Beueler-Extradienst

Meldungen und Meinungen aus Beuel und der Welt

GovTech – wir treiben die nächste Sau durchs Dorf!

Jetzt stellen wir uns vor, es gibt ein riesiges Sparschwein, voll mit Goldmünzen, daneben steht in trauter Seligkeit, der Esel, der Golddukaten scheißen kann, dauerhaft. Der Haken aber: wie drankommen, ohne sich die Finger schmutzig zu machen? Ganz legal, meine ich.

Zunächst brauchen wir einen alten Gaul, der selbstgefällig vor sich hinsiecht, den müssen wir retten! Obwohl jeder versierte Tierarzt gleich sagt, erschießt das kranke Vieh, das kostet nur unnötig Geld, den am Leben zu halten. Aber genau das ist der Trick, wir lassen alles wie es ist, es funktioniert ja irgendwie und der Fachkräftemangel wirkt sich günstig auf die Prognose für künftige Einnahmen aus, solange der Tierarzt auf den kranken Gaul einredet, sogar eine Lobotomie empfiehlt – was merklich den verbliebenen Widerspruchsgeist senkt! Laut ärztlicher Auffassung müssen gerade Patienten, die einer Lobotomie widersprechen, gerade deshalb eine Lobotomie bekommen!

Damit hätten wir geklärt, was GovTech ist und wie die öffentliche Verwaltung funktioniert. Den Vorwurf, mit der öffentliche Verwaltung so despektierlich umzugehen und einen siechen alten Gaul noch einer Lobotomie zu unterziehen  ist anmaßend! Auf den ersten Blick. Es geht sehr viel sachlicher, Martin Böttger schickte mir den Link zu diesem Artikel von Telepolis zur GovTech. Lesenswert auch diese Einschätzung!

Von außen und von oben werden Konstruktionen gebaut, die mittels StartUps, finanziert mit Risikokapital, den bekannten Beratungsfirmen, vorgeblich gemeinnützigen Institutionen, sowie Landes- und Bundesbehörden eine neue Kapitalumverteilung erschaffen, die dauerhaft sprudelnde Gewinne garantiert. Selbstverständlich spielen auch die Big Player wie AWS (Amazon Web Service) mit.

In den Behörden – das ist da, wo das alles kompetenzfrei reinregnet – machen sich unruhige Beamtenseelen tiefe Gedanken, was sie mit KI anfangen können: eben nichts! Seit der Schulung für Windows 95 kam nichts hinzu – oder konnte erfolgreich abgewehrt werden. Wer die Gelegenheit hat, die interne Korrespondenz auf unterster Ebene einzusehen, der kommt um starke Schmerzmittel nicht umhin, die stellen die Sprachmodelle wie ChatGPT glatt in den Schatten, wenn die Dinger anfangen zu halluzinierenweil sie nichts wissen.

Wer die beiden Links weiter oben nicht anklickt, der fragt sich vielleicht, was ist denn so schlimm an diesem GovTech. Kurz erklärt, weil die öffentliche Verwaltung die Digitalisierung ganz ausgelassen und heiter bislang großräumig umschiffen konnte – gepaart mit der nackten Angst vor Veränderung – gibt es einen Leerraum, der ausschließlich durch externe Beratungsleistungen gefüllt werden kann. Ein Füllstoff, der nicht ganz umsonst zu haben ist.

Die Propaganda-Artikel zum Thema geben den geschundenen Beamtenseelen wieder Kraft, wenn Sie den Landesassistenten F13 von Aleph-Alpha betrachten:

Damit der Dukatenesel zeitnah gemolken werden kann, wird das Projekt am lebenden Objekt gestaltet, die nennen das „agile Entwicklung“, heißt so viel wie: wir fangen an und sehen, was rauskommt – kassieren aber sofort. Das kommt der Arbeit in der öffentlichen Verwaltung sehr entgegen, schließlich muss nix rauskommen. Das Geld zu solchen Experimenten fehlt keinem der verantwortlichen Staatsdiener am Ende des Monats. Diese Vorteile der begüterten Entscheidungsträger gibt externen Kompetenzen eine ganz eigene Kraft zur digitalen Revolution der öffentlichen Verwaltung.

Das wissen die Start-Ups und Beratergesellschaften allesamt sehr zu schätzen, zumal das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) aktiv zur Seite steht – und welche nachgeordnete Behörde mag sich der Innovationskraft von solch hoher Stelle entziehen?

