Der Frame “Wir schaffen das nicht!” erfüllt sich selbst

Ein seit Jahrzehnten PR-schlachtenerprobter Setzer solcher Diskursrahmen ist Gerd Heinz Richard Landsberg, in Bonn studiert und CDU-Mitglied, will bis zur Rente noch eine neue Bundesregierung schaffen. Die Aussichten sind nicht schlecht. Wie er und seine Gesinnungsfreunde (Frauen nicht so viele dabei) damit das Land zurückwirft, interessiert nicht, weiss er nicht, will er nicht wissen. Dazu ein aktuelles Lehrbeispiel aus meinem Fachgebiet, dem Profifussball.

Vorgestern Abend beim “vorgezogenen” Champions-League-Finale trafen schon im Halbfinale Real Madrid und Manchester City aufeinander. Die Vereinigten Arabischen Emirate waren auf jeden Fall Sieger: bei den Einen (Real) sind sie Trikotsponsor, die Andern (ManCity) gehören ihnen seit Jahren komplett. Geld spielt dabei “keine Rolle” – ist genug da. In der Abwehr von Real, schon zu Zeiten des Franco-Faschismus Nationalsymbol, standen der Schwarze Deutsche Antonio Rüdiger und der Schwarze Österreicher David Olatukunbo Alaba, und legten den weissen Trump-Sympathisanten Erling Haaland still (21 Ballkontakte in 90 Minuten). Im Fussball haben spanische Faschisten mit schwarzen Fachkräften kein Problem. So auch auf der linken Verteidigerseite. Dort spielte Eduardo Celmi Camavinga und leitete mit einem eleganten Flankenlauf das 1:0 des – selbstverständlich ebenfalls Schwarzen – Brasilianers Vinícius José Paixão de Oliveira Júnior ein.

Dieser Monsieur Camavinga ist Franzose. Geworden. Geboren wurde er 2002 in einem angolanischen Flüchtlingslager in Cabinda. Seine Familie war aus dem Kongo geflohen. Jahrzehntelang haben sich Kongoles*inn*en in Mitteleuropa als Angolaner*innen ausgegeben. Im Kongo regierte ein vom “Westen” ausgehaltener blutrünstiger Diktator, in Angola dagegen eine Oligarchie “kommunistischen” Ursprungs – das war für die Aussicht auf Asyl besser. Für die weissen europäischen Ausländeramtsbeamten und Asylrichter sahen sie ja sowieso “alle gleich aus”. Zum Fussballer gereift ist Monsieur Camavinga bei Stade Rennes, die damit wie so oft fein Kasse gemacht haben dürften. Wie der junge Mann, seit kurzem französischer Nationalspieler, auch, der nun viele Angehörige, Freund*inn*e*n und Dienstleister*innen finanzieren muss. In solchen Spielern liegt das “Geheimnis” des leistungsstarken und dem deutschen weit überlegenen französischen Fussballs.

Nehmen Sie nur mal zum Vergleich die Erlebnisse des Hamburger Leistungsträgers Bakery Jatta. Seit 2016 gehört er dort zum Profiteam, und wurde jahrelang von Springerpresse und Hamburger Staatsanwaltschaft als angeblich krimineller Identitätsfälscher verfolgt. Der rot-grüne Hamburger Senat griff in keiner Weise in dieses ekelhafte rassistische Treiben ein. Erfreulicherweise hat das zu solidarischen Gegenreaktionen geführt. Vor allem bei Jatta selbst: er ist Leistungsträger seiner Mannschaft (21 Einsätze, 5 Tore). Diese Hetzjagd deutscher Revolvermedien, mit o.g. Herrn Landsberg immer gut befreundet, ist leider nicht einzigartig, sondern üblich – und rahmensetzend im deutschen Sport- und Lokaljournalismus.

Sie mögen nun als demonstrativ Fussball-Desinteressierte einwenden, dass Ihnen diese Vorgänge egal, zumindest nicht wichtig sind. Das ist nur leider in den Ländern, aus denen diese Fachkräfte kommen, ganz anders. Es spricht sich rum in der Welt, wie lebendig der deutsche Rassismus geblieben ist. Und es gibt keine grössere weltumspannende publizistische Soft-Power-Macht als den Profifussball. Auch bei den Mädchen übrigens.

Sie sollen fernbleiben

Deutschlands und der EU Migrationspolitik interessiert das nicht. Die Schwarzen sollen fernbleiben. Und die Araber auch. 3,5 Mio. hängen in Erdogans Türkei fest, hat der fiese Möpp so mit Frau Merkel und der EU vereinbart. Wird das besser, wenn er Sonntag (oder später in der Stichwahl) abgewählt wird? Eher nicht. Udo Wolter/Jungle World: Außenpolitisch ähnelt der Oppositions­kandidat Kemal Kılıçdaroğlu Präsident Erdoğan durchaus: Hoffen auf eine Zeitenwende – Überhöhte außenpolitische Erwartungen der westlichen Staaten heften sich an den möglichen Wahlsieg der türkischen Opposition. Diese strebt unter anderem ein Abkommen mit Syriens Machthaber Bashar al-Assad über die Rückführung syrischer Geflüchteter an.” Schlechte Aussichten für weitere Mo Dahouds. Hiesigen Rassist*inn*en sind das “zu viele”. Die Anstrengungen sie fernzuhalten werden intensiviert. Dafür ist keine Technologie zu teuer. Was kommt dabei raus?

Nun wechsel ich mal die Branche und erinnere daran, was meine Krankenkasse, deren Vertreter*innen*versammlung ich jüngst wieder gewählt habe (“Sozialwahlen”), schon 2016 wusste: die Pflegekatastrophe. Was hat sich seit jener Erkenntnis und ein paar “Flüchtlingskrisen” später getan? Christian Schwager/Berliner Zeitung weiss es: Pflege in Deutschland: ‘Auf dem Weg von der Krise in die Katastrophe’ – Viele Heime der Diakonie müssen Pflegebedürftige abweisen, im ambulanten Sektor ist die Not noch größer. Es fehlen Personal und ein politischer Plan. Eine Analyse.” Was macht der Bundesminister eigentlich so den ganzen Tag? Ich bin ja nicht bei Twitter, und krieg nichts von dem mit. Könnte er nicht in einem seiner zahlreichen heute-show-Auftritte was dazu sagen? Oder wechselt er jetzt ganz zu denen? Und der Bundeskanzler – kennt der den noch?

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net