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Wir schützen die Verfassung

Letzte Generation: Wir sind nicht kriminell – Der Vorwurf der kriminellen Vereinigung gegen die Letzte Generation ist absurd. Das sagt Klimaaktivist Raphael Thelen – und beschuldigt RWE, Exxon und Shell.

Sie finden es richtig, wenn Polizisten unsere Türen aufbrechen und unsere Wohnungen durchsuchen. Sie wollen unsere Handys und Laptops überwachen, unsere Leben bis ins Privateste ausspähen.

Sie wollen uns mit den Erpressern, Vergewaltigern und Mördern der Hells Angels gleichsetzen. Sie wollen uns bis zu fünf Jahre einsperren. Sie nennen uns kriminelle Vereinigung.

Wenn ich mir die Details dieses ganzen Vorgangs anschaue, die Tatsache, dass eine Staatsanwaltschaft und ein Gericht aus Brandenburg den Anfangsverdacht hegen, die Letzte Generation könnte etwas mit Terrorismus zu tun haben, könnte ich das absurd finden, ja – witzig.

Unser Protest ist legitim, wir schützen die Verfassung

Der Durchsuchungsbeschluss, ausgefertigt am 6. Dezember, trägt die Unterschrift eines Proberichters, das heißt: eines Berufsanfängers. Der Vorwurf der kriminellen Vereinigung kommt nur infrage, wenn eine „erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ besteht. Aufgeführt im Durchsuchungsbeschluss: Farbe auf Kunstobjekte, symbolische Aktionen an Ölpipelines.

Der Stuttgarter Generalstaatsanwalt Achim Brauneisen sagt: Er habe Zweifel, ob ein solcher Vorwurf mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar wäre. Er sagt: „Ich wäre da vorsichtig.“

Und die Berliner Staatsanwaltschaft geht in ihrer Stellungnahme noch weiter: „Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Anliegen der Gruppierung nicht nur durch die verfassungsrechtlich verbürgte Meinungsfreiheit gedeckt sind, sondern sogar im Einklang mit der Staatszielbestimmung des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen (Art. 20a GG) stehen.“

Im Klartext: Unser Protest ist nicht nur legitim, nein, wir schützen auch die Verfassung.

Wir sollen verfolgt werden, wie absurd

Und trotzdem sollen wir mit einem Paragrafen verfolgt werden, der 1871 eingeführt wurde, um damals noch unliebsame Sozialdemokraten zu verfolgen. Und dann stellt sich ausgerechnet der sozialdemokratische Ministerpräsident Brandenburgs Dietmar Woidke hin und sagt: „Deswegen würde ich dafür plädieren, dass wir auf diese Weise dafür sorgen, dass Recht und Gesetz nicht mit Füßen getreten werden.“

Sein CDU-Innenminister unterstützt ihn, und FDP-Bundesjustizminister Marco Buschmann lässt keine noch so peinliche Sache aus, um uns zu verfolgen. Der ganze Vorgang ist also kaum an Absurdität zu übertreffen. Aber es ist nicht die witzige Art von absurd.

Studienergebnisse wurden vertuscht

1981 schrieben Wissenschaftler eine Studie, in der stand: Die Nutzung fossiler Brennstoffe wird katastrophale Konsequenzen für einen Großteil der Weltbevölkerung haben.

Der Auftraggeber der Studie: ExxonMobil. Das ist vierzig Jahre her. Damals gab es noch die Möglichkeit, die Klimakrise abzuwenden, die Temperaturanstiege auf ein erträgliches Maß zu begrenzen – und das ohne große Anstrengungen.

Doch die CEOs des Konzerns trafen eine andere Entscheidung. Sie wiesen die Wissenschaftler an, die Studienergebnisse zu vertuschen, und begannen, die Wahrheit zu attackieren. Exxon, BP, Shell gaben zig Milliarden aus, um Lobbyverbände aufzubauen, gefälschte Studien zu publizieren und Politiker zu beeinflussen, um die Existenz der globalen Erwärmung und ihre eigene Schuld zu verschleiern.

