Vor 50 Jahren fand das grossartigste DFB-Pokalfinale aller Zeiten statt
Klimwandel? Hatten wir damals schon. Es war so unerträglich heiss, wie bei der WM 1970 in Mexiko. 1973 war ich 16, der letzte Sommerurlaub mit den Eltern. Die Ruhrkohle AG hatte ein eigenes Reiseunternehmen für ihre Beschäftigten. Wir waren in einem Dorfgemeinschaftshaus in Nordhessen – hiess es Ronshausen? Oder Dalwigksthal? Egal, vergessen. Es war jedenfalls überfüllt. Jede Bewegung war zu viel. Allenfalls das Anheben des Pilsglases war zumutbar. Und ausgerechnet unter diesen Umständen fand dieses “herrliche Spiel” (Ernst Huberty) statt. Das müssen Sie mal den heutigen Nationalspielern erklären …
Wie immer gewann meine Borussia gegen den FC aus der Nähe des Doms. Damals kannte ich meine spätere Arbeitskollegin Bettina Tull noch nicht, die mir später im Müngersdorfer Stadion noch den leibhaftigen Hans Schäfer vorstellen sollte. Nach jedem Borussia-Sieg schicke ich ihr ein “Du brauchst nicht zu weinen!” (zitiert nach L.S.E. “Seinlassen”). Selten ist es mal umgekehrt.
Christian Eichler, selbst Borussia-Fan und verrenteter FAZ-Sportredakteur, erinnert an das Spiel (von der FAZ eingemauert). Die ersten 90 Minuten bilanziert er so: “Nach phantastischen neunzig Minuten, mit fast zwei Dutzend Torchancen, mehr als zwanzig Eckbällen, vier Pfosten- und Lattentreffern, einem von Heynckes verschossenen Elfmeter, drei Rettungsaktionen durch Verteidiger auf der Torlinie, steht es immer noch 1:1.” Suchen Sie mal ein Spiel der DFL, das da mithalten kann.
Dann folgte das berühmte Netzer-Tor nach Doppelpass mit unserem heutigen Vizepräsidenten Rainer Bonhof, der Anfang der 80er sogar noch dem FC ein paar Jahre aus der Patsche half. “Das größte Glück meines Lebens“ war das nach Netzers eigener Auskunft. Während ich im Dorfgemeinschaftshaus in Nordhessen litt, erlebte es der 12-jährige Matthias Brandt im Stadion (Rheinstadion Düsseldorf).
Wenn Sie es nach Mönchengladbach-Eicken schaffen, können Sie es heute nacherleben. Christian Eichler: “In der ‘Fohlen Sportsbar’ im Stadion am Bökelberg wird das Spiel an diesem Freitag in voller Länge wiederholt, kommentiert von Christian Kulik und dem damaligen Torwart Wolfgang Kleff.” Ich hätte noch Lars Stindl eingeladen.
Hierzu wäre noch zu ergänzen, dass der “Kölner Stadtanzeiger” (!!!) heute ein wunderbares Interview mit Günter Netzer zu seiner “Selbsteinwechselung” führte. Leider hinter Paywall: Netzer saß wegen Formschwäche auf der Bank und obendrein war seine Mutter gerade gestorben: “Hatten Sie Verständnis für Ihre Degradierung auf die Bank?” – Netzer: “Als Trainer hatte Weisweiler eigentlich richtig gehandelt. Den Tod der Mutter, meine körperliche Verfassung, das hat er alles gespürt. Doch im Nachhinein will ich ihm unterstellen, dass er es mir zeigen wollte, dass er es auch ohne mich schafft. Fachlich war das nicht so falsch. Er hätte es jedoch besser wissen können.” – Dann begründet Netzer, warum Weisweiler hätte wissen müssen, dass er in schwierigen Zeiten außerordentliches leisten kann. Entgegen der Erwartung der Fans ließ Weisweiler Netzer auch in der 2. Halbzeit nicht spielen – die Fans waren sauer. – “Und?” – Netzer:”Das Spiel lief genauso gut wie in der ersten Halbzeit. Vielleicht eines der besten Pokalendspiele, das je in Deutschland stattgefunden hat. Bis zu dem Zeitpunkt , als nach 90 Minuten abgepfiffen wurde, es stand 1:1. Da kam Christian Kulik auf mich zu, fällt vor meinen Füßen zu Boden. “Was ist Christian, kannste nicht mehr?” fragte ich. “Ich kann nicht mehr aufstehen”, sagte er dieses großartige Talent, guter Charakter, dem die Zukunft offenstand. Ich habe den geliebt.” – Was passierte dann? – Netzer: In dem Augenblick war ich ferngesteuert. Ich habe es nicht bewusst getan, weiß es bis heute nicht: Zieh ich mir die Trainingsjacke aus, die Hose aus – die Zuschauer fangen an mich zu feiern -, laufe ich an der Bank vorbei, sage: “Herr Weisweiler, ich spiel dann jetzt” Ohne eine Reaktion abzuwarten, bin ich aufs Feld. Und dann passiert was, das kann man nicht erklären. Mit Reiner Bonhof,…habe ich zehn Jahre lang Doppelpass geübt, nicht ein einziger ist angekommen. In dem Moment spielt er den Pass seines Lebens. …Ich treffen ihn mit dem Außenspann. Und er landet oben im Eck. Wenn ich ihn lehrbuchmäßig getroffen hätte, wäre es ein harmloser Roller geworden. … Vielleicht hätte man mich Rausgeworfen…”
…manchmal gewinnt halt auch die Borussia verdient – mer moht och jönne künne!
Nacherzählungen sind schön (ich war ja dabei). Doch die Erfahrung können sie nur im Ansatz beschreiben. Die ARD hatte deshalb ein Einsehen und lässt Ernst Huberty noch einmal selbst fragen: “Vergoldet eigentlich die Erinnerung, oder war es wirklich so schön, war es wirklich so spannend?”… Wenn sie den Fußball lieben, dann nehmen sie Hubertys Einladung an… Das ganze Spiel in der ARD Mediathek bis zum 22.06.2025(!!!)
https://www.ardmediathek.de/
Und ein Nachtrag zu Martin: “im Stadion am Bökelberg”? Mensch, wär’ das wohl schön gewesen! 😉