Beueler-Extradienst

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DLF-Audiothekperlen: Deserteure, Sachsen-Anhalt

Extradienst-Leser*innen wissen, dass ich vor Jahren vom WDR geflohen, und beim Deutschlandfunk (DLF) im Exil bin. Doch auch dort häufen sich meine Fluchtreflexe, bei Kriegs- und Rüstungspropaganda, oder bei FDP-Werbung, wie sie von Döpfner sein könnte. Aber es gibt auch Oasen. Auf die komme ich gleich. Zunächst noch eine methodische Kritik mit medienpolitischem Hintergrund.

Der WDR hat – ebenfalls schon vor Jahren – das Textangebot auf seinen Internetseiten radikal heruntergefahren. Seit Jahren habe ich diese Seiten nicht mehr besucht. Das macht nun zunehmend auch der DLF. Zum einen lassen sich so Personal und Kosten in der Onlineredaktion sparen. Im Kern ist es aber eine Gefälligkeit gegenüber den weniger als einem Dutzend Zeitungsverleger-Milliardärsfamilien, die allen Ernstes glauben, dass ihnen die Abonnent*inn*en und Käufer*innen in Scharen weglaufen, weil die öffentlichen Medien ihre Programmangebote mit Textinformationen ergänzen. Die Verleger*innen, mit dem Selbstverständnis die rechtmässigen Eigentümer der Pressefreiheit zu sein, betätigen sich hier in der Verknappung von Information und Meinungen, weil sie Grundrechte privat monetarisieren wollen. Das ist zwar nicht verboten, aber freiheitlich und demokratisch ist es auch nicht. Mann nennt es Lobbyismus.

Wenn sowohl das, was früher einmal “Medienpolitik” genannt wurde, als auch die Führungen unserer öffentlichen Medien sich an diesen Milliardärsinteressen orientieren, machen sie ihren Job nicht. Dann gibt es auch keinen Grund mehr, für ihren Erhalt zu kämpfen. Macht ja auch keine*r, ausser ihnen selbst.

Das war der unangenehme lästige Vorspruch. Nun zu den Perlen.

Lange Nacht: Deserteure

Helmut Lorscheid hat sich kürzlich hier zurecht erregt über ihre miese Behandlung durch unseren Staat. Die “Lange Nacht” – der Mercedes des real existierenden deutschen Radios – hat sich ihrer nun über drei Stunden gewidmet. Leider gibt es beim DLF keine Textbegleitung, nur den Audio-Link. Hier der Teasertext der Programmankündigung in voller Länge:

“Lange Nacht: Nicht töten und nicht getötet werden, eine Lange Nacht über Deserteure von Rolf Cantzen, Regie: Philippe Brühl. Was haben Friedrich der Große, Friedrich Schiller, Jaroslav Hašek, Richard von Weizsäcker, Alfred Andersch, Heinz Kluncker und Siegfried Lenz gemeinsam? Sie waren Deserteure, Fahnenflüchtige und flohen aus der Armee. In Kriegen und auch lange Zeit danach galten Deserteure allgemein als Feiglinge, Verräter, Kameradenschweine. Ihre Motive waren sehr unterschiedlich: persönliche, religiöse, politische, ethische oder schlechthin die Angst, getötet zu werden. Die drohenden Strafen waren drastisch: Haftstrafen, Hinrichtungen, bis ins 19. Jahrhundert hinein Spießrutenlaufen. Die Loyalität, die ein Mensch als Soldat dem Staat schuldete, blieb auch nach dem Zweiten Weltkrieg der Maßstab. Überlebende Deserteure galten in Deutschland bis in die 90er-Jahre hinein als Verräter. Wurden sie im Krieg zu Haftstrafen verurteilt, galten sie als vorbestraft. Die Richter, die sie verurteilt hatten, auch die, die Todesstrafen verhängten, machten im Nachkriegsdeutschland Karriere in Wissenschaft und Politik, während viele Deserteure ihre Desertion verheimlichten. Noch in den Kriegen der Gegenwart werden Deserteure kriminalisiert. Die „Lange Nacht” folgt den Deserteuren durch die Militär-, Rechts- und Literaturgeschichte, nimmt ihre Motive in den Blick und erörtert den Anspruch des Staates, über das Leben seiner Untertanen zu verfügen.”

