Kristina Dunz, Kommentatorin des “Kölner Stadtanzeiger” hat angesichts des rechtsstaatlichen Skandals bundesweiter Durchsuchungen bei Aktivist*innen der “letzten Generation” einen  grandios perversen intellektuellen Purzelbaum hingelegt. Die “letzte Generation kriminalisiert sich selbst” kommentierte sie am Donnerstag  – das erinnert an George Orwells 1984: “Krieg ist Frieden”. Tatsache ist, dass hier völlig unverhältnismäßig eine äußerst unbequeme Jugendbewegung in einer Art und Weise kriminalisiert wird, die an Rechtsbeugung grenzt.

Die vom §129 StGB “Bildung einer kriminellen Vereinigung”  erfassten Delikte müssen Delikte sein, deren Höchststrafe mindestens 2 Jahre beträgt. Das könnte zwar u.U. die Nötigung nach § 240 StGB sein – Höchststrafe 3 Jahre – aber es ist durchaus zweifelhaft, ob es sich bei den Klebeaktionen überhaupt um Nötigungen handelt, weil das Tatbestandsmerkmal der Verwerflichkeit (§ 240 Abs. 2) angesichts der angestrebten Ziele – wirkungsvollere Maßnahmen gegen den Klimawandel – nicht als gegeben angesehen werden kann. Hier wird eine gewaltfrei und innerhalb des demokratischen Diskurses eher spießbürgerlich (100 km auf Autobahnen und ein 9 € Ticket als politische Ziele) agierende Gruppe kriminalisiert und mit rechtsstaatlich fragwürdigen Mitteln in eine extremistische Ecke gedrängt, in die sie nicht gehört. Der Skandal liegt nicht nur darin, dass die Initiative für diese rechtsstaatswidrige Aktion von Bayern ausging, noch viel skandalöser ist, dass eine SPD-Bundesinnenministerin Faeser diese Aktionen nicht nur mitmacht, sondern auch noch rechtfertigt.

Jedes Maß für Rechtsstaatlichkeit verloren

Als Petra Kelly und Gert Bastian in Mutlangen Raketendepots blockiert haben, haben sie das auch systematisch und gezielt gemacht. Bei den Blockaden in Mutlangen wurden immer von fünf Ein/Ausgängen der Raketendepots nur vier blockiert. Die Klimaaktivisten lassen ebenso immer Lücken in ihren Blockaden – nicht alle Aktivist*innen kleben sich an, sondern für Krankenwagen, Polizei und Notfälle wird eine Spur nur symbolisch blockiert und nicht angeklebt. Trotzdem fallen AfD, CDU/CSU und Teile der FDP nebst BILD-Zeitung mit unglaublichen Hasstiraden und Diffamierungen über die “Letzte Generation” her. Der Subventionsverschwender Dobrindt tönte gar von der “Klima-RAF” und FDP-Justizminister Buschmann war sich nicht zu schade, im November 2022 erst auf dem Empfang der Naumann-Stiftung zu Ehren des 90. Geburtstags von Gerhart Baum zu sülzen “auch manchmal Gerhart Baum sein zu wollen”, um zwei Tage später “härtere Strafen für Klimakleber” zu fordern. Dass Nancy Faeser sich zur Vollzugsgehilfin von Dobrindts unsäglichem Plot von der “Klima-RAF” macht, ist eine Schande für diese Koalition und den liberalen Rechtsstaat. Sie bestätigt die Erfahrung, dass eine Koalition einfach den Sozialdemokraten kein Innenministerium anvertrauen darf, ohne dass es in autoritäre Exzesse von der Qualität  Noske, Schily oder Faeser mündet.

Wo sind eigentlich die Grünen?

Trotz allem gibt es ja eigentlich in der Ampelkoalition eine Bürgerrechtspartei – die Grünen. Mit Irene Mihalic, Konstantin von Notz und Renate Künast sind in dieser Fraktion Bürgerrechtler*innen vertreten, die in der Vergangenheit über jeden Zweifel erhaben waren. Und mit Claudia Roth gibt es ein Mitglied der Bundesregierung, das sich in der Vergangenheit vehement für bürgerliche Freiheitsrechte eingesetzt hat. Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen: Die Art der Aktionsformen der “Letzten Generation” ist nicht geeignet, Bündnispartner*innen und nur Sympathien zu gewinnen. Als meine Tochter kürzlich in Köln ihr zweites Juraexamen schrieb und dafür von Kalk über die Zoobrücke zum OLG im Kölner Norden fahren musste, bestand durchaus die Gefahr, dass die “Klimakleber” ihr die Klausur und damit das Examen versauen könnten. Aber auch diese Kritik an der Aktionsform kann mich nicht davon abhalten, im Vorgehen des Staates ein völlig überzogenes, rechtsstaatswidriges und unverhältnismäßiges Polittheater, und damit eine an Rechtsbeugung grenzende Aktion zu sehen. Ein Staat, der auf die Zukunftsängste eines Teils der jungen Generation mit martialischen Kriminalisierungen reagiert (und rechtsextremistische Exzesse sowie Hatespeech unverfolgt lässt) schafft sich seine kommende Fundamentalopposition selbst, weil er Grundrechte nicht glaubwürdig verteidigt. Faeser und Co. haben offensichtlich aus der Erfahrung mit der RAF nichts, rein gar nichts gelernt.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net