Die AfD vor dem Superwahljahr 2024 (Vorwort)
Vor gut drei Jahren drohte ein Foto die Republik zu erschüttern: Der Faschist Björn Höcke gratulierte dem FDP-Politiker Thomas Kemmerich, der sich zuvor mit den Stimmen der AfD zum thüringischen Ministerpräsidenten hatte wählen lassen. Ginge es nach AfD-Parteichefin Alice Weidel, dann gratuliert Kemmerich im nächsten Jahr Höcke. Zumindest rief sie von der Bühne einer Wahlkampfveranstaltung in Erfurt, bei der sie erstmals mit ihrem rechtsextremen Parteikollegen auftrat, dass in Thüringen zukünftig nicht mehr an der AfD vorbeiregiert werden könne. Der Spiegel wertete dies als eindeutiges Zeichen: „Höcke hat sich durchgesetzt, ohne ihn geht es nicht“.
Die AfD hat sich seit ihrer Gründung 2013 immer weiter radikalisiert – und ist inzwischen fest im deutschen Parteiensystem etabliert. Sie sitzt in 14 von 16 Landtagen, im Bundestag und im Europaparlament. Spätestens seit dem Parteitag 2022 ist deutlich erkennbar, dass der völkisch-nationalistische ‚Flügel‘ die Ausrichtung der Partei dominiert. Setzten die neoliberalen und nationalkonservativen Netzwerke in der AfD lange auf eine Strategie der taktischen Mäßigung und Selbstverharmlosung, hat sich der fundamentaloppositionelle Kurs des offiziell aufgelösten ,Flügels‘ inzwischen durchgesetzt.
Ende Juli 2023 trifft sich die AfD zu ihrem nächsten Parteitag. Schon im Vorfeld dieses Treffens hat sich der Eindruck verfestigt, dass der Kurs einer Radikalisierung auf Resonanz stößt: In Umfragen steht die Partei derzeit so gut, wie nie zuvor. In Sachsen und Thüringen hat sie derzeit tatsächlich Aussicht, bei den Landtagswahlen in 2024 stärkste Kraft zu werden, im Kreis Sonneberg stellt sie seit Kurzem den Landrat. Bundesweite Umfragen sehen sie gegenwärtig mit der SPD gleichauf. Die Hoffnungen, die Partei würde, wie andere rechtsextreme Projekte, an inneren Widersprüchen scheitern, haben sich nicht erfüllt.
Die Otto Brenner Stiftung hat die Entwicklung der AfD in den vergangenen zehn Jahren kontinuierlich und kritisch beobachtet. Bereits 2014 hat unser erstes Arbeitspapier zur Partei gezeigt, wie eng verwoben die programmatische Euro-Skepsis mit einer national-chauvinistischen Abwertung der ,Anderen‘ war. Es folgten Studien, die das Medienverhalten der AfD aufarbeiteten, und Analysen, die immer wieder die engen Verbindungen der Partei, ihrer Abgeordneten und Mitarbeitenden in rechte Netzwerke aufgezeigt haben. Diese Auseinandersetzung führen wir mit dem nun vorliegenden Arbeitspapier fort. Wir freuen uns, mit Wolfgang Schroeder und Bernhard Weßels zwei renommierte Parteienforscher für eine aktuelle Bestandsaufnahme vor dem kommenden ,Superwahljahr‘ gewonnen zu haben. Die Autoren beurteilen die AfD als eine Partei der „Metamorphosen“, der es trotz zahlreicher innerparteilicher Konflikte immer wieder gelungen ist, sich durch Anti-Establishment-Rhetorik und Mobilisierung weit verbreiteter Ressentiments als Partei derjenigen zu inszenieren, die sich abgehängt und nicht vertreten fühlen.
Dabei richten die Autoren den analytischen Blick insbesondere auf die vergangenen drei Jahre, die wegweisend waren: Während der Corona-Pandemie gelang es der Partei nicht, die rechten Proteste auf der Straße für eigene Wahlerfolge zu nutzen. Erstmals musste sie Stimmenverluste verzeichnen. Hinzu kam, dass der Verfassungsschutz nach einer langen Nicht-Beachtung der Partei zu einer verschärften Beobachtung überging. Deutlich wird, dass der ,Flügel‘ diese Entwicklungen nutzte, um die innerparteilichen Richtungskämpfe für sich zu entscheiden. Ausführlich behandelt das Arbeitspapier auch die vielfältigen Verflechtungen zwischen AfD und russischen Regierungsmitgliedern sowie entsprechenden Netzwerken, wobei Russland als gesellschaftspolitisch ideologischer Fixpunkt der Partei erkennbar wird.
Mit Blick auf die Wählerschaft der Partei kann auf Basis der Auswertung von Umfragen verdeutlicht werden, dass der Wahlentscheidung für die AfD substanzielle Orientierungen und Einstellungen zu Grunde liegen. Klar wird: Wer die AfD wählt, entscheidet sich bewusst für die Programmatik und die populistische Ausrichtung dieser Partei. Damit liefern die Autoren wichtige Einsichten für die öffentliche Debatte, in der immer wieder die (alte) These vertreten wurde, die AfD werde vor allem aus Protest und Orientierungslosigkeit gewählt. Dagegen gilt es endlich anzuerkennen, dass sich auf Bundesebene um die 18 Prozent und in manchen Bundesländern bis zu 30 Prozent Wähler:innen bewusst dazu entscheiden, ihre Stimme einer in Teilen rechtsextremen Partei zu geben.
Konsterniert hielt die Journalistin Antonie Rietzschel jüngst im ARD-Presseclub fest, dass die anderen Parteien der AfD auch nach zehn Jahren ohnmächtig gegenüberstehen würden. Einen Masterplan, wie mit der AfD umzugehen ist, liefert auch das vorliegende Arbeitspapier nicht. Ein solcher sei, den Autoren zufolge, auch nicht möglich, dafür sei die Partei zu beweglich. Es bedürfe spezifischer und situativer Antworten. Sicher ist jedoch, dass die Lösung nicht darin bestehen kann, sich inhaltlich und rhetorisch der AfD anzunähern, wie es insbesondere bei den konservativen und liberalen Parteien, aber auch in den Bestrebungen einer möglicherweise neuen Partei um Sahra Wagenknecht derzeit zu beobachten ist.
Den vollständigen Wortlaut des Arbeitspapiers der Otto Brenner Stiftung finden Sie hier: Wolfgang Schroeder, Bernhard Weßels: “Radikalisiert und etabliert – Die AfD vor dem Superwahljahr 2024”.
Letzte Kommentare