Die Beute für dieses Verbrechen: drei Milliarden US-Dollar Profite pro Tag. 50.000.000.000.000 US-Dollar seit 1970. „Mit all diesem Geld kann man jeden Politiker und jedes System kaufen“, sagt Aviel Verbruggen von der Universität Antwerpen.

Und was machen RWE, Exxon und Shell? Sie investieren weiter in Kraftwerke

Und das haben die Konzerne auch gemacht. Deutschland war mal Weltmeister beim Ausbau erneuerbarer Energien. Alle bewunderten unsere Energiewende. Dann sah RWE seine fossilen Profite bedroht, schickte eine Lobbyistenarmada ins Wirtschaftsministerium und ins Kanzleramt – und auch deshalb sind wir immer noch von Öl und Gas aus Ländern wie Katar abhängig, zahlen hohe Rechnungen und verlieren unsere Lebensgrundlagen.

In Frankreich ist es jetzt schon so trocken, dass in manchen Orten kein Trinkwasser mehr aus den Hähnen kommt. Zustände, die auch in Brandenburg und Berlin auf uns zukommen. 2022 war der heißeste Sommer in Europa seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Mindestens 15.000 Menschen starben in der Hitze, darunter überproportional viele Alte und Kranke – also die Schutzbedürftigsten unserer Gesellschaft.

Und was machen RWE, Exxon und Shell? Sie investieren weiter in Kraftwerke, Tagebaue und Pipelines, um ihre Aktionäre zu bedienen. Wer ist hier also die kriminelle Vereinigung?

Der Bogen des moralischen Universums ist lang

Die renommierte Harvard Law School veröffentlichte kürzlich eine Studie, in der steht: Fossile Konzerne haben nicht nur die Öffentlichkeit belogen, sondern töten Menschen, Staatsanwälte sollten dieses Verbrechen verfolgen.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron setzt sich dafür ein, dass der Straftatbestand des Ökozids, also der bewussten Zerstörung von Ökosystemen, im internationalen Recht verankert wird. Belgien geht sogar noch weiter, spricht Umweltverbrechen mittlerweile vor dem Internationalen Strafgerichtshof an. Und auch das Europäische Parlament unterstützt den strafrechtlichen Schutz der Umwelt.

Erste Prozesse gegen die großen Verschmutzer laufen. Ein Kläger aus Peru, dessen Haus von einer Gletscherschmelze bedroht ist, fordert von RWE finanziellen Ausgleich. In erster Instanz wurde die Klage abgewiesen, doch das Oberlandesgericht Hamm sagte im Anschluss: Die Klage ist schlüssig, der Anspruch des Klägers gegen RWE ist begründet.

Wie der Prozess ausgehen wird, ist unklar. Doch die Zeiten ändern sich. Oder wie Martin Luther King Jr. sagte: „Der Bogen des moralischen Universums ist lang, aber er beugt sich der Gerechtigkeit zu.“

Raphael Thelen arbeitete als Journalist unter anderem für den Spiegel und die Zeit, berichtete mehrere Jahre über die Klimakrise, bevor er 2023 zur Letzten Generation wechselte. Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz (CC BY-NC-ND 4.0). Er darf für nichtkommerzielle Zwecke unter Nennung des Autors und der Berliner Zeitung und unter Ausschluss jeglicher Bearbeitung von der Allgemeinheit frei weiterverwendet werden.

Über Raphael Thelen / Berliner Zeitung:

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Ein Kommentar

  1. Martin Böttger

    Respekt und Kompliment: wie ist es den PR-Arbeiter*inne*n der “Letzten Generation” bloss gelungen, freidrehende deutsche Staatsanwaltschaften zu der heutigen Razzia zu bewegen? Einen gigantischeren PR-Erfolg kann ich mir kaum vorstellen. Inwieweit das am Ende dem Klimaschutz dient – diese Frage wird ein immer weiteres Feld.
    Der Bundesinnenministerin gelang es dabei, alle meine jugendlichen Vorurteile über die Kanalarbeiter-SPD im Ruhrgebiet wieder wachzurufen. Unschöne Erinnerungen.

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