In den Behörden geht die Angst um, eine technologische Entwicklung, wie sie mit ChatGPT öffentlich angestoßen wurde, zu verpassen. Operative Hektik macht sich breit, auf einmal soll es „agil und inkrementell“ sein und nicht mehr zu 150 Prozent vorausgeplant – so Aleph-Alpha, die ihr Projekt gleich F13 getauft haben, benannt nach einer Funktionstaste, die es nicht gibt. Eigentlich typisch im Behördenalltag, nix verändern, sondern hinten dranbauen,

China hat die zugrunde liegenden Technik (Large Language Model = LLM) zu einer öffentlichen Aufgabe erklärt, weil sie sich aus gutem Grund nicht auf Drittstaaten oder private Unternehmen verlassen wollen. Auf dieser Basis entwickeln sich derzeit in rasender Geschwindigkeit breite, neue Anwendungsmöglichkeiten. Große Unternehmen und StartUps profitieren von dieser Basis, denn ein eigenes LLM ist sehr aufwändig und teuer, das „Spezialtraining“ hingegen wird getragen von Kompetenz und Erfindergeist.

Und was machen wir? Wir holen den Tierarzt mit seinem Lobotomiebesteck zu einem nörgeligen alten Gaul, der krampfartig zusammenzuckt, hört er harmlose Worte wie eAkte. Wie gefährlich die Entwicklung scheinbar ist steht nicht in den großen Schlagzeilen, sondern findet sich in internen Anweisungen für Google-Mitarbeiter, die gewarnt werden, beim hauseigenen Bard oder chatGPT sensible Daten einzugeben, ich schätze, die wissen warum, sehr genau sogar.

Auf dem  Zukunftskongress vom 19. bis 21. Juni 2023 (also jetzt)  im Berliner Westhafen versammelt sich alles, was Rang und Namen hat, hochspannende Felder gibt zu bewältigen, neben verdammt heißen Verwaltungsthemen heißt es auf einem Podium: “Vorratsdaten, quick freeze, KI & mehr: Geben wir den Sicherheitsbehörden wirklich das, was sie brauchen?” Zum Beispiel Milliarden von Standortdaten? Die Werbeindustrie hat das alles, einfach nur zugreifen hier nachzulesen oder etwas griffiger im Stern.

In dem Wust finden sich nicht nur Bewegungsprofile, sondern auch ganz persönliche Vorlieben und Gesundheitsdaten, denn alles wird getrackt ob Mobile, Auto oder Fitnessuhr – aber wie heißt es so schön von den WhatsApp-Junkies: Ich habe doch nichts zu verstecken. Was US-Dienste ganz ohne richterlichen Beschluss nebenbei erledigen, bekommen wir – bei dem Personal, was sich auf dem Zukunftskongress rumtreibt – sicherlich ebenfalls hin. Dann wird auch klar, dass wir bei hunderten Milliarden Datensätzen eine KI brauchen, die das auslotet.

Auf einen Zug aufzuspringen, der schon abgefahren scheint, ist schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Wir sind in der digitalen Welt schon lange nur noch zahlende Mitreisende – obwohl in Europa Expertise und Kompetenz vorhanden sind. Was fehlt, sind Big Player, deren Finanzkraft ausreicht, selbst die Entwicklungs- und Aufbauarbeiten zu leisten.

Geschätzt kostet ein eigenes LLM rund 400 bis 500 Millionen Euro, das mit Steuermitteln als OpenSource finanziert, würde kleinen wie großen Unternehmen den Einstieg ohne neue Abhängigkeiten ermöglichen – und bundesdeutsche Behörden könnten in eigener Regie mit Kraft ihre Digitalisierung umsetzen – sie müssen nur den Tierarzt mit dem Lobotomiebesteck rauswerfen und sich um kompetentes Personal bemühen.

Versuchsweise könnten wir beim Schulministerium in NRW anfangen.

Ach, da drängt sich die Frage auf, was machen eigentlich Politiker?  Ich frage für einen Freund ….

 

Über Christian Wolf:

Christian Wolf (M.A.) ist Autor, Filmschaffender, Medienberater, ext. Datenschutzbeauftragter. Geisteswissenschaftliches Studium (Publizistik, Kulturanthropologie, Geographie), freie Tätigkeiten Fernsehen (RTL, WDR etc.) mit Abstechern in Krisengebiete, Bundestag Bonn und Berlin, Dozent DW Berlin (FS), Industriefilme (Würth, Aral u.v.m), wissenschaftliche und künstlerische Filmprojekte, Projekte zur Netzwerksicherheit, Cloudlösungen. Keine Internetpräsenz, ein Bug? Nein, Feature. (Digtalpurist)

6 Kommentare

  1. MarS

    Ein wichtiges Thema. Leider verstehe ich nur die Hälfte in Ihrem fachchinesischen Artikel. Können Sie das auch für Laien erklären?