Mir selbst fehlt die Zeit für drei Stunden. Ich kenne aber viele Menschen, die gerne mit Bewusstsein Podcasts hören. Oder regelmässig im Stau stehen (wollen?). Ihnen sei das ans Herz gelegt und empfohlen. Leider blicke ich nicht immer durch, ob die Lange-Nacht-Beiträge Neuproduktionen oder Wiederholungen sind. Eine auffälligere Kennzeichnung wäre wünschenswert. Das gilt in gleicher Weise für den anderen Tipp.

Sachsen-Anhalt

Immerhin doppelt so gross (an Einwohner*inne*n) wie das Saarland, kaum grösser als Hamburg, viel kleiner als Berlin, oder gar das Ruhrgebiet. Aber ziemlich leer. So ist das Klischee dieses Bundeslandes. Auch ziemlich leer an Wasser. Ich rase da immer nur mit dem ICE durch. Die Gleise wurden sogar um Stendal drumherum gelegt, wie eine Umgehungsstrasse, um ja nicht auf die Idee zu kommen, da anzuhalten. Der Kirchturm ist immer nur am Horizont zu sehen. Die Inschriften der durchrasten Dorfbahnhöfe sind unlesbar, alles zu schnell. Das ist das Sachsen-Anhalt, das ich kenne. Immer wieder ist was von den Nazis dort zu hören. und gute Freundinnen sind von da: eine Schwarze, die aus Dessau geflohen ist, und eine Weisse aus Halle, die jetzt in Köln erfolgreiche Unternehmerin ist. Ein befreundetes Paar ist aus dem Westen nach Lutherstadt Wittenberg gezogen. Von denen habe ich schon lange nichts mehr gehört.

Das ist also weit weniger als Halbwissen. Geht es Ihnen besser? Uns kann geholfen werden. Der DLF beschäftigt – noch – in jedem noch so kleinen Bundesland Landeskorrespondent*inn*en, in Sachsen-Anhalt Niklas Ottersbach. Der war heute im Wochenendjournal behilflich: “Ostdeutsche Provinz – Wiederbelebungsversuche in Sachsen – Anhalt” (Audio 46 min). Seine Botschaft ist nicht eindeutig, sondern widersprüchlich. Wie es Wirklichkeit nun mal in der Regel ist. Stark gemacht. Danke.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. Helmut Lorscheid

    Ja da kann ich bisschen helfen. Ich war beispielsweise schon paar mal in Magdeburg, also der Hauptstadt von Sachsen-Anhalt. Das Land wirbt seltsamerweise damit, dass man dort früh aufstehe. Also ob die sonst nichts hätten, außer Schlaflosigkeit… dabei gibt es dort mehr, beispielsweise die Kunsthochschule auf Burg Giebienstein. https://www.burg-halle.de/hochschule/studium/studieninteressierte/kunst-studieren/studiengaenge/
    Ich habe nach einem großen Hochwasserschaden dort auch mal Spenden für die gesammelt und bin stolzer Besitzer eines t-shirts “Freunde der Burg Giebienstein”. Das trage ich natürlich nur zu ganz besonderen Anlässen. Weil ich bisschen weiß, was dort so gemacht wird und wie das ausschaut was die Absolventen dort können, empfehle ich Abiturienten die Burg, wenn es darum geht Kunst zu studieren. In der Burg wurde immer auch Malerei unterrichtet, was z.B. in Düsseldorf an der Akademie nicht immer der Fall war. In Düsseldorf wird öfter irgendwas gemacht, raus kommen dann Hörsäle, die mit irgendwas gefällt sind oder mir vollkommen unverständliche Video-Arbeiten. Ich habe in Düsseldorf auch großartige KünstlerInnen kennen gelernt. Aber in der Burg in Halle eben viel mehr davon. Beachtlich ist auch, was dort an Kleidern entsteht, denn ausgefallene Kleidung gehört auch zum Angebot der Burg, die international zu den Besten Kunsthochschulen gehört. https://hallespektrum.de/nachrichten/kultur/burg-giebichenstein-gehoert-zu-den-weltbesten-kunsthochschulen/71139/
    Ich liebe die Burg und werde, ausgestattet mit dem 49 Euro Ticket noch öfter dort sein.

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