Am 1. Juli wurde der Entwurf des Bundeshaushalts 2023 vom Kabinett beschlossen und veröffentlicht. Da die Schuldenbremse wieder gelten soll, musste gespart werden. Eines der drei am stärksten von Kürzungen betroffenen Ressort ist das Entwicklungsministerium. Sein Etat soll von 12,35 Mrd. € (2022) auf 11,08 Mrd. € schrumpfen, also um 10,3%. Für die kommenden Jahre sind noch geringere Mittel vorgesehen, mit abnehmenden Tendenz: 2024 10,69 Mrd., 2025 10,58 Mrd. und 2026 10,39 Mrd. €.
Laut Koalitionsvertrag sollen die Ausgaben für Entwicklungshilfe eigentlich im gleichen Umfang steigen wie die für die Verteidigung. Diese Vereinbarung ist nun offenbar obsolet. Der Verteidigungsetat ist 2023 gegenüber den früheren Planungen um knapp 25% aufgestockt worden. Das Sondervermögen von 100 Mrd. €, das der Bundeswehr in den nächsten fünf Jahren zufließen soll, steht ohnehin außerhalb des Haushalts und bleibt insofern bei der Kopplung unberücksichtigt.
Finanzminister Lindner, der sich ansonsten gern mal auf den Koalitionsvertrag beruft, hat sein Sparziel durchgesetzt. Alle Ampelfraktionen haben der Kürzung zugestimmt, obwohl-ihre Sprecher/innen zuvor in den Haushaltsberatungen die Kürzung des Entwicklungshilfeetats laut und deutlich kritisiert und abgelehnt hatten. Inzwischen hat auch die zuständige Ministerin die Entkoppelung von Verteidigungs- und Entwicklungshilfeetat akzeptiert.
Im Koalitionsvertrag findet sich noch eine andere wichtige Ansage: „Wir werden eine ODA-Quote von mindestens 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) einhalten. In diesem Rahmen setzen wir 0,2 Prozent des BNE für die ärmsten Länder des Globalen Südens (LDC) ein.“ ODA ist die Abkürzung für Official Development Aid (Öffentliche Entwicklungshilfe). Doch auch hier heißt es „Ziel verfehlt“. 2022 waren nur 0,61% an öffentlicher Hilfe eingeplant, und 2023 werden es nur noch 0,55% sein.
Die 0,7%-Verpflichtung beruht auf einer Resolution der UN-Generalversammlung von 1970. Das Ziel sollte bis 1975, spätestens bis 1980 erreicht sein. Deutschland ist dies erst dreimal gelungen, allerdings nur aufgrund besonderer Umstände. Im Jahre 2016 erreichte man 0,70%, weil die (eigentlich nicht eingeplanten) Ausgaben für Flüchtlinge in Deutschland angerechnet wurden. 2020 lag der Wert bei 0,73%. Hier sorgten die von Deutschland ans Ausland gezahlten Coronahilfen für ein positives Ergebnis. 2021 wurden 0,74% er- reicht, weil die globale Impfkampagne einbezogen wurde.
Ansonsten lagen die deutschen Werte regelmäßig unter 0,7%, teilweise sehr deutlich. In den Jahren 1971 bis 1993 schwankten die Zahlen mit leichtem Auf und Ab zwischen 0,31 und 0,47%. Dem folgte eine Zeit besonders niedriger Leistungen; zwischen 1997 und 2004 lagen sie bei 0,27%. Danach wurde es wieder besser: 2005 bis 2014 lag der Durchschnitt bei 0,37%. Dann ging es aufwärts, von 0,52% in 2015 bis 0,74 in 2021. Insofern ist die Absichtserklärung im Koalitionsvertrag, mindestens 0,7% zu erreichen, lobenswert und ehrgeizig, aber – wie wir jetzt sehen – wertlos.
Bei der Haushaltsberatung im Bundestag im Herbst 2022 hatten alle Fraktionen deutliche Kritik an der Kürzung des Einzelplans des Entwicklungsministeriums geübt und eine Aufstockung gefordert. Auf Unverständnis stieß vor allem die Halbierung der Zahlungen an die Vereinten Nationen und andere internationale Organisationen. Das sei eine falsche Botschaft an die internationale Staatengemeinschaft. Die Kürzung des Entwicklungshilfeetats sei „fahrlässig und verantwortungslos“. Deutschland vernachlässige seine „Verantwortung, für globale Gerechtigkeit zu kämpfen“,und stelle seine „entwicklungspolitische Handlungsfähigkeit infrage“. 1)
Heftige Kritik kam von Nichtregierungsorganisationen. Welthungerhilfe und terre des hommes erklärten in einer gemeinsamen Stellungnahme: „Deutschland hat sich in den letzten Jahren einen sehr guten Ruf erarbeitet als zweitgrößter Geber weltweit, als ein sehr verlässlicher Partner. Deutschland darf dieses Vertrauen jetzt nicht enttäuschen, sondern sollte an dieser Verlässlichkeit und Großzügigkeit festhalten.“ Kritisiert wird auch, dass die ärmsten Länder nur unterdurchschnittlich unterstützt werden. Deutschland hatte sich 2016 verpflichtet, den ärmsten Ländern 0,2% seines Bruttonationaleinkommens als Hilfe zu gewähren. 2022 waren es nur 0,13%.
Die politischen Versprechen sind offenbar rasch in Vergessenheit geraten. Da drängt sich die Frage auf, warum nicht der weltweite Hunger und die wachsende Armut und die Klimakrise in der Dritten Welt zwingende Gründe darstellen, um Deutschland zu einer Steigerung seiner Entwicklungshilfeleistungen und zu einem deutlichen und dauerhaften Überschreiten des 0,7%-Ziels zu veranlassen. Entwicklungspolitik ist auch Sicherheitspolitik. Eine kluge Sicherheitspolitik setzt nicht nur auf das Militär, Krisen können nicht nur mit Waffen bekämpft werden.
Auch wenn der Vergleich hinken mag, könnte man der Entwicklungshilfekürzung die 100 zusätzlichen Rüstungsmilliarden und die 95 Mrd. € für drei Energieentlastungspakete gegenüberstellen. Wer der Bundesregierung nicht gerade wohlwollend gegenübersteht, wird jetzt sagen, dass die Dritte Welt zur Finanzierung der deutschen Rüstung(sindustrie) und zur Besserstellung der deutschen Bevölkerung und Wirtschaft beiträgt. Die Kürzungspläne sind daher auch auf symbolischer Ebene abträglich. Sie zeigen, dass sich Deutschland auf seine internen Interessen konzentriert und die Probleme jenseits seiner Grenzen vernachlässigt.
Solche Signale kann sich Deutschland angesichts der weltpolitischen Lage nicht leisten: China fasst über Investitionen und Kredite zunehmend Fuß in der Wirtschaft der Dritten Welt. Die Versorgung mit seltenen Metallen aus Entwicklungsländern ist für Deutschland unverzichtbar. Russland macht mit Hilfe der Wagner-Söldner afrikanische Regierungen abhängig. Kooperation und Unterstützung in der UN-Generalversammlung sind derzeit unverzichtbar. Wirtschaftlicher Fortschritt in Afrika ist das beste Gegenmittel gegen Flucht und Migration.
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