir kompetente Politiker haben, denen kein Angstschweiß von der Stirn perlt, wenn sie sich zum Brot machen. Merkt ja kein Mensch.

Das zarte Pflänzchen KI/chatBot gedeiht auch in anderen Gärten, nur sind die Gärtner dort nicht so vermessen und reichen diese unreife Frucht herum, auch wenn sie bereits ansehnliche Blüten in den Himmel treibt. Vielleicht können wir selbst etwas anfassen, dazu müssten Politiker Geld in die Hand nehmen – was problemlos möglich wäre – nur eben nicht, um bei Microsoft neue Lizenzmodelle zu füttern, sondern hier im Land zugreifen.

Wäre es zuviel, von Politikern zu verlangen, dass sie sich vorher informieren? Konstantin von Notz hätte vielleicht an dieser Stelle reinsehen sollen, das hätte verhindert publikumswirksam Stuss zu verbreiten, denn OpenSource und KI sind kein Gegensatz. Nebenbei werden nicht nur ein paar Grundlagen geklärt, sondern auch die gesellschaftspolitischen Folgen berücksichtigt – nur so viel: dafür brauchen wir den TÜV nicht, LAION sei das Stichwort! Tipp: wem der Unterhaltungswert dieser Zeilen zu drastisch erscheint, der bekommt hier den passenden Nachbrenner!

KI leistet in vielen Bereichen bereits wertvolle Hilfen, angefangen im Postverteilzentrum bis hin zur Interpretation von Röntgenbildern – auf der anderen Seite sitzen ausgebildete Mediziner, die die Ergebnisse bewerten können – im anderen Fall kommt die Postsendung vielleicht nicht an. KI ist Szenarien, die überschaubar, scharf abgegrenzt, für ihre Aufgabe spezialisiert und trainiert werden, sind schon heute fast unersetzlich. Im Fehlerfall verändert eine kompetente Rückmeldung das System. Undenkbar, die Logik aus dem Postverteilzentrum im medizinischen Bereich einzusetzen – auch wenn es Gemeinsamkeiten geben sollte.

Einen digitalen Homunkulus zu züchten, der all unser unreflektiertes Wissen und Fachwissen vereinigt, ist ein reizvoller Gedanke. Ein Experiment, das wir unter Laborbedingungen an Forschungseinrichtungen unbedingt hemmungslos verfolgen sollten, um die Grenzen und unendlichen Möglichkeiten solcher Systeme auszuloten.

Mit chatGPT ist der Korken mit brachialer Rechenkraft aus der Flasche geschossen worden, umfänglich verfügbar und verführerisch einfach zu bedienen. Um dieser Hydra den Kopf abzuschlagen, fordern Größen wie Steve Wozniak (das ist der, der mit Steve Jobs Apple gegründet hat) oder Elon Musk (der openAI mitfinanzierte) eine Zwangspause. In diesem offenen Brief, finden sich noch viele weitere sehr bekannte Forschende und Unternehmende aus der IT-Szene, um „tiefgreifende Risiken für die Gesellschaft und Menschheit” bewerten zu können. Hmm, ich muss ja nicht alles verstehen.

Originelles Detail am Rande, auch Google will mitmischen und klaut für seinen Homunkulus Bard ungehemmt bei chatGPT, berichtet The Verge.

Die Konsequenzen aus diesen gigantischen KI-Experimenten gehen in der Banalität des Alltags unter, die Ethik solcher Systeme wird bestimmt von rein kommerziellen Interessen, die ein Monopol stärken und ein weiteres Monopol erschaffen – per Default zugeschaltet, unumkehrbar! Und wir? Wir albern über „geheime Formeln“ und „TÜV-Prüfverfahren“.

Mit all dem, was wir an Kompetenz und Möglichkeiten haben, gibt es trefflich Mittel zu digitaler Souveränität. LAION zeigt einen Weg – aber die digitale Kompetenz auf politischer Ebene gleicht dem Niveau einer sehr frühen Beta-Version von chatGPT – obwohl, das scheint mir noch zu hoch gegriffen.

Zur Beruhigung ein TV-Tipp zu meiner Oster-Lieblingssendung im deutschen Fernsehen über einen Serienhelden, der steht zu dem, was er ist: Ein Brot!

Über Christian Wolf:

Christian Wolf (M.A.) ist Autor, Filmschaffender, Medienberater, ext. Datenschutzbeauftragter. Geisteswissenschaftliches Studium (Publizistik, Kulturanthropologie, Geographie), freie Tätigkeiten Fernsehen (RTL, WDR etc.) mit Abstechern in Krisengebiete, Bundestag Bonn und Berlin, Dozent DW Berlin (FS), Industriefilme (Würth, Aral u.v.m), wissenschaftliche und künstlerische Filmprojekte, Projekte zur Netzwerksicherheit, Cloudlösungen. Keine Internetpräsenz, ein Bug? Nein, Feature. (Digtalpurist)