Letzte Generation: Warum wir Privatjets mit Farbe besprühen und was die SPD damit zu tun hat – Raphael Thelen ist Klimaaktivist der Letzten Generation. Für ihn ist die SPD eine „gedankliche Heimat“. Hier erläutert er seine Erwartungen an „Klimakanzler“ Olaf Scholz.

Vor knapp einem Jahr habe ich bei einem Kongress der SPD einen Vortrag gehalten. Bürgermeister waren da, Nachwuchspolitiker, Leute aus der Verwaltung, mit denen ich ins Gespräch kam. Die Stimmung hatte etwas von ehrlichem Anpacken für die Schwächsten der Gesellschaft und für die Stärke unseres gesellschaftlichen Zusammenhalts. Auf der Bühne sagte ich dann, wie sehr die SPD für mich auch eine gedankliche Heimat ist. Und nicht erst seitdem glaube ich, dass wir die Klimakrise ohne die SPD nicht bewältigen werden.

In keinem anderen Land der Europäischen Union klafft die Schere zwischen Arm und Reich so weit auseinander wie in Deutschland. Das reichste Prozent besitzt fast ein Drittel des gesamten Privatvermögens. Bei der Verteilung des Nationaleinkommens sieht es nicht besser aus. Wie sind Ungleichland. Und das zeigt sich auch beim Klima. Die ärmsten zehn Prozent der Deutschen emittieren rund drei Tonnen CO2 im Jahr. Das reichste Prozent das 35-Fache davon. Bei den Superreichen geht es schnell ins Tausendfache.

Eine Nacht in einem Luxushotel kostet mehr, als ich Miete zahle

Wir von der Letzten Generation machen das derzeit sichtbar. Wir besprühen Privatjets mit Warnfarbe, wir lenken die Aufmerksamkeit auf verschwenderische Luxushotels. Ein vierstündiger Privatjetflug emittiert so viel CO2 wie ich in einem ganzen Jahr. Eine Nacht in so einem Hotel kostet mehr, als ich monatlich Miete zahle. Finanzielle Ausgaben und Emissionen korrelieren fast eins zu eins – steigt das eine, steigt auch das andere.

Die SPD wurzelt in der Arbeiterbewegung. Damals trat sie gegen die Besitzenden und für die Bevölkerungsmehrheit an. Das muss sie wieder tun. Unter geänderten Vorzeichen.

Die Reichsten befeuern die Klimakrise übermäßig, und dazu kommt auch noch: Sie sind es nicht, die am meisten darunter leiden. Während sie an den Pools ihrer Villen liegen, muss der Dachdecker auch bei 42 Grad Hitze hoch aufs Dach. Während sie in den Urlaub fliegen, schwitzt der Lieferando-Bote auf seinem Weg durch die Stadt. Während sie sich in Privatkliniken behandeln lassen, sterben alten Menschen an Hitze, weil die Notaufnahmen unterfinanziert und überlastet sind.

Von Franziska Giffey erwARTE ich nicht viel, aber der „Klimakanzler“ muss Ernst machen

Im Umweltatlas Berlin lässt sich das deutlich sehen. Arme, benachteiligte Viertel wie Neukölln leiden viel stärker unter hohen Temperaturen. Die Hitze staut sich zwischen den Gebäuden, beißt sich fest im schwarzen Asphalt. Hitze, die tötet: mehr als 15.000 Menschen in Europa im vergangenen Jahr. Reiche Viertel wie Grunewald sind weniger betroffen: viele Bäume, viele Grünflächen, viel Geld ­– niedrigere Temperaturen.

Die soziale Frage von damals ist heute die Klimafrage. Auf sie gilt es, eine Antwort zu finden. Von Franziska Giffey erwARTE ich da nicht viel. Auf ihrem Parteibuch scheint „Macht“ zu stehen und nicht „Sozialdemokratie.“

Bei Olaf Scholz habe ich manchmal das gleiche Gefühl, vor allem, wenn er mal wieder die FDP unterstützt, mit ihrer Erzählung, dass kein Geld da sei für Klimaschutz. Natürlich ist genug Geld da. Es ist nur ungleich verteilt.

Gesetze, die unser Zusammenleben regeln, sind der Kern der sozialen Marktwirtschaft. Wollen wir in unserer gemeinsamen Anstrengung, unsere Lebensgrundlagen zu schützen, erfolgreich sein, werden wir mehr davon brauchen. Gesetze, die Überkonsum und Exzessemissionen der Reichsten einschränken.

Die Mehrheit der Menschen in Deutschland hat das in den vergangenen Jahrzehnten bereits getan. Die Statistiken zeigen: Die Emissionen der Durchschnittsdeutschen sind gesunken. Die Reichen hingegen haben ihre in der gleichen Zeit noch gesteigert. Würde das ein Ende finden, die Luxusemissionen auf ein Durchschnittsniveau runterkommen, hätte Deutschland einen Großteil der nötigen Einsparungen schon geschafft, und: Kein Reicher muss frieren, weil er nicht mehr alleine in seiner Riesenvilla lebt.

Wir nennen uns die Letzte Generation, denn wir sind die erste Generation, die die Auswirkungen der Klimakrise spürt, und die letzte, die den Kollaps abwenden kann.

Olaf Scholz hat sich „Klimakanzler“ genannt. Wenn er als solcher in die Geschichtsbücher eingehen will, muss er langsam Ernst machen. Ansonsten gibt es bald vielleicht niemanden mehr, der unsere Geschichten aufschreiben wird.

Über Raphael Thelen / Berliner Zeitung:

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