    • Christian Wolf

      So schwierig kam mir das jetzt nicht vor, aber was weiß ich schon. Letztlich sind unsere Behörden abhängig von den Beamten und -innen, die mit den Ergüssen der Leitung arbeiten müssen. Außer bekannten Buzzwords, wie KI, Blockchain, Quantencomputer oder Kernfusion buchstabieren sie jetzt unfallfrei chatGPT. Eine Ahnung, wie das wirkt, haben sie nicht – aber viel Papier, wo es drinsteht, dafür sind schließlich die Berater und -innen zuständig. So bleibt den armen Seelen in den Amtsstuben nur in einer Projektgruppe zu diskutieren, ob der Mülleimer besser links oder rechts vom Schreibtisch stehen soll. Bis das Gruselwort eAkte = “elektrische Akte” fällt (eine gefährliche Vorstufe der Digitalisierung, die seit Jahren laufen sollte) ist schon Mittagspause – und wer will danach noch arbeiten?

      Ein bissel mehr Kompetenz seitens der Politik und Entscheidungsträger in den Behörden, die nicht Jura studiert haben, könnte die Entwicklung von der elektrischen Glühbirne zur elektronischen Akte führen. Bis wir zu KI, (künstlicher Intelligenz) kommen, sind Zwischenstufen im Bereich Aus- und Fortbildung notwendig, gepaart mit der Einsicht, dass kompetentes Fachpersonal gebraucht wird, die wissen was sie tun. Die sind zwar deutlich teurer, als übliche Beamte – aber wesentlich günstiger als Beratertross und externe Dienstleister.

      So wissen nur die Berater und Firmen was sie tun, das hat nichts mit öffentlicher Verwaltung zu tun, nur mit Gewinnmaximierung.

      Ein wesentlicher Punkt zum Schluss: Wo unserer Daten liegen und wie sie verarbeitet werden, das sollten wir nicht in windige Hände geben. Mit den Bergen von Akten in den Behörden machen wir es auch nicht.

      Kurzum, beim nächsten Mal gebe ich mir mehr Mühe mit einfachen Worten alles zu beschreiben. Was nicht einfach sein wird, weil es geht darum, dass eine Lobotomie bei Karl Lauterbach der einzige Weg ist, die sich anbahnenden Katastrophen zu verhindern. Er kann ja ruhig widersprechen… aber das hatten wir ja am Anfang schon.

    • Martin Böttger

      Ich jedenfalls bin glücklich über diesen Mitautor, und kenne einige Leser*innen, die es auch sind, persönlich 😉

  2. w.nissing

    F13 ist Drucken……. also erst mal die eAkte ausdrucken …. 🙂
    Das ganze erinnert mich an Limux wo der OB Reiter? sich beschwert hatte, das er auf seinem Dienstläppi keine eigenen Programme aufspielen konnte. Okay, es gab auch noch ein paar andere Probleme aber das hätte man händelnkönnen mit gutem Willen

    • Christian Wolf

      … aber das waren alles interne Entscheidungen, weil OpenSource zu teuer ist (die Mitarbeiter wussten nicht mehr, ob sie links oder recht klicken sollten) und dann die ganzen Fachanwendungen, die nicht unter Linux laufen, Gott, was waren die froh, dass sie trotz Linux dann noch einen Windows-Rechner hatten – fast wie früher, als sie darum gebetet haben, dass die Schreibmaschinen noch bleiben dürfen, so für den Notfall. Und dann fiel in München der Mailserver aus, da stand alles still und dann konnten die sagen, dass ist nur wegen… – war es aber gar nicht, aber ein Grund und das missliebige Projekt konnte federleicht abgeschossen werden.

      Und: OpenSource heißt nicht “umsonst”, es sind nur die Quellen frei zugänglich und die kann und darf ich nutzen und für meine Zwecke ändern und einsetzen – dazu braucht es Menschen, die das können und Entscheidungsträger, die das wollen.

      Unser Fachwissen und Arbeitsplätze dazu bleiben im Land – das ist am Schluss günstiger – aber nicht weil OpenSource nix kostet – ne, das ist nicht wie Freibier (für die, die wissen, was ich meine…)

    • w.nissing

      Ja , ich weiß, der Limuxkomplex ist vielschichtiger. Ich glaube man kann kann aber konstatieren das er an dem Unwillen der Entscheidungsträger gescheitert ist und nicht ob ich einen rechts oder links oder Doppelklick machen muß. Dazu kam der “Erpressungs….ähm Ansiedlungsvorschlag von Bill in München ein paar Arbeitsplätze abzuwerfen….ähnlich hier in Köln….. wieviel sind davon noch heute existent?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

© 2024 Beueler-Extradienst | Impressum | Datenschutz

Theme von Anders NorénHoch ↑