Triage (Sichtung, Einteilung) ist ein aus dem Militärischen stammender Begriff für die Priorisierung medizinischer Hilfeleistungen bei geringen medizinischen Kapazitäten, hohen Patientenzahlen und fehlenden Möglichkeiten, Patienten zu verlegen. Insbesondere bei kriegerischen Auseinandersetzungen sollten die knappen personellen und materiellen Ressourcen sinnvoll und verantwortungsbewusst eingesetzt werden. Damit war nicht unbedingt eine Entscheidung über Leben oder Tod gemeint, aber oftmals das Ergebnis. Die Methoden der Triage wurden danach auf alle Notsituationen übertragen, bei denen es um die Rettung von Menschenleben geht.

In jüngster Zeit hat der Begriff einen neuartigen Schwerpunkt erfahren, nämlich die Pflege-Triage. Sie unterscheidet sich indes deutlich von jenen Triagen, die über Tod und Leben entscheiden. Ende Juni haben verschiedene Pflege- und Sozialeinrichtungen gemeinsam darauf hingewiesen, dass aus strukturellen, personellen und finanziellen Gründen Engpässe bei der Aufnahme, Behandlung und Anschlussversorgung von pflegebedürftigen Patienten bestehen. Pflegeeinrichtungen lehnten eine Aufnahme mangels Kapazitäten oder wegen Fachkräftemangels ab, selbst bei höheren Pflegegraden. Eine angemessene Versorgung sei daher nicht mehr leistbar.

Damit greife eine Art Pflege-Triage Platz, die mit unserem Verständnis von Menschenwürde und Sozialstaat nicht vereinbar sei. Die Heimleitungen müssten entscheiden, wer einen freigewordenen Pflegeplatz erhält. Der Engpass treffe auch die Kliniken. Wenn eine Person nach einer Operation zum Pflegefall wird und keine Angehörigen sich darum kümmern, müsse die Klinik selbst eine Pflegeeinrichtung suchen. Die Fachverbände regen daher Übergangsstationen mit Kurzzeitpflege an und fordern, bereits bei der Aufnahme in eine Klinik das Entlassungsmanagement sektorenübergreifend zu planen.

Aus aktuellem Anlass standen jüngst die Kriterien unvermeidlicher Triage-Entscheidungen bei lebensrettenden intensivmedizinischen Leistungen im Mittelpunkt. Es ging um die Frage, wie bei Epidemien und Katastrophen die Gleichbehandlung von Behinderten gewährleistet werden kann. Art. 2 des Grundgesetzes gewährleistet das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, und Art. 3 des Grundgesetzes bestimmt, dass „niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf.“ Als 2020 in italienischen Kliniken keine ausreichenden lebensrettenden Ressourcen für an Covid-19 Erkrankte verfügbar waren, wurde auch in Deutschland über die Kriterien von unvermeidlichen Triage-Entscheidungen gestritten.

Eine dazu eingereichte Verfassungsklage rügte vor allem, dass die geltenden Triage-Kriterien Komorbiditäten (gleichzeitiges Vorkommen von zwei Erkrankungen bei einer Person) und Gebrechlichkeit als Indikatoren für geringe Erfolgsaussichten einstuften. Dies umfasse auch Behinderungen. Ende 2021 entschied das Bundesverfassungsgericht und verpflichtete den Gesetzgeber, unverzüglich rechtliche Maßnahmen zum Schutz behinderter Menschen zur Vermeidung einer Diskriminierung in Triage-Situationen vorzunehmen. Bislang gab es dazu noch keine gesetzliche Regelung.

Im November 2022 hat der Bundestag mit den Stimmen der Ampelkoalition entsprechende gesetzliche Regelungen in Kraft gesetzt (+ ergänzender Link hier). Diese sollen bei einer notwendig werdenden Triage Menschen mit Behinderung oder hohem Alter vor Benachteiligung schützen. Bis dahin gab es nur Leitlinien der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, die die klinischen Erfolgsaussichten als entscheidendes Kriterium bezeichneten und dafür Indikatoren entwickelt hatten. Das neue Gesetz stimmt in vielen Aspekten mit diesen Leitlinien überein, allerdings soll nunmehr nur die aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit den Ausschlag geben. Weitere Erkrankungen dürfen höchstens eingeschränkt berücksichtigt werden, andere Faktoren wie Geschlecht, Alter, Behinderung, Vorerkrankung, sexuelle Orientierung, Ethnizität, Impfstatus oder sozialer Status bzw. Einkommen dürfen keine Rolle spielen.

Eine sogenannte Ex-Post-Triage wird untersagt. Wer einmal ein intensiv-medizinisches Bett bekommen hat, dem darf es nicht wieder weggenommen werden. Eine laufende Behandlung soll nicht zugunsten eines Patienten mit besseren Überlebenschancen abgebrochen werden. Zulässig ist nur die Ex-Ante-Triage, bei der vor Behandlungsbeginn zwischen mehreren Rettungsbedürftigen ausgewählt wird.

Das Gesetz blieb nicht ohne Kritik. Die Union bemängelt, dass es nur für Pandemiefälle gilt und dass andere Krisensituationen wie Naturkatastrophen, Krieg oder Terroranschläge nicht einbezogen seien. Behindertenverbände und Patientenschützer befürchten, dass das Kriterium Überlebenswahrscheinlichkeit nicht reicht, um Behinderte vor Diskriminierung zu schützen. Sie wünschen ethische und menschenrechtliche Maßstäbe. Ärzteverbände sehen die Gefahr, dass die neuen Regeln eine Quelle für Rechtsunsicherheit werden können. Sie plädieren für eine Stärkung der Einzelfallentscheidung. Verschiedene Verbände habe daher eine Randomisierung (Auswahl nach Zufallsprinzip), ein Anonymisierungsverfahren bzw. einen Losentscheid vorgeschlagen.

Wie erwähnt, ist die Triage im Militärwesen entstanden. Im 16. Jahrhundert wurden erstmals Sanitätseinheiten gebildet, um überlebensfähige Verwundete zu retten und zu versorgen. Ende des 18. Jahrhunderts machte Preußen detaillierte Vorgaben zur Einstufung der verschiedenen Schweregrade von Verwundungen. Napoleons weiträumige Feldzüge führten zu neuen Ansätzen der medizinischen Versorgung und bei der Verlegung in entfernte Behandlungszentren.

Ein russischer Chirurg entwickelte um 1860 abgestufte chirurgische Behandlungsverfahren in fünf Stufen. Dieses System galt noch im Ersten Weltkrieg. Frankreich führte später das Prinzip „Triage – Transport – Traitement“ ein (Auswahl, Transport, Behandlung). Nicht überall wurde demgemäß gehandelt. Da gab es die Forderung, erst die eigenen Soldaten, dann die Zivilisten und dann die fremden Soldaten zu versorgen. Oder es galt die Reihenfolge, in der die Verletzten gefunden wurden.

Mit der Bildung der NATO setzte sich dort eine einheitliche Systematik von Sichtungskategorien durch. Diese Verfahren wurden dann zunehmend auch bei der Hilfeleistung bei zivilen Katastrophen angewendet. Im modernen Rettungsdienst wurde das System StaRT wegweisend (Siple Triage and Rapid Treatment – Einfache Einstufung und schnelle Behandlung). Der Ablauf einer typischen Triage ist wie folgt: Bergungssichtung (wer muss zuerst gerettet und sofort medizinisch versorgt werden); Behandlungssichtung (differenzierte Untersuchung, Zuordnung zu bestimmten Behandlungsmöglichkeiten); Transportsichtung (Beurteilung der Transportstabilität).

Bei Triagen in der Notaufnahme wird der Patient kurzfristig untersucht und eingeschätzt, beispielsweise nach den Symptomen „Lebensgefahr“, „Schmerzen“, „Blutverlust“, „Bewusstsein“, „Temperatur“ und „Krankheitsdauer“. Dementsprechend wird er einer Dringlichkeitsstufe zugewiesen. Dabei gibt es Systeme mit drei und mit fünf Stufen zur Ersteinschätzung der Behandlungsdringlichkeit. Eine dazu vorgelegte wissenschaftliche Arbeit beschreibt und analysiert die vier weltweit gängigen Systeme (Australasien, Kanada, Großbritannien, USA/Europa). darunter zwei fünfstufige und zwei dreistufige. Die Untersuchung zeigt, dass sich die fünfstufigen Triage-Systeme als effizienter und verlässlicher erweisen. In Deutschland gilt das fünfstufige Verfahren, die Stufen sind: akute, vitale Bedrohung; schwer verletzt, erkrankt; leicht verletzt, erkrankt; ohne Überlebenschance, sterbend; tot.

Letztlich bleibt die Triage eine schwierige Aufgabe, wenn Entscheidungen zu treffen sind, die mit großer Wahrscheinlichkeit zum Tod von Betroffenen führen. Intensivmedizinische Maßnahmen bei wenigen schwer Verletzten binden evtl. Kapazitäten, die auch zur Versorgung vieler minder Geschädigter verwendet werden könnten. Daher werden jene, deren Zustand aussichtslos ist, eher schmerzstillend als intensivmedizinisch behandelt.

Über Heiner Jüttner:

Der Autor war von 1972 bis 1982 FDP-Mitglied, 1980 Bundestagskandidat, 1981-1982 Vorsitzender in Aachen, 1982-1983 Landesvorsitzender der Liberalen Demokraten NRW, 1984 bis 1991 Ratsmitglied der Grünen in Aachen, 1991-98 Beigeordneter der Stadt Aachen. 1999–2007 kaufmännischer Geschäftsführer der Wassergewinnungs- und -aufbereitungsgesellschaft Nordeifel, die die Stadt Aachen und den Kreis Aachen mit Trinkwasser beliefert.